Am 1. April beginnt an den deutschen Unis und FHs das Sommersemester. Schon jetzt sind so viele Studenten an den Hochschulen eingeschrieben, wie noch nie zuvor - im Wintersemester 2016/2017 waren rund 2, 8 Millionen Menschen immatrikuliert. Viele werden die Uni aber nicht mit einem Abschluss verlassen. Aktuell denkt jeder Zweite darüber nach, sein Studium abzubrechen. Das hat zumindest eine Umfrage unter 1.000 deutschen Studenten und Hochschulabsolventen im Auftrag von univativ ergeben. Der Personaldienstleister hat sich darauf spezialisiert, junge Absolventen nach dem Studium in einen Job zu vermitteln.
Zugegeben, wirklich sicher abbrechen wollen laut Umfrage nur vier Prozent der Studenten. Die Übrigen spielen nur mit dem Gedanken. Und das ist nicht ungewöhnlich: Selbst die, die ihr Studium bereits abgeschlossen haben, waren sich ihres Erfolges nicht immer sicher. Allerdings haben viele ihr Studium nur deshalb beendet, weil sie Angst um ihre Zukunft oder vor Ausgrenzung hatten. Nicht aus Überzeugung.
„Diese Ergebnisse zeigen, dass heutige Studenten den Hochschulabschluss als wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung ihrer beruflichen Karriere sehen. Doch die Ausgestaltung der Studiengänge geht an den Wünschen vieler angehender Akademiker vorbei“, sagt Olaf Kempin, der Gründer von univativ.
Aus diesen Gründen wollen Studierende ihr Studium hinwerfen
27 Prozent der Studenten beklagen den fehlenden Praxisbezug bei in ihrem Studium und überlegen deshalb, abzubrechen. Das Thema hat aber offensichtlich an Gewicht verloren: Bei den Hochschulabsolventen gaben 33 Prozent an, dass fehlender Praxisbezug sie so sehr gestört habe, dass sie über einen Abbruch zumindest nachgedacht haben.
Quelle: Befragung des Personaldienstleisters univativ unter 1000 Studenten und Hochschulabsolventen
Das hatte ich mir anders vorgestellt: Die Kluft zwischen den Erwartungen der Studenten und den Inhalten des Studiums ist gewachsen: So hatten 34 Prozent der Absolventen andere Erwartungen an ihr Studium gehabt, bei der aktuellen Generation sind es 41 Prozent.
Auch das Problem mit den Leistungsanforderungen ist gewachsen: 40 Prozent der Studierenden fühlen sich überfordert und denken deshalb über einen Abbruch nach. Bei den Absolventen war das in 32 Prozent der Fälle so.
Auch bei der Studienfinanzierung sehen sich heutige Studenten größeren Herausforderungen ausgesetzt (Absolventen: 20 Prozent, Studenten: 29 Prozent).
Einer der Hauptgründe, warum die angehenden Akademiker hinwerfen wollen, ist nämlich, dass ihnen der Praxisbezug fehlt. Dahinter folgen enttäuschte Erwartungen, Überforderung und ganz einfach: zu wenig Geld. Zu diesen Ergebnissen kommen auch Studien des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. „Die Bologna-Reform hat es zwar geschafft, Wissenschaft und Praxis stärker zu verzahnen. Dass sich jedoch zwei von fünf Studenten in den vermittelten Inhalten nicht wiederfinden und sich von den Leistungsanforderungen überfordert fühlen, ist ein alarmierendes Signal“, sagt Kempin.
20 Prozent brechen wegen Leistungsdruck ab
In einigen Fällen sei es die einzig richtige Entscheidung, das Studium abzubrechen, so Kempin. "Wer sich zwingen muss, Interesse am eigenen Studienfach aufzubringen, wird höchstwahrscheinlich den Abschluss nicht schaffen – und im schlimmsten Fall bis zur Rente in einem unliebsamen Job arbeiten." Aber bevor man diese Entscheidung treffe, solle man gründlich nachdenken und nicht in einer Kurzschlussreaktion alles hinwerfen.
Stellen Sie sich vier Fragen, bevor Sie abbrechen
Zweifler sollten sich bewusst sein, dass es in jeder Ausbildung und in jedem Job Durststrecken gibt, die es zu überwinden gilt, sagt Kempin. "Wichtig ist zu erkennen, wo das Problem genau liegt, ob es dauerhaft ist und wie es sich beheben lässt."
Das rät auch Hans-Werner Rückert, Psychologe an der FU Berlin, Studenten, die sich nicht sicher sind, ob sie weitermachen sollen. Wer mit dem Gedanken spielt, sein Studium abzubrechen, solle sich zunächst vier Fragen stellen:
- Ist das Problem tatsächlich das Studium?
- Haben Sie versucht, das Problem zu lösen?
