Kitastreik Wie viel ist uns frühkindliche Bildung wert?

Heute beginnt der bundesweite Kita-Streik, Erzieherinnen fordern mehr Geld für ihren immer anspruchsvolleren Job. Denn sie müssen mittlerweile vor allem eines: Die Kinder optimieren und auf ihre Karriere vorbereiten.

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Küchenfrau Angelika Kaphengst bereitet gemeinsam mit vierjährigen Kinderngartenkindern einen selbstgemachten Kräuterquark für das Frühstück vor. Quelle: dpa

Wohin nun mit dem Kind? Erzieherinnen und Erzieher in kommunalen Kindertagesstätten haben bundesweit die Arbeit niedergelegt. Sie fordern eine bessere Bezahlung. Beteiligen wollen sich auch Erzieher und Heilpädagoginnen in Heimen für Kinder und Jugendliche sowie Beschäftigte in Einrichtungen der Behindertenhilfe.

„Keine Frage, das wird Eltern hart treffen“, hatte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske bei der Ankündigung des Streiks eingeräumt. Zugleich verwies er aber darauf, dass viele Eltern durchaus Verständnis dafür gezeigt hätten, dass der Erzieher-Beruf aufgewertet werden müsse. „Und Wertschätzung drückt sich nun mal auch im Gehalt aus“, sagte Bsirske.

Fragen und Antworten zum Kita-Streik

Die Einstufung im Tarifsystem der Erzieherinnen erfolgt nach Tätigkeit und Berufserfahrung. Eine Kinderpflegerin erhält als Anfangsgehalt 2043 Euro brutto im Monat, die Leiterin einer Kita kann, bei besonders großen Einrichtungen, bis zu 4749 Euro im Monat verdienen. Eine Erzieherin mit achtjähriger Tätigkeit bekommt nach Angaben von Verdi derzeit 2946 Euro im Monat, nach den Vorstellungen der Gewerkschaft soll sie künftig 3387 Euro erhalten.

Die Arbeitgeber erklären, die meisten Erzieherinnen seien bereits jetzt in die höchste Erfahrungsstufe eingruppiert und hätten damit ein Monatsgehalt von 3289 Euro. Die Arbeitgeber vergleichen die Bezahlung der Erzieherinnen mit der von Handwerkern im öffentlichen Dienst oder Brandmeistern bei der Feuerwehr. Das Einkommen des Ausbildungsberufs Erzieherin liege oberhalb dieser Gruppen. Auch Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, wies die Gehaltsforderungen zurück. „Derartige finanzielle Spielräume haben die Kommunen nicht, zumal die Eltern nicht mehr, sondern am besten gar keine Kindergartenbeiträge zahlen wollen“, sagte er der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“.

Kinder sollen immer mehr lernen, aber niemand will bezahlen

Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Die Kommunen können nicht zahlen, die Eltern wollen oder können es genauso wenig. Dafür verlangen beide, dass die Erzieherinnen und Erzieher aus den ihnen anvertrauten Kindern nicht nur wichtige Mitglieder der Gesellschaft machen, sondern sie auch in Mathematik, Naturwissenschaft, Sprache und Technik fördern - zumindest aber das Interesse daran wecken - sie sollen ihre Motorik verbessern, behinderte Kinder in die Gruppe integrieren, die Kinder musisch fördern, ihnen beibringen, wie man lernt und Kinder, die schlecht deutsch sprechen, auf die Schule vorbereiten und den Kindern eine gesunde Ernährung nahe bringen. Nebenher müssen sie Bewertungsbögen ausfüllen, Lernfortschritte dokumentieren, sich mit Eltern austauschen und Säuglinge versorgen.

Denn viele Erzieher und Erzieherinnen betreuen mittlerweile Kinder ab einem Alter von acht Wochen bis sechs Jahren. Sie helfen ihnen, sich in der Gruppe zurechtzufinden, und fördern sie in ihrer Entwicklung.

Schuld an den steigenden Anforderungen an die Erzieher und Pädagogen sind zum Einen die Eltern, die ihre Kinder immer früher in die Obhut anderer geben (müssen) und natürlich wollen, dass ihre Kinder optimal versorgt sind und gefördert werden. Es hängt auch mit der Pisa-Studie zusammen, dass Spielen und Basteln für Kleinkinder nicht mehr als ausreichend empfunden wird. Zwar wurde der Bildungsauftrag für Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe schon im Jahr 1990 im Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG (SGB VIII) verankert. Nach dem Pisa-Schock im Jahre 2001 wurde dann entschieden, dass die Kinder so früh und vor allem so gut wie möglich auf ihr späteres Leben vorbereitet werden müssen - und das funktioniert nur über Bildung.

Wer mit zwei schon lesen, schreiben, rechnen lernt, blamiert sich mit 15 nicht bei Pisa und macht mit 18 ein gutes Abitur. Also führten die Bundesländer Bildungs-und Erziehungspläne für die Kleinsten ein und Malkreide und Bauklötzchen wanderten vielerorts in den Schrank. Stattdessen soll gelernt werden. „Die Kindertageseinrichtungen des Elementarbereichs werden heute als unentbehrlicher Teil des öffentlichen Bildungswesens verstanden“, heißt es im gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen von 2004.

