Meine Patientin kam in die Reha, nachdem ihr Leben ein Jahr lang Kopf gestanden hatte. Nach einem Wasserschaden war das alte Haus, in dem sie mit ihrer Familie gelebt hatte, unbewohnbar geworden und sie hatte übergangsweise in eine Ersatzwohnung ziehen müssen. Ihr ohnehin von Diabetes und einer seltenen Form der Leukämie gezeichneter und sich ständig in Behandlung befindlicher Mann hatte eine weitere Krebsdiagnose bekommen, was glücklicherweise durch eine Operation zunächst erfolgreich behandelt werden konnte.
Zudem hatte sich eins ihrer Enkelkinder bei einem Haushaltsunfall schwer verletzt und benötigte langwierige Behandlungen. Meine Patientin, nebenbei noch in Teilzeit berufstätig, war über den Streitereien mit Versicherungen, Krankenhausbesuchen und Umzügen an das Ende ihrer Kräfte gelangt und begann die Reha zunächst mit dem Ziel, sich von den letzten Monaten zu erholen, Abstand zu gewinnen und wieder zu Kräften zu gelangen.
Sie wollte ihre „Akkus aufladen“, zumal sie wusste, dass die nächsten Jahre nicht unbedingt einfacher werden würden. Die Leukämie ihres Mannes konnte zwar aktuell durch spezielle Medikamente vorübergehend aufgehalten werden, würde jedoch mittelfristig, um eine Heilung zu erreichen, eine schwerwiegende und riskante Behandlung erfordern. Sie selbst hatte das Gefühl, ihr Mann sei sich nicht einmal sicher, ob er die Behandlung überhaupt in Anspruch nehmen würde. Ich begann mit ihr, das Thema Resilienz zu bearbeiten.
In acht Schritten zum Burn-Out
Es beginnt alles mit dem Wunsch, sich zu beweisen. Dieser aber treibt einen in den Zwang, sich noch mehr anzustrengen, noch mehr zu leisten bzw. es allen recht zu machen. Man nimmt jeden Auftrag an, sagt immer seltener Nein. Jettet von Termin zu Termin. Und nimmt abends Arbeit mit nach Hause.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Man nimmt seine eigenen Bedürfnisse nicht mehr wahr. Schläft zu wenig, isst hastig oder gar nichts. Sagt den Kinobesuch mit Freunden ab.
Man missachtet die Warnsignale des Körpers, wie Schlafstörungen, Verspannungen, Kopfschmerzen, hoher Blutdruck, flaches Atmen, Konzentrationsschwäche.
Um wieder funktionieren zu können, greifen manche zu Drogen wie Schmerzmitteln, Schlaftabletten, Alkohol, Aufputschern.
Das eigene Wertesystem verändert sich. Die Freunde sind langweilig, der Besuch mit dem Kollegen im Café verschwendete Zeit. Die Probleme mit dem Partner oder Familie nimmt man einfach nicht mehr wahr. Man zieht sich zurück aus gesellschaftlichen Kontakten. Und endet oft in völliger Isolation.
Die Persönlichkeit verändert sich. Alles dreht sich nur noch darum, zu funktionieren, zu arbeiten. Gefühle und Emotionen werden verdrängt. Man verliert den Humor, reagiert mit Schärfe und Sarkasmus, empfindet Verachtung für Menschen, die das Faulsein genießen. Man verhärtet.
Man verliert das Gefühl für die eigene Persönlichkeit. Spürt nur noch Gereiztheit, Schmerzen, Erschöpfung, Überlastung, Angst vor einem Zusammenbruch. Und sonst nichts mehr. Keine Freude, keine Fröhlichkeit, keine Neugierde. Der Mensch funktioniert wie eine Maschine. Die Seele erstarrt.
Die wachsende innere Leere, genährt von dem Gedanken "Wenn ich nicht arbeite, was bin ich dann?", führt zur Depression, zur völligen Erschöpfung, zum Zusammenbruch, zum Ausgebranntsein.
Der Begriff Resilienz ist seit einigen Jahren immer häufiger in der großen Welt der psychologischen Forschungen und Ratgeber anzutreffen. Ursprünglich aus der Materialwissenschaft stammend, beschrieb der Begriff Resilienz zunächst, zu welchem Ausmaß ein Stoff sich nach einer Verformung wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Demzufolge wurde Gummi als ein sehr resilienter Stoff und Holz als nicht besonders resilient angesehen. Psychologen übernahmen den Begriff später als Bezeichnung für eine psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber widrigen äußeren Bedingungen oder die Psyche beeinträchtigenden Lebensereignissen – resiliente Menschen sind also auch bei schwereren Krisen in der Lage, ihre geistige und körperliche Gesundheit weitgehend beizubehalten.
Faktoren, die zu Resilienz beitragen und somit unsere Gesundheit schützen, sind vielfältig und beinhalten beispielsweise körperliche Fitness, aktuelles Stresslevel, Optimismus, Selbstbewusstsein, - akzeptanz und -bestimmung, stabile Partnerschaften oder Freundschaften, soziale Kompetenzen, Bildung, eine ausgeglichene Work-Life-Balance und letztlich auch genetische Veranlagung. Einige dieser Faktoren lassen sich kurz- oder mittelfristig, andere langfristig und die Genetik gar nicht ändern. Das Programm, das Patienten während einer Reha-Maßnahme durchlaufen, deckt etwa durch Sportprogramm, Stressbewältigungsgruppen oder Entspannungsverfahren einen großen Teil dieser Faktoren ab. Die Faktoren, an denen ich als Therapeut in der Regel mit den Patienten arbeite, sind eher die individuellen psychologischen Prozesse wie die Aufarbeitung von Beziehungen oder biografische Selbstwertarbeit.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Meine Patientin wies ein für die von außen auf sie zuströmenden Belastungen ein überraschend hohes Funktionsniveau auf. Trotz ihrer vielen Verantwortungen und der sie immer wieder zurückwerfenden Ereignisse hatte sie sich ihren Humor, Optimismus und pragmatische Herangehensweise weitgehend beibehalten, was auch für die Zukunft eine den Umständen entsprechend gute psychische Gesundheit erwarten lässt. Sie vermisste lediglich etwas die Unabhängigkeit von ihrer Familie, die ihre Kräfte arg strapaziert hatte, so dass wir zusammen verschiedene Freizeitaktivitäten wie Yoga- und Malkurse für sie heraussuchten.
Außerdem wollte sie sich in ihrem Heimatort im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten ehrenamtlich engagieren, um bessere Anbindung an die Dorfgemeinschaft zu erlangen. Durch den Abstand von Arbeit und Familie gestärkt, konnte sie voller Tatendrang in den Alltag entlassen werden, wo das nach dem Wasserschaden kernsanierte Haus auf sie wartete.
Geritt Müller heißt eigentlich anders. Er arbeitet als Psychotherapeut in einer Klinik im Sauerland. Um die Identität seiner Patienten zu schützen, haben wir ihm einen anderen Namen gegeben.