- Studieren Sie das Fach, das Sie studieren wollten oder etwas, was Ihre Eltern wollten bzw. was aus wirtschaftlichen Gründen aussichtsreich klang?
- Haben Sie mögliche Alternativen zu diesem Studium ausprobiert?
Wer sich mit allen vier Fragen intensiv auseinandergesetzt hat, wisse dann meist, was zu tun ist.
Aus diesen Gründen brechen Studenten ihr MINT-Studium ab
Wer ein MINT-Fach nur studiert, weil die beruflichen Aussichten und das Gehalt gut sind, bricht in der Regel vorzeitig ab. Ganz ohne persönliche Neigungen und Interesse am Fach wird niemand Ingenieur oder Maschinenbauer.
Quelle: „Zwischen Studienerwartungen und Studienwirklichkeit“, eine bundesweite Befragung der IMPULS-Stiftung, Stiftung für den Maschinenbau, den Anlagenbau und die Informationstechnik
Wer in der gymnasialen Oberstufe Mathe und Physik als Leistungskurs belegt und dort auch erfolgreich war, schafft das MINT-Studium in der Regel auch. Wer Physik und Chemie nach der elften Klassen abgewählt und in Mathe kaum das Klassenziel erreicht hat, bricht deutlich häufiger ab, als die Kommilitonen mit der entsprechenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Vorbildung.
Wer nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht, gearbeitet, die Welt bereist oder eine Familie gegründet hat, bricht ein später begonnenes MINT-Studium eher ab, als jemand, der direkt von der Schulbank in den Hörsaal gewechselt hat. „Eine Zeitspanne zwischen Schulabschluss und Studienaufnahme, die länger als 18 Monate währt, erhöht offensichtlich das Risiko eines Studienabbruchs“, heißt es in der Studie der IMPULS-Stiftung. Bei zu langer Übergangszeit gingen zum einen wesentliche, in der Schule schon erworbene fachliche Vorkenntnisse und Fähigkeiten verloren. Zum anderen fällt es dann schwerer, wieder in einen festen Lernrhythmus zu finden.
Die Studienanforderungen für Naturwissenschaftler und Techniker sind hoch. Viele Studenten sind damit überfordert, bringen nicht die gewünschten Leistungen und brechen deshalb ab.
„Studienabbrecher schätzen alle Studienbedingungen kritischer ein als Absolventen“, so die Studie. Außerdem schätzen Abbrecher die akademische Betreuung als besonders schlecht ein. Wer das Gefühl hat, unter miserablen Bedingungen zu studieren und für den Dozenten unsichtbar zu sein, der wirft eher hin.
Wer nicht gut in die Studentenschaft integriert ist, keine guten Beziehungen zu den Kommilitonen hat und nur für die Vorlesungen und Seminare am Unileben teilnimmt, scheitert eher am MINT-Studium, als der gut integrierte Kommilitone mit Freunden und Lerngruppen.
Wer neben dem Studium arbeitet, studiert in der Regel länger. Das ist bekannt. Je regelmäßiger ein Student arbeitet, desto höher ist allerdings auch das Risiko, dass er das MINT-Studium abbricht. Das gilt auch für die Fälle, die einen fachfremden Nebenjob haben und zum Beispiel dreimal in der Woche kellnern gehen. Damit seien die Anforderungen eines MINT-Studiums nicht vereinbar. Besonders hoch sei das Abbruchrisiko der Studenten, die von Tag eins an arbeiten gehen. Dadurch könnten sie sich nicht richtig auf den Studieneinstieg konzentrieren.
Eng mit dem Punkt Nebenjob hängt der Punkt „finanzielle Lage“ zusammen: Wer sich sein Studium selbst finanzieren muss, bricht häufiger ab, als jemand, der von den Eltern finanziert wird. „Die größte Immunität gegen einen Studienabbruch gewährt ein elternfinanziertes Studium, die geringste besteht bei einer überwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit bestrittenen Finanzierung des studentischen Lebensunterhaltes“, so die Studie.
Wer dennoch unsicher sei, ob Praktikum, Fachwechsel oder Exmatrikulation die richtige Wahl sind, solle sich von Experten beraten lassen. Beispielsweise bei der Studienberatung oder den Fachschaften der eigenen Uni. Auch die Agentur für Arbeit könne passende Alternativen zum Studium aufzeigen, so Kempin.
Auch in vielen Unternehmen sind Studienabbrecher gern gesehene Azubis. Beim Programm „Your turn“ der IHK Berlin beispielsweise bekommen Studienabbrecher die Chance, eine Ausbildung in den Bereichen IT, Großhandel und Immobilienwirtschaft zu absolvieren. Das Bildungsministerium hat 2014 das erste Pilotprojekt in dieser Richtung gefördert.