Kritik am Bildungssystem Eltern wünschen sich ein bundesweites Zentralabitur

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Gegen Früheinschulung und frühen Übergang

Außerdem stehen die Eltern dem Leistungsdruck - insbesondere bei Schulanfängern - kritisch gegenüber: 86 Prozent lehnen die Früheinschulung von Kindern vor dem 6. Lebensjahr ab. In immer mehr Bundesländern halten Eltern ihre Kinder noch ein Jahr zurück und lassen sie später einschulen. Und das mit gutem Grund: So haben Forscher vom Institut für Psychologie der Uni Frankfurt herausgefunden, dass etwa jedes siebte Kind, das vor dem sechsten Geburtstag eingeschult wird, noch während der Grundschule eine Klasse wiederholen muss. "Ein Monat Unterschied im Geburtstag kann zu fast einem Jahr Unterschied im Einschulungsalter führen", heißt es auch in einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Acht von zehn Eltern machen sich außerdem dafür stark, dass die Vorschulzeit frei von Leistungsdruck bleibt und verteidigen damit die kindlichen Spielräume.

Auch bei der Frage nach der Dauer der Grundschule beziehen die Eltern eindeutig Stellung: Nur 24 Prozent befürworten die gegenwärtig vorherrschende Praxis der vierjährigen Grundschule. Drei Viertel der Eltern möchten den Kindern mehr Zeit für das gemeinsame Lernen einräumen: 58 Prozent sprechen sich für eine sechsjährige Grundschule aus, 17 Prozent wollen den Übergang in die Sekundarstufe sogar erst nach der 9. Klasse.

Eltern zwischen Mitwirkung und Überforderung

Erstaunlich hoch ist die Zustimmung der Eltern gegenüber der Inklusion behinderter Kinder in Regelschulen. 88 Prozent sind davon überzeugt, dass die nicht behinderten Kinder durch das gemeinsame Lernen in ihrem Sozialverhalten profitieren. Allerdings befürchtet auch knapp die Hälfte, dass die nicht behinderten Kinder in ihrem fachlichen Lernen gebremst werden. Entscheidend für die Zustimmung zur inklusiven Beschulung behinderter Kinder ist für die Eltern die Art der Behinderung: Bei körperlich beeinträchtigten Kindern und Kindern mit Lernschwierigkeiten sind viele Eltern für gemeinsamen Unterricht. Bei Kindern mit geistigen Behinderungen und solchen mit Verhaltensauffälligkeiten sind die Eltern skeptischer: Nur 45 Prozent können sich hier eine gemeinsame Beschulung vorstellen.

Dass Kinder mit geistigen Beeinträchtigungen und mit Lernschwierigkeiten auch in Gymnasialklassen integriert werden sollten, halten lediglich 30 Prozent der Eltern für sinnvoll. "Positiv ist, dass Eltern, die bereits über Erfahrungen mit Inklusion verfügen, ihr etwas aufgeschlossener gegenüberstehen", so die Bildungsforscherin Dagmar Killus von der Universität Hamburg bei der Vorstellung der JAKO-O Bildungsstudie.

Doch egal, ob behindert oder nicht: Ohne die Eltern geht laut der Studie nichts. Viele Schüler werden von ihren Eltern zu Hause massiv unterstützt: Zwei Drittel erarbeiten mit ihrem Kind den Lernstoff, rund drei Viertel kontrollieren Hausaufgaben oder helfen gezielt vor Klassenarbeiten und Referaten. 89 Prozent der Eltern geben an, dass sie sich verpflichtet fühlen, sich intensiv um die schulischen Leistungen ihrer Kinder zu kümmern.

62 Prozent beklagen, dass sie dabei vieles von dem leisten müssen, was sie eigentlich als Aufgabe der Schule sehen. "Angesichts anhaltender Klagen über Rückzugstendenzen der Eltern sowie mangelndem Interesse an schulischen Belangen sind diese Ergebnisse positiv zu bewerten", sagte Bildungsexpertin Killus. Die intensive Unterstützung durch die Eltern müsse aber auch kritisch gesehen werden. Besonders wenn sie von der Schule vorausgesetzt oder sogar eingefordert werde. "Eltern mit einem niedrigeren Bildungsabschluss können ihre Kinder wahrscheinlich weniger gut unterstützen als Eltern mit einem höheren Abschluss. Ungleiche familiäre Voraussetzungen setzen sich damit in der Schule fort. Mit Chancengleichheit hat das wenig zu tun", so Killus.

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