Die deutschen Hochschulen haben international einen guten Ruf: Immer mehr Studenten kommen für ein Auslandssemester nach Deutschland. Laut dem Statistischen Bundesamt ist die Zahl der ausländischen Studenten zum Wintersemester 2014/2015 um rund sieben Prozent auf 321.569 angestiegen.
Die meisten ausländischen Studierenden kommen aus der Türkei, China, der Russischen Föderation, Italien und Indien. Für das zweitstärkste Herkunftsland China ließ sich zwischen dem Wintersemester 2013/14 und 2014/15 ein Zuwachs um sechs Prozent auf 32.460 Studierende in Deutschland beobachten. Das ist auch ganz im Sinne der Bundesregierung. Die hatte sich nämlich, gemeinsam mit dem DAAD, dem Deutsche Akademische Austauschdienst e. V., vorgenommen, bis zum Jahr 2020 mindestens 350.000 Studenten aus dem Ausland an deutschen Unis zu unterrichten. "Wir gehen davon aus, dass wir das gemeinsam mit der Bundesregierung gesteckte Ziel schon früher erreichen werden", sagt DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel angesichts der Zahlen.
Was Studenten aus anderen Ländern wollen
Die Wünsche der Australier entsprechen denen der meisten Befragten. Work-Life-Balance ist am wichtigsten, gefolgt von Jobsicherheit.
Überdurchschnittlich stark ist bei den Brasilianern der Wunsch nach unternehmerischem und kreativem Handeln ausgeprägt. Etwa 40 Prozent der Studenten legen darauf Wert, das sind deutlich mehr als im internationalen Vergleich. Am wichtigsten ist auch den Brasilianern die Work-Life-Balance.
Auch in China legen die jungen Menschen immer mehr Wert auf Work-Life-Balance und Jobsicherheit. Vor allem Ingenieure wünschen sich aber auch Führungsverantwortung.
Deutsche Ingenieure heben sich vom Durchschnitt ab, denn sie stellen einen sicheren Job über die Ausgewogenheit von Arbeit und Freizeit. Das tun sonst nur noch Russen und Japaner aus dem Kreis der zwölf größten Volkswirtschaften.
Die französischen Studenten halten die Jobsicherheit für weitaus weniger wichtig. Nicht mal ein Drittel gab sie als vortreffliches Karriereziel an. Dafür wollen viele Franzosen international Karriere machen und von ihrer Arbeit intellektuell herausgefordert sein.
Die Studenten aus UK antworteten sehr durchschnittlich. Work-Life-Balance am wichtigsten, gefolgt von Jobsicherheit und intellektueller Herausforderung.
Auffällig ist bei den indischen Studenten, dass ihnen die intellektuelle Herausforderung kaum am Herzen liegt. Nur 18 Prozent der Wirtschaftswissenschaftler legen darauf Wert. Die Ingenieure sind ausgesprochen offen, fast ein Drittel strebt eine internationale Karriere an.
Auch die Italiener streben ins Ausland. 34 Prozent der Ingenieure wollen fern der Heimat arbeiten. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern ist die Internationalität sogar nach Work-Life-Balance das Ziel, das am zweithäufigsten genannt wurde.
Die angehenden Akademiker von der ostasiatischen Insel fallen vor allem dadurch auf, dass sie kaum Wert auf Führungsverantwortung und kreative Tätigkeiten legen. Den Ingenieuren ist neben Jobsicherheit auch wichtig, großes Fachwissen zu besitzen und in ihrem Bereich als Experte zu gelten.
Den Kanadiern ist das Gleichgewicht zwischen Freizeit und Beruf sehr wichtig. Über 60 Prozent der Befragten gaben Work-Life-Balance als Ziel an.
Gleiches gilt für die russischen Ingenieure. Russische Wirtschaftswissenschaftler wollen vor allem einen sicheren Job und intellektuell herausgefordert sein.
Auffällig ist bei den US-amerikanischen Studenten, dass sie sich für das Gemeinwohl engagieren wollen. Mehr als 30 Prozent finden diese Aussage wichtig.
