Immer mehr Menschen sind gestresst. Dies geht längst über das bloße Gefühl hinaus, mittlerweile ist statistisch und wissenschaftlich nachweisbar, dass immer mehr Menschen in der Folge von chronischer Überbelastung krank werden. Insbesondere psychische Erkrankungen, Rückenschmerzen und Erkältungen nehmen zu. Erst Anfang des Jahres hat die Hans-Böckler-Stiftung eine Studie veröffentlicht, in der sie branchenübergreifend mehr als 2000 Betriebsräte zu den Bedingungen in ihren Unternehmen befragt hat.
Das Ergebnis: Zeitdruck und Arbeitsintensität sorgen für eine Zunahme psychischer Erkrankungen in deutschen Betrieben. Insgesamt leiden rund fünf Millionen Deutsche an Depressionen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Eine steigende Anzahl ist wohl auf die Zunahme von Stress und Druck am Arbeitsplatz zurückzuführen.
Insbesondere Zielvereinbarungen und Vertrauensarbeitszeit, so zeigt es die Studie der Böckler-Stiftung, hätten statt zu mehr Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Beschäftigten zu einem stressigeren Arbeitsalltag geführt. Andere Studien zeigen, dass sich bereits jeder Zweite am Arbeitsplatz gestresst fühlt.
Diese Dinge auf der Arbeit können krank machen
Die Folgen von permanenten Überstunden können Angst, Depressionen, Schlafstörungen, Feindseligkeit, Irritation als auch Herz-Kreislauf-Schwäche sein. Vor allem Schichtarbeit erhöht laut Report das Risiko für einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall.
Die Initiative Gesund und Arbeit hat in ihrem Report untersucht, welche Faktoren auf der Arbeit möglicherweise krank machen können.
Wer wenig Handlungsspielraum bei der Arbeit hat, erkrankt laut Untersuchung mit höherer Wahrscheinlichkeit an Bluthochdruck. "Je geringer der Handlungsspielraum, desto höher der systolische Blutdruck", heißt es. Deshalb bewertet die IGA das Fehlen eines Handlungsspielraumes als Gesundheitsrisiko.
Wenn die Arbeitsbelastung über einen längeren Zeitraum enorm stark ausfällt, besteht laut Studie die Gefahr, dass Arbeitnehmer an psychischen Störungen oder Depressionen erkranken. Für somatische Erkrankungen sei kein Risikofaktor nachweisbar gewesen.
Mobbing, aber auch sexuelle Belästigungen führen möglicherweise zu Depressionen und Angstzuständen.
Mit sinkender sozialer Unterstützung steigt laut Report das Risiko für Depressionen.
Wer seine Rolle bei der Arbeit nicht genau kennt – oder aufgrund seiner Arbeitsrolle Konflikte austragen muss, hat laut Studie ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Angst und Anspannung.
Dieses Modell beruht auf der Annahme, dass beruflicher Stress insbesondere dann entsteht, wenn der Arbeitnehmer gleichzeitig hohen Anforderungen und geringem Kontroll- und Entscheidungsspielraum ausgesetzt ist.
Die Folgen können psychische Erkrankungen, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Diabetes sein.
Geforderte Verausgabung ohne Belohnung kann laut Report zu psychischen Beeinträchtigungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.
Pendler neigen laut Studie eher dazu, gestresst zu sein.
Befristete Verträge sowie Leih- und Zeitarbeit können zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen. Das liegt laut Report daran, dass diese Arbeitnehmer das Leben nicht vorausschauend planen können, sich dem Unternehmen nicht zugehörig fühlen und meistens geringer entlohnt werden als andere Mitarbeiter.
Arbeitsplatzunsicherheit kann laut Untersuchung zu einem signifikant erhöhten Risiko von psychischen Beeinträchtigungen wie Angst, Depressionen und Stresserleben führen sowie zu kardiovaskulären Erkrankungen.
„Wir und andere Forscher haben in Langzeitstudien gezeigt, dass Arbeitnehmer, die sich für ihre Arbeit nicht angemessen wertgeschätzt fühlen, unter Dauerstress leiden“, sagt der Düsseldorfer Medizinsoziologe Johannes Siegrist. „Es ist eine Gratifikation–Krise.“
Die Folge: Das Risiko an einem Herzinfarkt oder einer Depression zu erkranken, steigt um bis zu 80 Prozent an. Das treffe vor allem auf Gesundheits- und Pflegeberufe zu.
Denn oft fehlt es den Arbeitnehmern nicht nur an Anerkennung und Wertschätzung, sondern auch den Möglichkeiten sich in sicheren Arbeitsverhältnissen weiterzuentwickeln. „Nicht zuletzt durch die wirtschaftliche Globalisierung ist es zu einer hohen Lohnkonkurrenz gekommen – durchaus mit negativen Effekten.“
Was bei der Arbeit stresst
Was sorgt im Büro für Stress? Der Personaldienstleister Robert Half hat im höheren Management nach den wichtigsten Gründen gefragt. Dabei gaben 18 Prozent der Befragten zu viel Verantwortung oder ständiges an die-Arbeit-denken auch in der Freizeit als Grund für Stress bei der Arbeit an. Nur in Tschechien können die Beschäftigten außerhalb des Arbeitsplatzes schwerer abschalten - dort gaben 28 Prozent an, dauernd an die Arbeit denken zu müssen. Auf der anderen Seite der Skala ist Luxemburg: nur fünf Prozent haben dort dieses Problem.
