Gesundheit Doping im Büro: Was Leistungsdruck anrichtet

Seite 2/5

Modafinil: Narkoleptiker können damit wach bleiben. Aber auch bei Gesunden erhöht es die Aufmerksamkeit und geistige Präsenz, ohne sie high zu machen.

Wer sich gar nicht mehr anders zu helfen weiß, greift sogar zu Drogen wie Amphetamin und Kokain. „Das Gramm Koks gibt es doch heute schon für 60 Euro“, sagt Joachim Evers, der im Online-Netzwerk Xing die Selbsthilfegruppe „Sucht und Beruf/Karriere“ moderiert, „Lieferung an den Schreibtisch inklusive.“

Zum Beispiel in die Büros von Bankern oder Börsenhändlern. Wer hauptberuflich mit Aktien und Optionen handelt, muss schnell reagieren können. Kaufen, wenn die Kurse nach oben ausschlagen; verkaufen, wenn sich die Linien am Bildschirm nach unten krümmen.

„Wir alle stehen unter enormem Leistungs- und Konkurrenzdruck. Schafft man in einer Woche auch nur ein paar Deals zu wenig, kann man schnell weg sein vom Fenster“, sagt Sven Heidgens*, ein Frankfurter Aktienhändler. Er hat festgestellt: „An dem Trader-Job gehen viele früher oder später körperlich oder psychisch kaputt.“

Nicht wenige Kollegen würden deswegen zu Aufputschmitteln greifen oder sich Psychopharmaka verschreiben lassen, die die Konzentration erhöhen und den Stress dämpfen. „Nützt das alles nicht mehr, habe ich auch schon erlebt, wie Kollegen Kokain genommen haben“, sagt er. Er selbst habe das noch nicht versucht, halte sich aber mit „viel Kaffee, Guarana-Kapseln, Vitaminen, Mirtazapin (Antidepressivum, d. Red.) für stets gute Laune und Abilify (Schizophrenie-Therapeutikum) zur Leistungssteigerung“ fit.

Auch in deutschen Hörsälen hat sich herumgesprochen, dass Doping bei der Jagd nach Bestnoten hilft. In Internet-Foren wird eifrig darüber diskutiert. „Ich bin fast vom Stuhl gekippt als ich in der Examensvorbereitung mitbekommen habe, wie viele von meinen Kommilitonen irgendwas nehmen, um mehr lernen zu können“, berichtet eine Studentin. „Vor allem Koks scheint absolut normal zu sein.“

Wer das nicht glaubt, braucht nur Isabella Heuser zu fragen. Heuser ist Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité. Sie kann zwar keine Statistiken hervorziehen, denn die gibt es noch nicht. Aber sie spricht aus Erfahrung: Bei der Ärztin melden sich immer wieder Studierende, „die so viel von dem Zeug genommen haben, dass sie Panikattacken, Herz-Rhythmus-Störungen, hohen Blutdruck und Schlafstörungen bekommen“.

Wie ansteckend der Tablettenkonsum ist, zeigt ein Blick über den Atlantik. In den USA ist der Umsatz mit Psychopharmaka in den letzten zehn Jahren von knapp 8 auf 25 Milliarden Dollar gestiegen. Regierungsangaben zufolge missbrauchen annähernd zehn Prozent der Schüler rezeptpflichtige Medikamente, die in den USA mit einem „Rx“ gekennzeichnet sind; unter Studierenden könnten es Schätzungen zufolge bis zu 25 Prozent sein. Experten sprechen bereits von einer „Generation Rx“.

Verwunderlich ist das nicht: Die Professoren machen es schließlich vor. Unter Wissenschaftlern ist der Konsum von stimulierender Nervennahrung anscheinend Usus: Als das Fachmagazin „Nature“ zu Beginn dieses Jahres anonym 1400 Forscher aus 60 Ländern befragte, gestanden 62 Prozent freimütig, schon einmal Ritalin konsumiert zu haben. Rund 44 Prozent setzen auf das Narkolepsie-Mittel Provigil.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%