Als Lukas Rantzau zum ersten Mal zur Reling hochsieht, werfen ein paar Seeleute in ihren Blaumännern gerade die Taue des anlegenden Frachters aus. Rantzau hat seine gelbe Reisetasche geschultert, darin ein paar Jeans, Wechselwäsche, Duschgel, Zahnbürste – das Nötigste für zweieinhalb Monate, mehr wird er nicht brauchen. Während die Kräne schon Teile der Fracht aus dem Schiff heben, besteigt er seinen neuen Arbeitsplatz: einen 266 Meter langen Stahlkoloss, mit Platz für mehr als 4000 Container. Fahrtziel: Südafrika.
Rantzau hat auf dem Containerschiff als Kadett angeheuert. Las Palmas, Port Elizabeth, Lissabon heißen die nächsten Stationen. Doch von Freizeit keine Spur. Kaum hat er am nächsten Morgen seinen Blaumann übergestreift, drückt ihm ein Kollege einen Besen in die Hand. "Wir wollen ein sauberes Schiff, denn wir leben darauf", sagt er. Rantzau fegt das gesamte Deck, den halben Tag lang.
Weit weg vom Hörsaal
Zwei Monate bestimmt der Alltag auf dem schwankenden grau-roten Frachter von nun an den Tagesablauf des 25-Jährigen: Er schrubbt das Deck, überstreicht Rostflecken, spielt Karten, lässt sich beim Schiffsfriseur die Haare raspelkurz schneiden – wie auch die meisten seiner philippinischen Kollegen. "Einen so starken Teamgeist", sagt Rantzau, "habe ich noch nie erlebt."
Worauf man bei einem Gap Year achten sollte
Studenten sollten früh die Entscheidung für ein Gap Year treffen und planen, was sie vorhaben: mindestens ein Jahr vorher die ersten Bewerbungen verschicken, Reisen planen, sich nach Sprachkursen umsehen. So wird die Zeit nicht knapp, und es bleibt Raum für einen Plan B.
"Ein Gap Year muss man später immer gut verkaufen können", sagt Personalberater Andreas Schwarz, "man kann auch mit einem Praktikum Zeit verschwenden." Etwa dann, wenn man in einem dreimonatigen Praktikum schon nach wenigen Wochen gemerkt hat: Das ist nichts für mich. Wer nicht aufpasst, verliert durch ein Pausenjahr womöglich den Anschluss. Wer sich geschickt anstellt, hat aber umgekehrt auch die Chance, im Gap Year schon seinen künftigen Arbeitgeber kennenzulernen – das ist mehr wert als gute Noten.
Ein Praktikum bei einem Dax-Konzern, eine Reise nach Asien, ein soziales Projekt in Afrika – ein Gap Year lässt sich mit vielen Aktivitäten füllen. Doch das wahllose Aneinanderreihen verschiedenster Ideen führt nicht ans Ziel. Auf die richtige Mischung kommt es an: Ein achtwöchiger Trip durch Südafrika könne da wertvoller sein als manche Seminararbeit, bestätigt etwa Henkel-Personalentwickler Jens Plinke. Oder eine neue Sprache zu lernen – eine willkommene Abwechslung, wenn man schon zwei Praktika hinter sich hat.
Mit der Fahrt auf die andere Seite der Welt schließt Rantzau sein "Gap Year" ab, das er nach dem Bachelor-Studium eingelegt hatte – neudeutsch für eine bewusst genommene Auszeit zwischen Bachelor-Abschluss und Beginn des Master-Studiums. Bis dahin verbrachte er drei Jahre an der Uni Dresden, internationale Beziehungen, saß in Seminaren zum Völkerrecht, schrieb Hausarbeiten über Geopolitik, lernte Russisch. Und hatte kaum Zeit, die abstrakte akademische Welt zu verlassen. "Im Hörsaal bekommt man kein Gefühl dafür, was in der Welt passiert", sagt er.
Mehr gelernt als im gesamten Studium
Also wollte er nach seinem Abschluss nachholen, was ihm sein Stundenplan verwehrte: Als er im September 2011 den Abschluss in der Tasche hat, geht er für zwei Monate zu Boston Consulting nach München, um Beraterluft zu schnuppern. Danach macht er ein Praktikum im Büro der grünen EU-Parlamentarierin Ska Keller und hilft bei der Organisation der Jahreskonferenz der "Global Young Greens", der internationalen Vereinigung grüner Jugendverbände – im Senegal. "Es war ganz schön anspruchsvoll, die Teilnehmer aus allen Winkeln der Welt zur gleichen Zeit nach Dakar zu kriegen", sagt er.
Schließlich heuert er auf dem Containerfrachter an. Strategieberatung, Politbetrieb, die raue See – in diesem Jahr hat Rantzau mehr über sich gelernt als im gesamten Studium.
Rantzau ist Teil einer Generation von Studenten, die zwar zügig studieren, sich aber nicht mit aller Macht sofort ins Berufsleben stürzen. Ihre Antwort auf die verschulten Turbo-Studiengänge der Bologna-Reform: eine Auszeit nach dem Abschluss.