Die Kampagne: An dieser Kampagne scheiden sich die Urteile der Werbe-Experten. Und genau diese Polarisierung macht sie so besonders. Die einen bemängeln, dass die Schwarz-Weiß-Fotos aus dem politischen Alltag des smarten Spitzenkandidaten Christian Lindner eher an "Konzertankündigungen" erinnern, die anderen vermissen den klaren Wiedererkennungswert für die FDP. Mal sieht man Lindner im Autorückspiegel, mal lässig im Hörsaal.
Dann wieder zieht er wie ein Dressman den Mantel an oder liest auf dem Smartphone, während er isst. Das Konzept der Plakate brüllt einen an: Unser Mann ist authentisch. Der Slogan: "Es geht um unser Land." Was auffällt: Im Gegensatz zur großen Oppositionspartei CDU will die kleine Oppositionspartei FDP, die sich neuerdings "Freie Demokraten" nennt, wenigstens ein bisschen frech sein.
Ein Spruch wie "Nur weil Kinder gerne im Dreck spielen, müssen die Schulen nicht so aussehen", provoziert und berührt. Der ungeschminkte Christian Lindner im Unterhemd machte Schlagzeilen von BILD bis meedia.de - und sorgte allein am ersten Tag der Veröffentlichung bei Facebook für mehrere hunderttausend Klicks.
Allen Kritikern zum Trotz: Der Wiedererkennungswert der Kampagne ist enorm. Einziges Manko: Sie ist - für die FDP nicht untypisch - eine One-Man-Personality-Show. Das könnte für Verdruss bei potenziellen Wählern in NRW sorgen, denen Lindner ja bereits angekündigt hat, im Herbst auf jeden Fall in den Bundestag einziehen zu wollen.
Die Kommunikation: "Christian Lindner hebt sich rhetorisch durch klare Inhalte und einfache Satzstrukturen von seinen Mitstreitern ab", schwärmt Rhetorik-Trainer Michael Ehlers. Seine Analyse: Lindner beschränkt sich in seinen Antworten auf das Wesentliche und weiß sie an Stellen mit potenziellem Erklärungsbedarf mit simplen, aber präzisen Kausalitätsketten im "Wenn-Dann-Stil" zu ergänzen. Nachdruck verleiht der FDP-ler seinen Interessen durch sogenannte Inversionen. Dabei wird mit der gängigen Satzgliedfolge von Subjekt-Prädikat-Objekt gebrochen und einfach mal das Objekt an den Satzanfang gestellt. Ein Beispiel: "In Bildung müssen wir investieren!" Gern arbeitet Lindner auch mit Antithesen, Steigerungen und Auslassungen. So kann der FDP-Spitzenkandidat in kurzer Zeit wesentliche Informationen vermitteln und filtert für den Zuhörer direkt beim Sprechen alles Wesentliche. Ehlers' Fazit: Lindner ist ein Rhetorik-Profi, dem man sehr gerne zuhört.
Özlem Alev Demirel, DIE LINKE
Die Kampagne: Die Spitzenkandidatin der Linken sucht man in NRW auf Plakaten vergeblich. Stattdessen dominieren kommunale Kandidaten und Symbol-Plakate von Menschen mit kämpferischer Arbeiter-Faust. "Zeig Stärke" steht darüber. Oder - wie in Köln - "Kalle für alle!" Der Kandidat heißt so.
So geht es nicht: Die populärsten Irrtümer, wie eine gute Rede aussieht
"Tun Sie es nicht", warnt Rhetorik-Trainer und Buchautor Matthias Pöhm in seiner Sammlung der typischen Rhetorik-Irrtümer. "Gerhard Schröder, Obama und Konsorten stellen sich nicht selbst vor. Wer sich vorstellt, hat's nötig und macht sich dadurch klein." Er ist überzeugt: "Wenn Sie gut waren, dann machen die Leute sich schon von selbst schlau, wenn nicht... ist es gut, dass Sie's nicht erwähnt haben."
Im Fernsehen wird vorher auch nicht verraten, wer der Mörder ist. Eine Übersicht am Anfang des Vortrags langeweilt nur. Und: Martin Luther King, Cicero und Obama gaben auch keine Übersicht, worüber sie reden wollten.
Ein ganz ähnlicher Tipp ist der, am Anfang zu erklären, worüber man sprechen will, dann darüber zu sprechen und am Schluss eine Zusammenfassung zu geben. Dieses Rhetorikschema ist leider so wirkungsvoll wie eine Schlaftablette. Stellen Sie sich vor, die Ansagerin vom "Tatort" sagt am kommenden Sonntag: "Der Mörder ist diesmal der Direktor", dann kommt der Krimi und am Schluss heißt es: "Sie haben heute erlebt, wie der Kommissar den Direktor als Mörder entlarvte."
"Meine Damen und Herren, schon Goethe wusste..." Das wirkt altväterlich, ausgelutscht. Benutzen Sie statt dessen eigene Lebensweisheiten, statt die von Laotse, Buddha oder Goethe.
