Henriette Runge ist Mitorganisatorin bei den Fuck-Up-Nights und arbeitet im sonstigen Leben unter anderem im Musikmanagement. Sie bestätigt das deutsche Stigma beim Thema Scheitern und sagt: "Eine Fehlervermeidungskultur entsteht oft, wenn in einer Gesellschaft Unsicherheiten verpönt sind. Das scheint verbreitet zu sein in Kulturen, in denen das Individuum wichtiger ist als die Gesellschaft."
Runge hat sich schon viele Vorträge angehört, richtig bewegt wurde sie von der Rede von Jeanine Thorpe. Die einst als Wunderkind geltende Violinistin sah sich - als sie schließlich Konzertmeisterin wurde - mit so starken Panikattacken konfrontiert, dass sie nicht mehr weiterspielen konnte.
Umgang mit Minderwertigkeitskomplexen
Jörg Wittgen ist überzeugt: Ein solcher Komplex muss mit einer Therapie überwunden werden, denn er "kommt nicht plötzlich irgendwo her, sondern ist mit Prägungsmomenten aus der Kindheit verbunden." Er sagt, dass man Minderwertigkeitskomplexe bei Kollegen oder Angestellten am besten mit häufigem Lob und positivem Feedback begegnet. Allerdings ist das Loben eine Disziplin für sich - und nur wenige Chefs können das richtig gut: Es kommt vor allem darauf, dass Chefs den Mitarbeiter persönlich loben sollten - nicht über Dritte und nicht über E-Mail. Hinzukommt, dass das Lob kein Mittel zum Zweck sein sollte, sondern immer ehrlich und aufrichtig. Mitarbeiter spüren es, wenn Chefs nur loben, um dafür etwas herauszuschlagen. Führungskräfte sollten aber auch deutlich machen, wenn ihnen etwas missfällt.
In acht Schritten zum Burn-Out
Es beginnt alles mit dem Wunsch, sich zu beweisen. Dieser aber treibt einen in den Zwang, sich noch mehr anzustrengen, noch mehr zu leisten bzw. es allen recht zu machen. Man nimmt jeden Auftrag an, sagt immer seltener Nein. Jettet von Termin zu Termin. Und nimmt abends Arbeit mit nach Hause.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Man nimmt seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahr. Schläft zu wenig, isst hastig oder gar nichts. Sagt den Kinobesuch mit Freunden ab.
Man missachtet die Warnsignale des Körpers, wie Schlafstörungen, Verspannungen, Kopfschmerzen, hoher Blutdruck, flaches Atmen, Konzentrationsschwäche.
Um wieder funktionieren zu können, greifen manche zu Drogen wie Schmerzmitteln, Schlaftabletten, Alkohol, Aufputschern.
Das eigene Wertesystem verändert sich. Die Freunde sind langweilig, der Besuch mit dem Kollegen im Café verschwendete Zeit. Die Probleme mit dem Partner oder Familie nimmt man einfach nicht mehr wahr. Man zieht sich zurück aus gesellschaftlichen Kontakten. Und endet oft in völliger Isolation.
Die Persönlichkeit verändert sich. Alles dreht sich nur noch darum, zu funktionieren, zu arbeiten. Gefühle und Emotionen werden verdrängt. Man verliert den Humor, reagiert mit Schärfe und Sarkasmus, empfindet Verachtung für Menschen, die das Faulsein genießen. Man verhärtet.
Man verliert das Gefühl für die eigene Persönlichkeit. Spürt nur noch Gereiztheit, Schmerzen, Erschöpfung, Überlastung, Angst vor einem Zusammenbruch. Und sonst nichts mehr. Keine Freude, keine Fröhlichkeit, keine Neugierde. Der Mensch funktioniert wie eine Maschine. Die Seele erstarrt.
Die wachsende innere Leere, genährt von dem Gedanken "Wenn ich nicht arbeite, was bin ich dann?", führt zur Depression, zur völligen Erschöpfung, zum Zusammenbruch, zum Ausgebranntsein.
Henriette Runge möchte das Scheitern vor allem gesellschaftlich enttabuisiert sehen. "Manager - und viele andere Menschen im Berufsleben - sollten Fehler viel stärker thematisieren und entstigmatisieren." Dabei geht es ihr nicht um eine endlose Fehlertoleranz sondern um eine bessere Fehlerkultur und einen gesünderen Umgang mit Misserfolgen. Das Scheitern sieht Runge als Teil des Lernprozesses, denn, so sagt sie: "Nobodyˋs perfect - und niemand muss es sein."