Können Sie diese PISA-Aufgaben lösen?

Was Erzieher Kindern beibringen müssen

So heißt es im "Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung" (Oktober 2003), dass Erzieherinnen folgende Aufgaben erfüllen müssen:

  • Förderung individuumsbezogener Kompetenzen und Ressourcen bei Kindern, also von personalen, motivationalen, kognitiven und physischen Fähigkeiten,
  • Förderung von Kompetenzen zum Handeln im sozialen Kontext, also von zwischenmenschlichen Fertigkeiten, von Werten und Orientierungskompetenz, von der Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme und der Bereitschaft zur demokratischen Teilhabe,
  • Förderung der lernmethodischen Kompetenz, d.h. Kinder sollen lernen, wie man lernt,
  • Förderung von Resilienz (Widerstandsfähigkeit),
  • Begleitung des Übergangs von der Familie in die Kindertageseinrichtung und des Übergangs in die Schule,
  • interkulturelle Erziehung,
  • geschlechtsbewusste Erziehung,
  • Förderung von Kindern mit Entwicklungsrisiken und (drohender) Behinderung,
  • Förderung von Kindern mit Hochbegabung,
  • ethische und religiöse Bildung,
  • sprachliche Bildung,
  • mathematische Bildung,
  • naturwissenschaftliche und technische Bildung,
  • Umweltbildung und -erziehung,
  • Medienerziehung und elementare informationstechnische Bildung,
  • ästhetische, bildnerische und kulturelle Bildung,
  • musikalische Bildung,
  • Bewegungserziehung,
  • gesundheitliche Erziehung,
  • Beobachtung und Dokumentation der Lern- und Entwicklungsprozesse des Kindes,
  • Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern,
  • Kooperation und Vernetzung mit anderen Stellen, Gemeinwesenorientierung,
  • Abwendung von Gefährdungen des Kindeswohls


Und in Sachsen-Anhalt heißt es: "Durch die Beschäftigung mit den Inhalten aus den vorgegebenen Bereichen soll das Kind nicht nur bereichsspezifische, sondern vor allem übergreifende und grundlegende Kompetenzen und Persönlichkeitsressourcen erwerben." Aus den Kindergärtnerinnen von einst sind Lehrerinnen, Theologen, Ernährungsberater und Coaches geworden, die zusätzlich noch die Säuglingspflege und die Elternbetreuung übernehmen müssen. Und das alles, damit die Kinder schneller, besser und erfolgreicher lernen und ein perfekter Teil der Optimierungsgesellschaft zu werden.

Diese Sprachen werden am häufigsten in bilingualen Kitas angeboten

Die steigenden Anforderungen rächen sich oft auch bei der Gesundheit der Kindercoaches: Im DGB-Index Gute Arbeit bezeichnen nur acht Prozent der befragten pädagogischen Fachkräfte die Arbeits- und Einkommensbedingungen als gut, 63 Prozent als mittelmäßig, 29 Prozent bewerten sie als schlecht. Eine zu hohe Arbeitsintensität, Zeit- und Leistungsdruck prägen den Arbeitsalltag. Der DGB-Index weist vor allem bei Vollzeit-Beschäftigten aus, dass sie unter zu hoher Arbeitsintensität und Leistungsdruck leiden (62 Prozent versus 32 Prozent bei Teilzeit). Andere Studien wie die GEW-Studie (2007) mit 2.000 Befragten bestätigen diese Einschätzung zu psychischen Belastungen. Lärm und das Herumtragen von Kindern sorgen für körperliche Beschwerden. Entsprechend geben nur 13 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher an, während beziehungsweise unmittelbar nach der Arbeit keine gesundheitlichen Beschwerden zu empfinden. Nur 26 Prozent der Befragten glauben daran, gesund das Rentenalter zu erreichen.

Längst rufen Bildungswissenschaftler nach einer Akademisierung des Berufs - inhaltlich wäre das wahrscheinlich nicht unbedingt nötig, aber das Ansehen der Erzieher und deren Gehälter müssten dann wie von selbst steigen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) hat deutliche Verbesserungen für Erzieher und Kinderpfleger bei den laufenden Tarifverhandlungen mit den Kommunen angemahnt. „Wir müssen langfristig die Löhne der Erzieherinnen und Erzieher auf das Niveau von Grundschullehrern anheben“, sagte Schwesig dem Deutschlandfunk.

Man werde einen solchen Gehaltssprung nicht mit einem Mal machen können. Schwesig betonte aber, dass die Betreuung von Kleinkindern deutlich mehr Wertschätzung erfahren müsse. Sie fordert: „Wir brauchen eine Debatte in Deutschland, wie viel uns die Arbeit mit Menschen und die frühe Bildung unserer Kinder wert ist.“ Vielleicht sollte man zusätzlich darüber nachdenken, wie viel Mathe, Chinesisch und Tanzunterricht ein Dreijähriger braucht.

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