Das Gehirn ist ein beeindruckendes, aber betrügerisches Organ. Durch die Evolution auf höchstmögliche Effizienz getrimmt, ist es innerhalb von Millisekunden in der Lage, komplexe Situationen zu analysieren, Bewegungen zu initiieren, zu entscheiden zwischen unwichtig und wichtig. Gleichzeitig werden auch noch Grundfunktionen wie Atmung und Gleichgewicht aufrechterhalten.
Manchmal bleibt dabei allerdings die Genauigkeit auf der Strecke, noch dazu ist unser Denkorgan mitunter erschreckend einfach zu manipulieren, wie verschiedenste Studien zeigen: Menschen mit symmetrischem Gesicht werden für glücklicher und beruflich erfolgreicher gehalten. Die Wahrscheinlichkeit, einmal berufsunfähig zu werden, wird deutlich unterschätzt. Serien, bei denen im Hintergrund künstliches Gelächter abgespielt wird, werden als lustiger beurteilt. Ein Kleid wird eher gekauft, wenn es 39 Euro anstatt 34 Euro kostet.
Schon bevor wir alle von unserer eigenen Social-Media-Filterblase informiert wurden, neigten wir dazu, Informationen, die unser Weltbild bestätigten, für zuverlässiger zu halten, als solche, die ihm widersprachen. Diese Verzerrungen dienen auch der Stabilisierung unseres Selbstbildes und retten uns davor, unserem Traumpartner oder Traumjob, den wir vor 10 Jahren nicht bekommen haben, immer noch nachzutrauern. Für die psychotherapeutische Arbeit sind diese vielfältigen Verzerrungen des Gehirns ein wichtiger Bestandteil, denn während sie bei gesunden Menschen Optimismus und Selbstbewusstsein aufrechterhalten, funktionieren sie bei depressiven Menschen mitunter genau anders herum.
In acht Schritten zum Burn-Out
Es beginnt alles mit dem Wunsch, sich zu beweisen. Dieser aber treibt einen in den Zwang, sich noch mehr anzustrengen, noch mehr zu leisten bzw. es allen recht zu machen. Man nimmt jeden Auftrag an, sagt immer seltener Nein. Jettet von Termin zu Termin. Und nimmt abends Arbeit mit nach Hause.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Man nimmt seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahr. Schläft zu wenig, isst hastig oder gar nichts. Sagt den Kinobesuch mit Freunden ab.
Man missachtet die Warnsignale des Körpers, wie Schlafstörungen, Verspannungen, Kopfschmerzen, hoher Blutdruck, flaches Atmen, Konzentrationsschwäche.
Um wieder funktionieren zu können, greifen manche zu Drogen wie Schmerzmitteln, Schlaftabletten, Alkohol, Aufputschern.
Das eigene Wertesystem verändert sich. Die Freunde sind langweilig, der Besuch mit dem Kollegen im Café verschwendete Zeit. Die Probleme mit dem Partner oder Familie nimmt man einfach nicht mehr wahr. Man zieht sich zurück aus gesellschaftlichen Kontakten. Und endet oft in völliger Isolation.
Die Persönlichkeit verändert sich. Alles dreht sich nur noch darum, zu funktionieren, zu arbeiten. Gefühle und Emotionen werden verdrängt. Man verliert den Humor, reagiert mit Schärfe und Sarkasmus, empfindet Verachtung für Menschen, die das Faulsein genießen. Man verhärtet.
Man verliert das Gefühl für die eigene Persönlichkeit. Spürt nur noch Gereiztheit, Schmerzen, Erschöpfung, Überlastung, Angst vor einem Zusammenbruch. Und sonst nichts mehr. Keine Freude, keine Fröhlichkeit, keine Neugierde. Der Mensch funktioniert wie eine Maschine. Die Seele erstarrt.
Die wachsende innere Leere, genährt von dem Gedanken "Wenn ich nicht arbeite, was bin ich dann?", führt zur Depression, zur völligen Erschöpfung, zum Zusammenbruch, zum Ausgebranntsein.
Was dabei Henne und was Ei ist, ist nicht ganz klar: Es ist einerseits gut belegt, dass der Abruf von Erinnerungen von der aktuellen Laune beeinflusst wird – wer also depressiv ist, erinnert sich vor allem an negative Dinge – andererseits wurden auch neurobiologische Veränderungen im Hippocampus, der Gehirnregion, die für die Einspeicherung von Erinnerungen zuständig ist, nachgewiesen. Das hat zur Folge, dass sich Depressive am Ende eines Tages oder einer Woche besser an die Dinge erinnern, die schlecht gelaufen sind und keine Kraft aus den positiven Momenten ziehen können. Dazu kommt häufig, dass sie perfektionistisch veranlagt sind – haben sie ein sich gestecktes Ziel zu 80 Prozent erreicht, sehen sie vor allem die 20 Prozent, die sie nicht erreicht haben.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Das erschwert mitunter die Arbeit eines Therapeuten erheblich, insbesondere bei chronisch depressiven Menschen, die sich gar nicht mehr wirklich an eine Zeit erinnern können, in der sie anders gedacht haben – sofern es diese überhaupt gegeben hat. Bei diesen Patienten gestaltet sich eine Therapie so oft sehr kleinschrittig und langwierig. Patienten, die beispielsweise infolge einer Überbelastung oder eines Verlusts kurzfristig in eine depressive Phase geraten sind, erkennen dagegen, wenn man diese Verzerrungen mit ihnen gemeinsam aufdeckt, häufig schnell, wie sehr sich ihre Denkmuster zum Negativen hin verändert haben und können in alte Muster zurückfinden.
Was darüber hinaus vielen Patienten (und auch Gesunden) nicht bewusst ist, ist die Macht der Gedanken über Gefühle. Mir ist etwas Schlechtes passiert, also bin ich traurig, also weine ich – für viele Menschen eine logische, geradezu unfehlbare Grundannahme über die Entstehung von Traurigkeit. Dass man alleine durch die Interpretation von Erlebtem seine Gefühle und letztlich auch sein Leben stark beeinflussen kann, ist für nicht wenige Menschen eine völlig neue Erkenntnis, was einen weiteren Denkfehler aufdeckt – den Einfluss auf die eigenen Gefühle unterschätzen die meisten Menschen leider.
Geritt Müller heißt eigentlich anders. Er arbeitet als Psychotherapeut in einer Klinik im Sauerland. Um die Identität seiner Patienten zu schützen, und damit er freier schreiben kann, haben wir ihm einen anderen Namen gegeben.