Moderne Lernmethoden Deutsche Schulen verschlafen die Digitalisierung

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Der Lehrer hat nicht mehr das Wissensmonopol

Mit der digitalen Technik und den neuen Lehrmethoden verändert sich auch die Rolle des Lehrers. Er ist nicht mehr der Wissensmonopolist, der sein Know-how an die Schüler weitergibt. Denn die können ihr Wissen heute aus einer Vielzahl an Quellen schöpfen. Der Lehrer kann – technikgestützt – auf die Lernpräferenzen jedes einzelnen Schülers eingehen und über moderne Lernmethoden, wie bei School of One, Rückmeldung über den individuellen Lernfortschritt erhalten. Das wiederum bedeutet, dass eine grundlegende Umgestaltung des Lehrprozesses notwendig wird. Schon vor Jahren mahnte Frank Schirrmacher, der vor kurzem verstorbene Mit-Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in dem Buch „Payback“: „Völlig desinteressiert daran, dass die digitale Welt im Begriff ist, unsere Hirnverdrahtungen zu verändern wie seit der Erfindung des Lesens nicht mehr, behandeln viele Schulen und Universitäten die Maschinen weiterhin so, als seien sie nur Fernseher, die nur senden und verschlimmern damit die kognitive Krise. Denn nicht nur Computer sind reine Sender, auch die Lehrer und Professoren sind es allzu oft.“ In Zukunft jedoch werden Lehrer auch an deutschen Schulen nicht mehr darum herumkommen, sich vom Wissensvermittler in Förderer und Coaches zu verwandeln. Einige wenige Leuchttürme gibt es schon und dies ist eine tolle Chance für diesen wichtigen Beruf und kein Risiko. Es wird zu ihrer Hauptaufgabe, Schüler dabei zu unterstützen, aus eigener Kraft kreative und kluge Wissensproduzenten zu werden.

Besuch von Lehrerfortbildungen zu IT in Deutschland

Digitale Technik macht Lust aufs Lernen

Auch hierbei können die Lehrkräfte von der Anziehungskraft und Attraktivität digitaler Medien profitieren. Denn mit ihrem Einsatz steigt automatisch der Spaßfaktor beim Lernen, wie das Beispiel der Ngee Ann Secondary School in Singapur zeigt. Innerhalb von nur 50 Jahren schaffte es das Land trotz seines hohen Anteils von Ungelernten und Analphabeten an die Spitze der besten Bildungssysteme der Welt. Dabei setzt Singapur ganz bewusst auf genau die Technik, die die Kinder täglich privat nutzen, kennen – und längst schätzen gelernt haben - wissend, dass „Smartphone Daddeln“ keine solide Informatikausbildung ersetzt.

So beantworten die 13- bis 16-jährigen Schüler der Ngee Ann Secondary School zum Beispiel viele Fragen ihrer Lehrer im Unterricht via Instant Messaging. Ausgerüstet mit handlichen Minicomputern landen ihre Kurznachrichten in Sekundenschnelle während des regulären Live-Unterrichts auf dem Rechner ihres Lehrers. „In einer Unterrichtsstunde können Lehrer unmöglich 40 Schüler befragen, aber mit einem Messenger funktioniert das. Und nicht nur das: der Lehrer sieht auch, wie sie mit dem Techniktool umgehen“, sagt Adrian Lee, Direktor der Ngee Ann Secondary School. Und die Kinder bleiben mit Spaß dabei, auch weil sie eben nicht alleine mit Stift und Papier arbeiten, sondern ihr geliebtes digitales Medium zum Einsatz kommen darf. „Wer sich mit Computertechnik nicht auskennt und sie sicher beherrscht, verliert die Kinder in der Schule“, urteilt denn auch Ho Peng vom Singapurer Bildungsministerium.

Viele Lehrer würden in der Schule gerne ihren Unterricht mit digitalen Medien aufwerten. Doch oft fehlt es an der Grundausstattung. Bund, Länder und Kommunen müssten an einem Strang ziehen, fordern Branchen-Experten.

Weltmarktführer … auch in der Schulbildung

Der Vorteil: Schüler nehmen nicht nur Wissen auf, sondern sie produzieren Wissen. Hier müssen dringend auch deutsche Lehrpläne ansetzen, um Schüler von reinen Techniknutzern in Technikgestalter zu verwandeln. Leider sind wir hierzulande davon noch himmelweit entfernt. Schlimmer noch: Mit unserem schwerfälligen, föderalen Bildungswesen verlieren wir weltweit den Anschluss. Dabei ist unser Bildungssystem doch die Voraussetzung dafür, dass wir unsere wirtschaftliche Stellung in einer sich rasant wandelnden Welt erhalten und ausbauen können. Es sollte das weltbeste sein – und bleiben. Dass Deutschland als Bildungsstandort ins Mittelmaß abgerutscht ist, gehört spätestens seit Pisa zum Allgemeingut.

Die deutsche Politik muss handeln - und dies zügig. Wir brauchen dringend eine Digitale Agenda für Schulen. Themen wie Big Data, das Internet der Dinge, cyberphysische Systeme brauchen ihren festen Platz in den Lehrplänen. Außerdem müssen Informatik und Wirtschaft offizielle Schulfächer für jedermann werden. Ein erster Schritt dahin könnten AGs sein. Diese ließen sich schon heute einfach etablieren. Allein die Klassenzimmer mit Hardware auszustatten, wird jedoch nicht ausreichen. Wir müssen vor allem den Lehrern Mut machen. „In der neuen Welt des Lernens sind sie alles andere als überflüssig“, betonen Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt in ihrem 2015 erschienenen Buch „Die digitale Bildungsrevolution“ (DVA). Das Fazit der beiden Bildungsexperten lautet: „Lernvideos können keine Persönlichkeitsbildung ersetzen und Computertechnik nicht die Bindung zwischen Lehrer und Schüler. Was sie jedoch können, ist, Freiräume genau dafür zu schaffen.“

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