Studium bei der Bundeswehr Was lernen Soldaten an der Universität der Bundeswehr?

Ursula von der Leyen findet, die Bundeswehr habe ein Führungsproblem. Hat die Ministerin Recht? Wir haben es uns vor Ort angeschaut. Ein Besuch an der Universität der Bundeswehr München, wo Soldaten Führen lernen.

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Quelle: Bernhard Haselbeck für WirtschaftsWoche

Ein Donnerstagnachmittag Ende Juni. Die vergangenen Sommertage haben den Seminarraum aufgeheizt, die Studierenden nuckeln träge an ihren Wasserflaschen und wedeln sich gegenseitig Luft zu. Plötzlich kommt es zur Krise.

Nicolas Trutschler, Leon Ermark und Conrad Franz treten vor ihre Kommilitonen. Hinter ihnen erscheint ihre Präsentation, es geht um Führung in schwierigen Situationen. Auf der ersten Folie fährt ein Rettungsboot durch die braunen Gewässer einer überfluteten Stadt.

„Handelt es sich dabei um eine Krise, um eine Extremsituation oder Routine?“, fragt Trutschler. Die ersten rufen: „Krise.“

Doch Trutschler ist nicht überzeugt und fragt nach. Auch für die Hilfskräfte? Nein, für die ist das ein normaler Einsatz.

Weiter geht’s, Feuerwehrmänner im Rauch, alle: „Routine!“

Dann: Soldaten im Schützengraben. Ein Student ruft: „Alltag!“ Alle lachen.

Die einen Studierenden wollen später Führungsverantwortung bei der Bundeswehr übernehmen, andere wurden von einem Unternehmen entsendet und sollen für die Konzernkarriere gerüstet werden: Die Universität der Bundeswehr München versteht sich als Kaderschmiede. Doch in den vergangenen Monaten sorgte sie vor allem für negative Schlagzeilen.

Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen

Hoher Leistungsdruck soll zum Selbstmord von Studierenden beigetragen haben. Und dann war da noch der Fall des Oberleutnants Franco A., dessen rechtsradikale Gesinnung sich schon aus seiner Masterarbeit an der französischen Militärschule Saint-Cyr herauslesen ließ. Doch als der dortige Schulkommandant sich an seinen deutschen Kollegen wendete, passierte nichts. Die Arbeit sei unter Zeitdruck verfasst worden, habe aber nichts mit der tatsächlichen Gesinnung von Franco A. zu tun.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen unterstellte der Bundeswehr daraufhin eine „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“. Sie kritisierte vor allem den „falsch verstandenen Korpsgeist“, der dafür gesorgt habe, dass wichtige Informationen nicht weitergegeben wurden.

Zivil und Militär: Studentin Prinz (M.) und Kommilitonen. Quelle: Bernhard Haselbeck für WirtschaftsWoche

Doch was ist dran an den Vorwürfen? Wie vermittelt die Bundeswehr ihren künftigen Führungskräften, worauf es bei guter Führung ankommt? Ist die Lehre Teil der Lösung – oder Teil des Problems?

Fest steht: Die Universität der Bundeswehr kümmert sich seit 1973 um die wissenschaftliche Ausbildung der Offiziersanwärter, seit etwa zehn Jahren dürfen sich auch Zivilisten einschreiben. Aktuell lernen hier 2550 Soldaten und 250 zivile Studierende.

Guten Tag, Kameraden!

„Am Anfang war es schon ein komisches Gefühl“, sagt Janina Prinz, die als Zivilistin Wirtschafts- und Organisationswissenschaften studiert. Etwa, als ihre militärischen Kommilitonen in Uniform im Seminarraum erschienen. Zum Beispiel wenn sich ein General zu Besuch am Münchner Campus ankündigt. Gewöhnungsbedürftig war für Prinz auch die Sache mit den E-Mails. Viele Kommilitonen beginnen die in der Regel mit „Guten Tag, Kameraden“ und enden „mit kameradschaftlichen Grüßen“.

Weitere Unterschiede werden schon bei der Ankunft sichtbar. An staatlichen Universitäten kann sich theoretisch jeder Passant in die Vorlesungen setzen, in Neubiberg bleibt man lieber unter sich: Der Campus wird von einem hohen Drahtzaun begrenzt, eine Schranke verwehrt die Zufahrt. Rein kommt nur, wer einen gültigen Ausweis vorzeigt oder einen Termin hat.