Ein anderer Wert dürfte dagegen deutlich schwieriger zu erreichen sein. Die Bundesregierung will nämlich auch, dass bis zum Jahr 2020 jeder zweite Uniabsolvent "studienbezogene Auslandserfahrung" gesammelt hat. Zum jetzigen Zeitpunkt beträgt die Quote 37 Prozent. Am häufigsten gehen Wirtschaftswissenschaftler für ein oder mehrere Semester ins Ausland, erst danach kommen Sprach-, Sozial- und Geisteswissenschaftler.
Am wenigsten Fernweh haben dagegen Naturwissenschaftler. Laut dem DAAD gehen beispielsweise nur 24 Prozent der Ingenieure in diesem Jahr zum Studieren ins Ausland. Von den Mathestudenten zieht es nur jeden zehnten zum Studieren in ein anderes Land.
Auslandsaufenthalt ist kein Karrieregarant mehr
Dass die deutschen Studenten lieber zuhause bleiben, hat mehrere Gründe: Weil es nichts Besonderes mehr ist, schrumpft auch der Karrierevorteil durch einen Auslandsaufenthalt: Eine Umfrage des Stellenportals Jobware hat beispielsweise ergeben, dass 33 Prozent der Bewerber überzeugt sind, dass ein Auslandsaufenthalt ihre Einstellungschancen nicht verbessert. Dadurch wird das Auslandsjahr für viele Studenten zur gefühlten Zeitverschwendung, die sich im verschulten Bachelorstudium nicht mehr leisten können beziehungsweise wollen.
"Seit der Einführung von Bachelor und Master schauen die Studenten mehr darauf, ob ein Auslandsaufenthalt ins Studium integrierbar ist", sagt Christiane Biehl von der Uni Köln. Der Freiraum, im Ausland auch einmal in andere Disziplinen hineinzuschnuppern, sei geschwunden.
So sieht das Austauschprogramm Erasmus plus aus
Die Teilnehmer sollen - wie es bürokratisch heißt - ihre Kompetenzen verbessern. Das betrifft etwa Studenten, die ihre Fremdsprachenkenntnisse durch mehr Praxis erweitern oder sich in anderen wissenschaftlichen Methoden ausprobieren. Auszubildende sollen andere Systeme der beruflichen Bildung kennenlernen. Zudem werden innovative, grenzüberschreitende Bildungs- und Jugendprojekte mit Hochschulen wie Unternehmen gefördert.
Die Finanzierung der Programme und Projekte ist langfristig bis 2020 gesichert, Auslandsaufenthalte sind im Voraus länger planbar, die Antragsmodalitäten wurden vereinfacht. Zudem werden grenzüberschreitende "Wissensallianzen" zwischen verschiedenen Hochschulen aufgebaut. Neu sind zinsgünstige Darlehen für ein gesamtes Masterstudium im Ausland - bis zu 18.000 Euro für zwei Jahre.
Alle 28 EU-Mitgliedsstaaten sind dabei - sowie Island, Norwegen, Liechtenstein, die Türkei und Mazedonien. Die Schweiz fehlt zur Zeit. Im Hochschulbereich können weitere Staaten auch außerhalb Europas einbezogen werden.
Das Bundesbildungsministerium geht davon aus, das im Zuge von "Erasmus+" bis 2020 rund 275.000 Studierende, 150.000 Auszubildende sowie 130.000 Schüler und junge Menschen im Beruf von Auslandssemestern, Praktika und Begegnungen profitieren werden.
Für Studenten aus Deutschland betrug die monatliche Förderung im Schnitt 220 Euro - häufig viel zu wenig, um die Mehrkosten für ein Studium oder Praktikum im Ausland abzudecken. Die Mietkosten in europäischen Metropolen und traditionsreichen Hochschulstädten wie Bologna, Paris und Barcelona sind erheblich. Seit Jahren gibt es Forderungen nach Mietzuschüssen oder dem Bau von mehr Studentenwohnungen. Mit der Erhöhung der bisherigen Fördersätze wird jetzt fest gerechnet. Beim Berufsbildungsprogramm „Leonardo da Vinci“ wird etwa ein dreiwöchiger Lernaufenthalt in Großbritannien derzeit mit knapp 1000 Euro unterstützt. Von einzelnen Hochschulen, Betrieben und Kammern gibt es zusätzliche Hilfen.
