Allerdings zeigt die Geschichte auch dies: Geht der Preis doch mal an Querdenker oder Ökonomen, die der „economical correctness“ widersprechen, ist das Geschrei groß. So führte die Ehrung des Mikroökonomen Gary Becker, der die ökonomische Theorie auf Kriminalität, Kindererziehung und Familie ausdehnte und die Ehe als Ergebnis einer rationalen Kosten-Nutzen-Rechnung erklärte, im Jahr 1992 zu einem öffentlichen Aufschrei. Linke Leitartikler echauffierten sich über den „Imperialismus der Ökonomie“, schwedische Feministinnen drohten mit Protestaktionen.
Auch die Auszeichnung von Robert Aumann 2005 provozierte Kritik: Der amerikanisch-israelische Mathematiker war mit spieltheoretischen Studien zu dem Schluss gekommen, Israel solle seine Siedlungen in den Palästinensergebieten nicht aufgeben. Große Wellen schlug auch der Preis an Milton Friedman 1976. Weil der marktradikale Ökonom und seine Schüler den damaligen Diktator Augusto Pinochet in Chile berieten, protestierten andere Nobelpreisträger öffentlich gegen Friedmans Ehrung.
Dass die Spezialisten die Generalisten bei der Preisvergabe verdrängt haben, liegt nicht zuletzt daran, „dass die bahnbrechenden Erkenntnisse der Ökonomie hinter uns liegen“, sagt Andreas Freytag, Ökonomie-Professor an der Uni Jena. Zwar haben Spezialisten wie der Marktdesigner Alvin Roth, der mit seinen Arbeiten die Vergabe von Organspenden verbessert hat, wichtige Impulse für die Praxis gesetzt. Doch in die großen gesellschaftlichen Debatten sind viele Preisträger kaum noch involviert.
Wer hat den Preis für Wirtschaftswissenschaften verdient?
deutschen Ökonomen umgehört.
Otmar Issing, Exchefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, hält John B. Taylor für preiswürdig – wegen „bahnbrechender Arbeiten mit höchster Relevanz für die Geldpolitik“. Die nach dem Amerikaner benannte Taylor-Regel gilt als Handlungsanleitung für Notenbanken bei der Suche nach dem richtigen Leitzins. Der 70-Jährige ist derzeit im Gespräch für die Nachfolge von Janet Yellen an der Spitze der US-Notenbank Fed.
Christoph Schmidt, Chef der Fünf Wirtschaftsweisen, setzt auf David Card von der University of California, der früher sein ökonomischer Lehrmeister in Princeton war. Card sei „ein Pionier der angewandten Mikroökonometrie und wichtiger Wegbereiter der evidenzbasierten wirtschaftspolitischen Beratung“. Er habe wichtige Beiträge vor allem in der Arbeitsmarkt- und Migrationsökonomik geleistet.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, würde den Nobelpreis an Paul Romer, Chefökonom der Weltbank, vergeben. „Romer ist schon lange im Gespräch – für seine Beiträge zur Wachstumstheorie und zu endogenem technischem Fortschritt.“
Harald Uhlig, Uni Chicago, würde seine US-Kollegen Douglas Diamond und Phil Dybvig für eine ganz bestimmte Arbeit auszeichnen – die 1983 veröffentlichte Studie „Bank runs, deposit insurance, and liquidity“ zur Krisenanfälligkeit des Bankensektors. Uhlig: „Das Papier hat eine Kette von nachfolgenden Untersuchungen erzeugt, die zu vielen Verfeinerungen, Verbesserungen und Erweiterungen und damit einem tieferen Verständnis geführt haben.“
Stefan Kolev, FH Zwickau, Mathias Erlei, TU Clausthal, und Michael Wohlgemuth, Open Europe, plädieren für Israel Kirzner, einen Vertreter der Österreichischen Schule. Der US-Ökonom von der New York University hat vor allem die Rolle des Unternehmers im Wirtschaftsprozess erforscht und „die Natur des Marktes als Prozess – im Gegensatz zum Markt als Gleichgewichtszustand – herausgearbeitet“ (Erlei).
Mathias Hoffmann, Universität Zürich, hält die Auszeichnung des Makroökonomen Robert Barro „für überfällig“. Der Harvard-Wissenschaftler gilt als einer der führenden Wachstumstheoretiker. Wenige Ökonomen werden in Topjournals so oft zitiert.
Friedrich Schneider, Universität Linz, wagt es, einen Nichtamerikaner aufs Schild zu heben: Bruno Frey aus Zürich. Frey habe „im Bereich der Glücksforschung, der Ökonomischen Theorie der Politik und der außermarktlichen Ökonomik herausragende Leistungen vollbracht“.
Der Grund: Wer als junger Forscher heute Karriere machen will, „muss sich ein möglichst enges Spezialgebiet suchen und dieses mit den neuesten Methoden bearbeiten“, sagt Freytag. Dabei gilt auch für die Forschung das Gesetz des abnehmenden Grenzertrags: Je mehr Probleme erforscht sind, desto geringer ist der zusätzliche Erkenntniswert weiterer Studien.
Sollte der Nobelpreis für Wirtschaft also abgeschafft werden? Nein, sagt McCloskey. Es sei zwar eine „Schande“, dass große Ökonomen wie der Wettbewerbstheoretiker William Baumol (1922–2017) und der Sozialphilosoph Albert Hirschman (1915–2012) den Preis nie bekamen. Ihn deshalb abzuschaffen gehe jedoch zu weit. Besser sei es, mehr interdisziplinäre Forscher zu krönen.
Die Schwedische Akademie kennt diese Vorwürfe. Das Preiskomitee sei daher bestrebt, „alle Arbeiten zu berücksichtigen, die für Ökonomen von Interesse sind, auch wenn die Forschungen in anderen akademischen Disziplinen erfolgt sind“, kontert Peter Eglund, ehemaliger Sekretär des Preiskomitees. Bisher aber ging der Preis nur zwei Mal an fachfremde Forscher: an die Politologin Elinor Ostrom (2009) und den Psychologen Daniel Kahneman (2002).
Um den Nobelpreis aus dem Korsett der ökonomischen Tiefenforschung zu befreien, sollte man ihm einen neuen Namen geben, schlägt Ökonom Freytag vor. „Wenn aus dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften der Nobelpreis für Sozialwissenschaften wird, verpflichtet dies das Preiskomitee, mehr Forschungen aus benachbarten Wissenschaftsdisziplinen zu berücksichtigen“, sagt Freytag. So gebe es bahnbrechende Arbeiten von Juristen und Soziologen, etwa zu Fragen der Korruption und Unabhängigkeit von politischen Institutionen, die nobelpreiswürdig seien.
Vielleicht kontert das Nobelkomitee die wachsende Kritik an der Vergabepolitik ja diesmal mit einer überraschenden Wahl – und zeichnet nach längerer Zeit wieder einen Anti-Mainstream-Ökonomen aus. Sollte es Verhaltensökonom Fehr sein, müssten sich die Überbringer der guten Nachricht allerdings vorher seine Handynummer besorgen und lange klingeln lassen: Der Österreicher ist an diesem Tag für eine Gastprofessur in New York. Wenn der Anruf aus Stockholm kommt, ist es dort erst 5.45 Uhr.