Sag mir, was du studiert hast, und ich sage dir, wie intelligent du bist. Oder genauer gesagt: Für wie intelligent du von der amerikanischen Gesellschaft gehalten wirst.
Ganz so einfach ist es vielleicht nicht. Aber zumindest scheint es wahrscheinlicher, besonders intelligente Menschen in einer Physik-Vorlesung als in einer erziehungswissenschaftlichen anzutreffen. Jonathan Wai von der amerikanischen Duke Universität zumindest behauptet, dass es einen eindeutigen Zusammenhang gebe zwischen dem Studienfach und der Begabung - oder dessen was man dafür hält.
Wai hat fünf Studien über Studenten an amerikanischen Universitäten zwischen 1946 und 2014 herangezogen, aus denen man einen solchen Zusammenhang ableiten kann. Er hat dabei "entdeckt, dass die Rangfolge der kognitiven Fähigkeiten von Studenten und Absolventen verschiedener Studienfächer erstaunlich gleich blieb in den vergangenen sieben Jahrzehnten", wie er in einem Beitrag für die Website "Quartz" schrieb.
1952 wurde in der Zeitschrift "Science" eine Studie veröffentlicht, die auf dem "Army General Classification Test" von 1946 beruhte. Dabei wurden rund 10.000 Absolventen von 40 Universitäten getestet, um ihre Einsatzmöglichkeiten beim Militär zu klassifizieren. Dabei erreichten zum Beispiel Absolventen der Erziehungswissenschaft durchschnittlich 122 Punkte, Wirtschaftswissenschaftler 124, Biologen 126, Geisteswissenschaftler 127, Ingenieure 129 und Physiker 130 Punkte.
Die zweite Studie beruht ebenfalls auf Daten von wehrpflichtigen Studenten. 38 420 mussten im Rahmen des "Selective Service College Qualification Test" 1951 eine Testreihe mit 150 mathematischen und sprachlichen Aufgaben absolvieren. Die Reihenfolge der Durchschnittswerte war ganz ähnlich: Die Erziehungswissenschaftler am Ende der Tabelle mit nur 118 Punkten, Wirtschaft und Biologen 126, Geisteswissenschaftler 128 und Ingenieure und Physiker ganz vorne mit je 132 Punkten.
Auch die Untersuchung "Project Talent", eine repräsentative Stichprobenuntersuchung mit amerikanischen Studenten in den 1970er Jahren kam nach Tests in Mathematik, Sprache und räumlichem Denken zu einem ähnlichen Ergebnis.
Warum Physiker und Mathematiker in Begabungstests oben stehen
Der vierte Datensatz stammt von über 1,2 Millionen Studenten, die an der "Graduate Record Examination" zwischen 2002 und 2005 teilnahmen. Auch hier landen Erziehungswissenschaftler und Business-School-Studenten ganz unten und Ingenieure und Physiker ganz oben.
Im neuesten der fünf Datensätze, dem "2014 SAT Report on College & Career Readiness", der auf Antworten von 1,6 Millionen Highschool-Abgängern beruht, die ihr gewünschtes Studienfach nannten, haben die Mathematiker und Statistiker die Physiker und Ingenieure sogar noch überholt. Aber die Gesamtreihenfolge ist ganz ähnlich. Auch hier liegen die Erziehungswissenschaftler mit den Agrarwissenschaftlern ganz hinten.
Interessanterweise stehen die Sozialwissenschaften in dieser jüngsten Datensammlung neben den naturwissenschaftlichen, mathematischen, technischen Fächern weit oben. Und Psychologie weit unten. Wai vermutet, dass der höhere Durchschnitt der Sozialwissenschaften zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass an den Hochschulen, die die Schüler mit den besten Testergebnissen auswählen – Harvard, Columbia, Stanford, University of Chicago und Washington University in St. Louis - Sozialwissenschaften besonders beliebt sind.
Warum scheinen angehende Physiker, Mathematiker, Ingenieure begabter oder intelligenter als Erziehungswissenschaftler zu sein? Die banalste Antwort, die Wai nicht nennt: Intelligenztests wie die oben aufgezählten testen vor allem auf Fähigkeiten, auf die es in der Mathematik, in Naturwissenschaften und technischen Fächern ankommt.
Intelligenztests prüfen aber weder historische Kenntnisse noch soziale Intelligenz. Dass junge Menschen, die sich entscheiden, Mathematik zu studieren, besser rechnen können als angehende Erziehungswissenschaftler oder Historiker liegt in der Natur der Sache.
Die Ergebnisse von Wais Untersuchung lehren also weniger über die Studenten als vielmehr über die impliziten Wertungen in den Tests. Dass diese Wertungen nicht unabhängig von den kulturellen Prioritäten einer Gesellschaft und den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes sind, liegt ebenso auf der Hand.