Studierende bekommen Infos an den akademischen Auslandsämtern ihrer Hochschule. Die örtlichen Kammern geben Auskunft und Tipps für Auszubildende und junge Menschen im Beruf.
Im vergangenem Jahr war für Studenten aus Deutschland Spanien das beliebteste Erasmus-Gastland - gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Bei Auszubildenden rangierte Großbritannien auf Platz eins. Beliebt sind aber auch Italien, Finnland, Österreich und Irland.
Studenten, die Anspruch auf Bafög haben, können mit ihrer Förderung vom ersten Semester an auch im Ausland studieren. In den vergangenen Jahren taten dies allerdings nur 6,5 Prozent der Bafög-Empfänger, etwa 40.000 pro Jahr. Dabei absolvieren inzwischen etwa 30 Prozent aller Studenten in Deutschland mindestens ein Auslandssemester oder ein mehrwöchiges Praktikum in einem EU-Nachbarland. Einige kleine Stiftungen bieten auch Stipendien für fachbezogene Auslandsaufenthalte - etwa für das Schreiben einer Abschlussarbeit in den Ingenieurwissenschaften.
Damit das Auslandsstudium attraktiver wird, beschäftigten sich Ende September Vertreter der Europäischen Kommission und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Frage nach der Anerkennung von im Ausland erworbenen Studienleistungen. Auch Wintermantel sagt: "Bei der Anerkennung von Leistungen aus dem Ausland müssen wir noch bürokratische Hürden überwinden. Hier müssen die Europäische Kommission, die Partner in Europa und die deutschen Hochschulen gemeinsam handeln."
Kosten für das Auslandsjahr sind nicht ohne
Bislang ist es nämlich oftmals so, dass im Ausland erbrachte Leistungen nicht oder nur zum Teil anerkannt werden. Außerdem kommt es vor, dass an der Universität in Ausland andere Module unterrichtet beziehungsweise Inhalte vermittelt werden, die an deutschen Universitäten zu einem anderen Zeitpunkt im Lehrplan stehen. Wer dann aus seinem Auslandssemester zurück kommt und sich Kurse anrechnen lassen will, die es hier gar nicht gibt, hat zwar Lebenserfahrung gewonnen, aber Zeit verloren. Und das ist im Bachelor- und Mastersystem nicht geplant.
Das Erasmusjahr wird so zu einem teuren Vergnügen, dass die Studiendauer um ein Semester oder Jahr verlängert. Das kann beziehungsweise will sich nicht jeder leisten. Denn auch wenn Erasmus-Studenten monatlich 500 Euro bekommen und keine Studiengebühren zahlen müssen, kommen auf die Studenten hohe Kosten zu: Mit 500 Euro lassen sich Miete, Nebenkosten, Essen und Lehrmittel schwerlich bestreiten - von Freizeitprogramm einmal abgesehen.
Trotzdem wäre es in manchen Branchen wünschenswert, wenn Studenten das Risiko auf sich nähmen und in die Ferne gingen. Bei Sprachwissenschaftlern und Übersetzern versteht sich das ja nahezu von selbst, aber auch Deutsch- und Fremdsprachenlehrern würde ein Auslandssemester nicht schaden.
Doch auch die Lehramtsstudenten gehören zu den Reisemuffeln. Laut dem aktuellen Hochschul-Bildungsreport gehen nur 23 Prozent aller Lehramtsstudenten an eine ausländische Hochschule. Noch seltener als angehende Lehrer gehen nur noch die schon erwähnten Natur- und Ingenieurswissenschaftler ins Ausland. Die Lehrer haben allerdings eine plausible Entschuldigung: In den meisten Lehramtsstudiengängen sind Auslandsaufenthalte gar nicht vorgesehen.