Keinen Stress haben dagegen nur sieben Prozent der deutschen Befragten. Genauso niedrig ist der Anteil derer, die ihren aktuellen Job nicht mögen.
Unangemessener Druck vom Chef nannten 27 Prozent der Befragten hierzulande als Stressgrund. In Brasilien sind es dagegen 44 Prozent.
Wenn der Chef sich eher um sein Handicap kümmert, statt ordentlich zu führen: 28 Prozent der Befragten sind mit der Managementfähigkeit des Chefs unglücklich. Das Unvermögen des führenden Managers, das zu Stress führt, scheint in Luxemburg relativ unbekannt zu sein - nur 11 Prozent der Befragten sind dort mit den Befragten unglücklich, in Dubai sind es gar neun Prozent.
Dass unangenehme Kollegen oder fieser Büroklatsch zu Stress führen kann, ist allgemein bekannt. Dementsprechend führen auch 31 Prozent der Befragten das als Stressgrund an - der Anteil derer, die das ähnlich sehen, liegen in allen anderen Ländern fast gleich hoch - außer in Brasilien: 60 Prozent der Befragten geben unangenehme Kollegen und fiesen Büroklatsch als Stressgrund an.
Ein weitere Stressgrund: personelle Unterbesetzung. 41 Prozent der Befragten sehen das als wichtigen Grund für Stress bei der Arbeit an - ein Wert, der fast in allen Ländern ähnlich ist.
Doch am problematischsten, laut der Studie: die hohe Arbeitsbelastung. 51 Prozent der Befragten gaben dies als Stressgrund an. Deutschland liegt damit im Schnitt, auch in den anderen elf Ländern ist ein ähnlich hoher Anteil der gleichen Meinung.
Ähnlich sieht das auch Michael Pfingsten, Leitender Psychologe am Universitätsklinikum in Göttingen: "Wir haben in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass die schwierige wirtschaftliche Situation, die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes, die geringe Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen, „Mobbing“ im Kollegenkreis, generell Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen und der ständig zunehmende Druck in unserer Gesellschaft das Risiko für das Auftreten von Stressbelastungen und die Chronifizierung von Rückenschmerzen stark erhöht."
Krank zur Arbeit
Sobald kurzzeitige Erkrankungen zu chronischen werden, wird es auch für den Arbeitgeber teuer: Bereits 2011 hat eine Untersuchung der Strategieberatung Booz & Company gezeigt, dass kranke Mitarbeiter die deutsche Volkswirtschaft rund 225 Milliarden Euro kosten. Das entspricht neun Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
Das sind allerdings nicht nur die Zeiten, die Mitarbeiter durch Krankheit ausfallen, sondern vor allem die Mitarbeiter, die trotz Krankheit zur Arbeit gehen, eine geringere Qualität abliefern, mehr Fehler machen und Unfälle verursachen. Die Folge müsste deshalb sein, die betriebliche Gesundheitsvorsorge zu verbessern, damit Unternehmen entstehenden Kosten reduzieren können.
Denn die Erkrankungen treffen selten Manager, sondern vor allem Menschen mit geringerem Entscheidungsspielraum: „Menschen in Führungspositionen stehen zwar häufig hohen Anforderungen gegenüber, haben aber auf der anderen Seite auch einen größeren Kontroll- und Entscheidungsrahmen. Deshalb ist das Erkrankungsrisiko statistisch deutlich geringer als bei den Ausführenden einfacher Tätigkeiten mit einem nur sehr eingeschränkten Kontrollspielraum.“
Was aber kann man dagegen tun? Psychologe Pfingsten empfiehlt zunächst: "Regelmäßig etwas für sich selbst zu tun und sich damit geistig wie körperlich gesund zu halten." Insbesondere bei Rückenschmerzen kann körperliche Aktivität helfen, also Sport und gezielte Übungen, die individuell abgestimmt sind. "Hier hat man für sich selbst Verantwortung und muss sie möglicherweise täglich und lebenslang für sich übernehmen", sagt Pfingsten.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
"Insbesondere bei immer wieder kehrenden Rückenschmerzen ist es aber auch sinnvoll, sich zu fragen, ob andere als körperliche Faktoren bei der Entstehung oder Aufrechterhaltung der Schmerzen eine Rolle spielen könnten." Konkret heißt das: Man müsse kritisch mit sich selbst sein - und die Rahmenbedingungen des Alltags beleuchten.
Eine mögliche Folge könnte dann auch sein, sich nach einem Job umzuschauen, der wieder mehr Freude ins Leben bringt und die Schmerzen vielleicht sogar abschwächt.