Kaum Unterschiede beim Lehrplan

Statt bunter Taschen und Jutebeuteln hängen prall gefüllte Armeerucksäcke an der Garderobe vor der Mensa. Und der Mittwochnachmittag ist für die militärische Ausbildung reserviert. Dann müssen die Berufssoldaten marschieren, schießen und strammstehen.

Auch bei der Organisation des Studiums gibt es Unterschiede zu den meisten anderen deutschen Universitäten. Wie in den USA wird das Jahr in Trimester eingeteilt. Statt Semesterferien im Sommer und Winter gibt es in München nur im Sommer eine dreimonatige vorlesungsfreie Zeit. Der straffe Zeitplan ermöglicht es den Studierenden, bereits nach vier Jahren ihren Masterabschluss zu erhalten.

Versicherungen schätzen das Angebot

Das weiß nicht nur die Bundeswehr zu schätzen, sondern auch die Wirtschaft. Die Allianz, Generali und die Versicherungskammer Bayern schicken regelmäßig junge Talente zum Schnellstudium nach Neubiberg. So auch Janina Prinz. Ihre Studiengebühren von 10.000 Euro jährlich bezahlt die Munich Re. Beim Lehrplan gibt es hingegen kaum Unterschiede. „Rein formell sind die Bundeswehr-Unis zwar Teil der Bundeswehrverwaltung“, sagt Henning Rockmann, Jurist bei der Hochschulrektorenkonferenz. Für die beiden Einrichtungen in München und Hamburg gelten dennoch die gleichen Qualitätsstandards wie für jede andere staatlich geprüfte Hochschule.

Welche Studiengänge sich wirklich auszahlen
Sozialarbeit Quelle: dpa
Kunstwissenschaft Quelle: dpa
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Politik-,Sozial-und-Regionalwissenschaft Quelle: dpa
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Genau wie für die Lehrkräfte. Die meisten Professoren haben keinen militärischen Hintergrund. Sonja Sackmann lehrte zuvor zum Beispiel in St. Gallen, an der Wirtschaftsuniversität Wien und in Shanghai. Seit 1993 hält sie den Lehrstuhl für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität der Bundeswehr. Und ist dafür verantwortlich, den Studierenden beizubringen, was gute Führung ausmacht.

Die Professorin lädt zum Gespräch in die Bundeswehr-Kantine. Dort sitzen vor allem junge Männer, der Frauenanteil liegt bei gerade einmal 13 Prozent. Militärische Besonderheiten, sagt Sackmann, berücksichtigt sie in ihren Kursen kaum. Statt im Heer findet sie ihre Beispielfälle in Unternehmen, etwa beim Werkzeugmacher Hilti.

Hilti statt Heer: Professorin Sackmann spricht über die Kultur des Unternehmens. Quelle: Bernhard Haselbeck für WirtschaftsWoche

Nur manchmal spreche sie jemand von der Bundeswehr an und bitte sie, eine militärrelevante Frage zu untersuchen, wie zuletzt die Entwicklung von Führungsleitbildern in der Bundeswehr. „Die Lehre hier ist schon sehr kreativ und frei“, sagt Sackmann, deren Forschungsschwerpunkt auf dem Thema Unternehmenskultur liegt. Wie sieht die denn bei der Bundeswehr aus? Sie denkt kurz nach. Sehr unterschiedlich. Das Heer sei eben noch sehr traditionell und hierarchisch aufgebaut, allein aufgrund seiner Größe. In der Luftwaffe oder der Marine laufe es teamorientierter ab. Sackmann schaut auf die Uhr. Es wird Zeit, die Studierenden warten schon.

25 Studenten in einem Seminar

Locker geht es auch in Sackmanns Vorlesung zu. Rund 25 Studierende sitzen in dem Seminarraum, davon immerhin sieben Frauen. Alle tragen zivil, manche Tattoos und Piercings, lange Haare und Vollbart. Eine Studentin hat ihre nackten Füße auf den Stuhl neben sich gelegt.

