Studentenleben Die Paranoia um das Plagiat

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Mängel bei der wissenschaftlichen Vorbereitung?

Studenten hätten die Regeln in den ersten Semestern durchaus gelernt, so Beck, etwa in Tutorien und Vorlesungen, vielen falle aber am Ende, wenn es denn ernst wird, die praktische Umsetzung schwer. Dann komme häufiger die Aussage "Ich habe das gar nicht richtig gelernt." Hohe Fehlerquoten beim Zitieren, viele Nachfragen und ängstliche Studenten zeigen: Die Lehre scheint nicht ausreichend auf das wissenschaftliche Schreiben vorzubereiten. Nicht eine Anleitung zu Zitiertechniken oder Fußnoten fehle, sondern die Heranführung an die Wissenschaft an sich. Anders lassen sich viele Fragen von Studierenden nicht erklären. Wie etwa ein Forumseintrag auf studis-online von einer gewissen Greggoria zeigt: "Was ist aber, wenn man jetzt etwas schreiben möchte dass man sich selbst logisch erschlossen hat und es so auch höchstwahrscheinlich stimmt? Kann man das dann einfach so ohne Quelle aufschreiben oder muss man wirklich alles mit fremden Quellen belegen? Habe da Angst, dass jetzt meine Behauptungen als Plagiat abgestempelt werden, falls jemand anderes meine Behauptung schon veröffentlicht hat."

Zehn Grundregeln zum wissenschaftlichen Schreiben

Grund für die Unsicherheit: Zitieren wird häufig eher formal in Einführungsveranstaltungen thematisiert, wenn Studierende noch keine Seminararbeiten schreiben. "Sie können die Information noch nicht einordnen", sagt Christine Braun von der Schreibberatung der Uni Regensburg. "Es sollte gezielte Übungen zu Zusammenfassungen, Paraphrasen und Kommentierung in den Fächern geben, auch sollte ganz intensiv diskutiert werden, warum wie zitiert wird." Die formalen Regeln erlerne man schnell, wenn man wisse, was man warum machen möchte.

In Fächern wie Geschichte, Soziologie oder Germanistik sei das Problem des falschen Zitierens deutlich seltener, da Studenten dieser Fächer sich viel häufiger mit Quellenkritik auseinandersetzen, sagt Beck. In anderen Fächern seien diese Probleme dann aber größer.