Dieser Tipp ist so alt wie das Fischgleichnis, das Jesus den Fischern gab. Wenn Sie kein Mediziner sind und vor Ärzten sprechen sollen, versuchen Sie es nicht mit einem Gleichnis aus der Medizin. Nehmen Sie etwas, das weit weg von der Berufswelt der Zuhörer ist.
Angeblich kann das Unterbewusstsein das Wort "nicht" nicht verarbeiten. Als Beweis wird seit Jahrzehnten der Satz "Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten" bemüht. Wenn ein Hypnotiseur einem Menschen die Anweisung "Du kannst nicht aufstehen" gibt, wird das vom Unterbewusstsein allerdings sehr wohl verarbeitet.
Lächeln erzeugt Sympathien, das ist richtig. Es ist aber kein Grund, bei einer Rede andauernd zu grinsen. Wenn der Redner auf Dauerlächeln oder allgemein starke Mimik verzichtet, erzielt er eine bessere Wirkung.
Wenn Sie einen Auftrag haben wollen oder Menschen dazu bewegen wollen, ein Projekt mir Ihnen zu realisieren, dann haben Sie eine höhere Wirkung wenn Sie von "Ich" sprechen, als von "Wir". Man vertraut einem einzelnen Menschen mehr als abstrakten Gebilden wie Firmen, Abteilungen und Teams.
Wer einfach von "Bürgern" redet, erzeugt wesentlich mehr Schubkraft als mit der gendergerechten Version "Bürgerinnen und Bürger". Das wirkt angestrengt, bemüht, verkopft - und alles das sollte eine Rede nicht sein. Pöhm ist überzeugt: "Auch die Frauen, die diese Formulierung fordern, reden beim privaten Kaffeplausch mit ihrer Freundin nicht so. Die natürliche, ungekünstelte Alltagssprache ist immer auch die Sprache der höchsten Wirkung auf das Publikum."
Viele gehen davon aus, dass sich eine Information besser festsetzt, wenn man sie nicht nur hört, sondern auch noch sieht - also liest. Und schon hat der Redner ein Argument, sich hinter Folien zu verbergen. "Wenn Sie den selben Text ohne Folienunterstützung sprechen, werden Sie eine dramatisch höhere Wirkung erleben", so Pöhm. Gleiches gelte für den Rat "Ein Bild sagt ein mehr als 1000 Worte.". Zwar glaube der ganze Planet daran, im Vortrag sei es jedoch wirkungsvoller ein Bild mit Worten zu beschreiben, als einfach ein Foto zu zeigen. Denn ohne das Foto ist die eigene Vorstellungskraft gefragt.
"Vom Whiteboard, zu Pinnwand, zu Overhead, zu PowerPoint": Oft wird gepredigt, dass ein häufiger Wechsel des Präsentationsmittels angeblich die Präsentation lebendiger macht. Tatsächlich macht es sie nur hektischer. Pöhm rät deshalb: "Bleiben Sie beim Flipchart."
Verschränkte Arme bedeuten Verschlossenheit und Ablehnung ist ein weiterer Irrtum. In Ausnahmefällen trifft es zu, aber wenn man Menschen beim Präsentieren erlebt, die es tun, dann wirkt das in der Regel überhaupt nicht "ablehnend". Gleiches gilt für die Hand in der Hosentasche, die angeblich nicht erlaubt ist. Pöhm: "Das gilt für Jeans, die Taschen haben, wo man die Hand nur von oben reinstecken kann. Das wirkt tatsächlich unvorteilhaft. Aber bei Stoffhosen, wo die Tasche eine seitliche Öffnung hat, sieht es sehr cool aus, wenn EINE Hand in der Hosentasche ist und die andere gestikuliert."
"Redner und Präsentatoren laufen bei einer U-Form Bestuhlung oft in die U-Form und bewegen sich auf einzelne Teilnehmer zu. Das soll angeblich Nähe und "Verbindung" zum Publikum erschaffen. In der Gegenüberstellung, wo der Redner auf dem "Machtpunkt" in der energetischen Mitte des Auditoriums stehen bleibt und damit viel mehr Autorität ausstrahlt, erkennt man, dass diese Regel ein Irrtum ist."
Pöhm sagt ganz klar: "Menschen lieben es, wenn man Ihnen Ratschläge gibt. Keiner fühlt sich "geschlagen"." Er empfiehlt: "Probieren Sie es aus."
Das wirkt alles ein bisschen wie RTL2-Werbung, schärft aber den Markenkern als Protestpartei gegen soziale Ungerechtigkeit ungemein. Die Kampagne ist eine Heimat für die Stammwählerschaft, aber darüber hinaus?
Die Kommunikation: "Unsicher, die Gesichtszüge entgleiten ihr leicht", bemängelt Kommunikations-Profi Michael Ehlers beim Anschauen des WDR-Kandidatencheck-Videos. Doch er rechnet Frau Demirel an: "Sie spricht aus dem Herzen und für jedermann verständlich." Fazit: Rhetorisch unsicher, aber viel Mensch.