Nachdem die erste Gruppe ihre Abschlusspräsentation über Risikokultur in Banken gehalten hat, beginnt Sackmann mit ihrer Vorlesung. In der folgenden Stunde spricht sie darüber, wie wichtig Führungskräfte für die Unternehmenskultur sind; dass sich gute Manager Zeit für ihre Mitarbeiter nehmen; dass sie Kleinigkeiten wahrnehmen und Zusammenhänge erklären; dass sie Wichtiges wiederholen und, ganz wichtig, an sich selbst arbeiten.

Was passiert, wenn diese Regeln gebrochen werden, erklärt sie am Beispiel von Enron. Der US-Energiekonzern galt einst als besonders innovativ. Doch dann stellte sich heraus, dass das vermeintliche Vorzeigeunternehmen jahrelang seine Bilanzen gefälscht hatte. So etwas passiere nicht über Nacht, sagt Sackmann. Einem solchen Betrug lägen meist Jahrzehnte von Missmanagement zugrunde.

Topmanager mit Bundeswehrvergangenheit

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen muss sich von ihrer Truppe gerade Ähnliches anhören. Nach ihrer öffentlichen Kritik dauerte es nicht lange, bis Vertreter der Bundeswehr mit dem Hinweis konterten, dass Führung eben immer oben anfange. Von der Leyen sei immerhin schon dreieinhalb Jahre im Amt – das sei doch genug Zeit, Maßnahmen gegen die von ihr diagnostizierten Schwächen zu ergreifen.

Zwischen Theorie und Praxis liegt bisweilen eine große Lücke. Die Ausbildung der Offiziere soll diese eigentlich schließen. Tatsächlich jedoch verlassen die meisten von Sackmanns Studierenden die Bundeswehr nach Erfüllung ihrer 13-jährigen Verpflichtung und gehen in die Wirtschaft.

Dort sind ihre Qualitäten gefragt. „Offiziere sind gut darin, Aufgaben klar zu strukturieren und hohe Komplexitäten aufzulösen“, sagt Michael Ensser, Deutschlandchef der Personalberatung Egon Zehnder.

Wer die Offizierslaufbahn einschlägt, lernt, Entscheidungen zu treffen, Teams zu leiten und Projekte zu koordinieren. Das bestätigt auch Klaus Hansen. Er ist inzwischen Partner bei der Personalberatung Odgers Berndtson, in seiner ersten Karriere war er Offizier. „Führung ist bei der Bundeswehr ein Fach, das richtig gelehrt wird“, sagt Hansen. Das half ihm zum Beispiel, als er mitten in der Finanzkrise zum Managing Partner ernannt wurde. Damals stand Kurzarbeit zur Diskussion, die Angestellten waren verunsichert. „In solchen Situationen müssen die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass sie geführt werden“, sagt Hansen. Er lief damals von Büro zu Büro und machte deutlich, dass die Situation ernst, aber nicht ausweglos ist. „Das lernt man bei der Bundeswehr: in unruhigen Zeiten einen kühlen Kopf bewahren“, sagt er.

Diese Manager haben gedient
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Stefan Schwille Quelle: Klaus Weddig für WirtschaftsWoche

Diese Stärke beobachtet Janina Prinz bei ihren militärischen Kommilitonen ebenfalls: „Wenn wir mal wieder Prüfungspanik haben, sind die gelassener.“ Offiziersanwärter Clemens Makagon nickt. „Ich frage mich immer erst: Ist irgendwer gestorben? Nein, dann wird schon alles wieder gut.“

Da wundert es kaum, dass einige Topmanager auf eine Bundeswehrvergangenheit zurückblicken. Airbus-CEO Tom Enders war Fallschirmjäger. Der Exchef der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, Offizier. Doch die veränderte Arbeitswelt stellt die Absolventen vor neue Herausforderungen. „Offiziere entstammen einem stark hierarchischen Umfeld“, sagt Headhunter Ensser. „Das kann beim Wechsel zum Problem werden.“ Heute kommt es nun mal darauf an, Menschen für sich zu gewinnen. Striktes Durchregieren passt nicht mehr in eine Zeit flacher Hierarchien. Darauf muss die Bundeswehr reagieren. Vor Kurzem eröffnete Ursula von der Leyen auf dem Campus das neue Forschungszentrum für IT-Sicherheit. „Wir sind eine digitale Großorganisation“, sagte sie. Vielleicht ist das eine Maßnahme gegen das Führungsproblem der Armee: mit Nerds und Start-up-Atmosphäre für mehr Widerspruch und Gedankenvielfalt zu sorgen.



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