Wie an deutschen Unis gemogelt wird
Gehört das Schummeln zum Studium dazu? Diese Frage lässt sich jetzt zum ersten Mal beantworten. Drei Jahre lang haben Bielefelder Soziologen im Auftrag des Bundesbildungsministeriums erforscht, wie ehrlich an Unis in Deutschland studiert wird. Für die Fairuse-Studie haben sie mehrere Tausend Studenten anonym befragt. Die Wissenschaftler fragten nicht nur nach Plagiaten, sondern auch nach spicken, abschreiben und danach, wie oft bei Experimenten die Messergebnisse gefälscht wurden. Zeit Campus hat die wichtigsten Zahlen vorab bekommen. Sie zeigen: Das Schummeln gehört an der Uni zum Alltag. Wer ganz brav studiert, ist in der Minderheit. Vier von fünf Befragten haben sich im Laufe eines Semesters zumindest eine Kleinigkeit zuschulden kommen lassen. Fast jeder fünfte der Befragten hat innerhalb eines Semesters mindestens einmal bewusst eine Arbeit abgegeben, die teilweise oder vollständig von anderen geschrieben worden war. Quelle: dpa
Entdeckt wird fast niemand: Die Bielefelder Studie zeigt, dass 94 Prozent derjenigen, die ein Plagiat abgeben, nicht erwischt werden. Und rechtliche Konsequenzen gibt es ohnehin fast nie. Darf man das? Ist ein bisschen Schummeln in Ordnung? Oder ist jeder Spickzettel knallharter Betrug? Darüber wird angesichts dieser Studie wohl wieder gestritten werden. Aber anders als während der Guttenberg-Debatte und der Aufregung um weitere Promiplagiate gibt es diesmal detaillierte Zahlen darüber, wie es wirklich an den Unis aussieht. Zahlen, die Anlass geben, nach den Ursachen für das Schummeln zu fragen – Zahlen, mit denen sich einige gängige Behauptungen überprüfen lassen: „Copy and Paste ist der neue Zeitgeist!“ oder „In Karrierefächern wird am meisten geschummelt!“ oder „Ein Plagiat kann jedem passieren!“ – Stimmt das wirklich? Quelle: dpa
1. Behauptung: „In Karrierefächern wird am meisten geschummelt“Stimmt nicht. Die klassischen Karrierefächer Jura und BWL stehen sogar vergleichsweise gut da. Immerhin jeder vierte Student der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften hat sich laut der Studie gar nichts zuschulden kommen lassen; im Durchschnitt aller Fächer ist es nur jeder fünfte. Plagiiert wird nicht etwa besonders oft unter Juristen, wie die Promotionsskandale vermuten lassen, sondern unter Ingenieuren – fast jeder dritte gab in der Studie zu, die Texte anderer Autoren als seine eigenen ausgegeben zu haben. Bei den Sportwissenschaftlern war es jeder vierte, bei den Juristen jeder fünfte, unter Wirtschaftsstudenten sogar nur jeder zehnte. Ob und auf welche Weise geschummelt wird, hat viel mit der Art der Prüfungen zu tun. Wo vor allem Multiple-Choice-Tests eingesetzt werden, fällt das Abschauen leichter als in Klausuren mit komplexen Essayfragen. Und Messergebnisse fälschen können Natur- und Sozialwissenschaftler, aber nicht Philosophen oder Kunsthistoriker. Deshalb sticht nicht ein einzelnes Schummelfach hervor. Quelle: dpa
1. Behauptung: „In Karrierefächern wird am meisten geschummelt“Anders als bei Plagiaten liegen die Ingenieure beim Abschreiben in Klausuren mit rund 30 Prozent etwas unter dem Durchschnitt. Aber fast 70 Prozent der Mediziner schauen zum Nachbarn. Kunststudenten wiederum lassen sich oft falsche Atteste ausstellen, um damit ihre Prüfungstermine zu verschieben. Der Mythos vom karrieregeilen Schummler ist jedenfalls genau das – ein Mythos. Das gilt ganz unabhängig von allen Fächerklischees, zeigt die Studie: Wer nicht in erster Linie durch seine Liebe zum Fach motiviert wird, sondern durch gute Noten oder verbesserte Berufsaussichten, schummelt deswegen nicht häufiger. Wem aber die Motivation fehlt, wer oft aufschiebt oder Konzentrationsschwierigkeiten hat, der schummelt auch eher. Frauen schummeln übrigens ähnlich häufig wie Männer, aber etwas anders: Männer haben beim Plagiieren die Nase knapp vorn, Frauen schreiben dafür eher Spickzettel und mogeln in Klausuren. Quelle: dpa
2. Behauptung: „Wer in Klausuren spickt, wird später zum Plagiator“Stimmt nicht. Denn längst nicht jeder Schummler ist zu allem bereit. So hat mehr als jeder dritte Befragte zugegeben, in einer Klausur abgeschaut zu haben, plagiiert hat aber nicht mal jeder fünfte. Viele nehmen manchmal Spickzettel mit (31 Prozent), aber nur manche benutzen sie dann auch (17 Prozent). Zudem wird das Spicken, Plagiieren und Fälschen in höheren Semestern weniger: Im Schnitt wird im dritten Jahr an der Uni weniger geschummelt als im ersten und zweiten – und im vierten Jahr noch weniger. Nur falsche Atteste werden mit jedem Jahr etwas öfter benutzt. Aber: Wer keine Angst davor hat, erwischt und bestraft zu werden, schummelt häufiger. „Viele Schummler bekommen keine Credit Points, wenn sie erwischt werden, aber auch keine Strafe“, sagt Sebastian Sattler, der Leiter der Fairuse-Studie. „Das ist so, als würde man einem Bankräuber das Geld wegnehmen, das er geklaut hat, aber keine Gefängnisstrafe verhängen.“ Quelle: dpa
2. Behauptung: „Wer in Klausuren spickt, wird später zum Plagiator“Ginge es nach Sattler, müsste man Schummlern auch Credit Points früherer Seminare aberkennen, um sie auf diese Weise abzuschrecken. Durch Bestrafung allein wird sich aber nicht viel verändern. Das Lernklima muss besser werden. Einer von fünf Studenten leidet stark unter Prüfungsangst, nur jeder hundertste ist angstfrei. Das könnte sich noch verschärfen, wenn permanent mit harten Strafen gedroht wird. Wer Angst vor Prüfungen hat, greift wiederum öfter zu unerlaubten Mitteln, zeigt die Fairuse-Studie. Quelle: dpa
3. Behauptung: „Ein Plagiat kann jedem mal passieren“Eher nein. Die meisten Schummeleien passieren nicht versehentlich. Wer mit dem Seminarordner auf dem Schoß in der Klausur erwischt wird oder denselben Essay wie sein Nachbar abgibt, kann sich nicht mehr rausreden, ertappt ist ertappt. Bei Plagiaten ist das schwieriger: Ausgerechnet der schwerste Verstoß gegen die Prüfungsordnung ist nur unscharf definiert. „Was ein Plagiat ist und was nicht, ist immer eine Einzelfallentscheidung“, meint die Berliner Informatikprofessorin und Plagiatjägerin Debora Weber-Wulff. Und die amerikanische Bildungswissenschaftlerin Melissa Anderson, die seit vielen Jahren zum Thema forscht, sagt: „Es ist schwierig, sich mit absoluter Sicherheit davor zu schützen, versehentlich zu plagiieren.“ Manche Plagiate passieren ungewollt, zum Beispiel, wenn man sich auf Allgemeinwissen beruft. Schließlich wäre es albern, in jeder Arbeit über das Sonnensystem erst einmal Kopernikus zu zitieren. Doch wo hört Allgemeinwissen auf? Das ist unklar. Manchmal liest man auch etwas, das einem später als eigene Idee erscheint. Psychologen sprechen dabei von Kryptomnesie. Quelle: dpa

So etwa in Fächern wie Ingenieurswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre oder etwa Architektur. In letzterem Studiengang machte die 23-jährige Laura Wagner (Name geändert) die Erfahrung, wie mangelhaft die wissenschaftliche Vorbereitung im Studium sein kann: Als sie mit ihrer Bachelorarbeit begann, lag die letzte schriftliche Arbeit schon Jahre zurück. "Zitiert habe ich das letzte Mal im Abitur", so die Architekturstudentin. Von ihrem Professor an der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe habe sie lediglich eine kurze PDF bekommen. "Darin stand das Gröbste noch einmal drin. Vor allem wie Quellen angegeben werden." Als jedoch ihre Schwester - Geschichtsstudentin - einen Blick auf die fertigen Kapitel warf, wurde einiges korrigiert. "Da die meisten Abschlussarbeiten im Studiengang Architektur nicht schriftlich sind, ist das Zitieren generell nicht so wichtig bei uns, aber bei schriftlichen Arbeiten achten die Professoren schon drauf." In anderen Fächern sei es wahrscheinlich wichtiger, mutmaßt die Studentin.

Aber nicht nur in 'schriftarmen' Fächern begegnen viele Studierende erst mit der Abschlussarbeit der Hürde des wissenschaftlichen Schreibens. Manche Studienordnung geben den Studenten zudem die Möglichkeit gezieltes wissenschaftliches Arbeiten einfach zu umgehen: "Ich habe häufiger Studenten in der Schreibberatung sitzen, die sich häufig durchgemogelt haben, weil sie beispielsweise für Studienarbeiten nur Referate gehalten oder kurze Essays geschrieben haben", sagt Beck. Diese hätten dann bei der Abschlussarbeit häufig große Probleme.

Ähnlich sieht es auch Bausch von der Uni Bayreuth: "Ich denke, sie sind deshalb unsicher, weil sie sich oft noch gar keine Gedanken darüber gemacht haben, wofür das Zitieren eigentlich gut sein soll. Außerdem ist das gesamte Handwerkszeug rund ums Zitieren für die meisten neu und erscheint zunächst umständlich - und es fehlt ganz oft die Übung im kritischen Lesen wissenschaftlicher Texte und natürlich im Schreiben von eigenen Texten.“ Braun von der Uni Regensburg spricht sogar von "massiven Schreibhemmungen", die manche Studenten aus Angst vor unfreiwilligen Plagiaten entwickelten. "Sie gehen davon aus, dass sie alles, was sie wissen, aufgrund von Texten anderer erlernen oder entwickeln. Daher können sie nicht klar und selbstbewusst zwischen eigenen Gedanken und den Gedanken anderer unterscheiden. Wo beginnt ein Kommentar?"

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