Gesundheit Doping im Büro: Was Leistungsdruck anrichtet

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Das menschliche Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die über rund 100 Billionen Synapsen Signale austauschen. Dazu schütten sie Neurotransmitter aus. Einer dieser Botenstoffe ist Dopamin. Umgangssprachlich wird es auch als „Glückshormon“ bezeichnet, weil es etwa nach Essen, Trinken oder Sex wie eine Belohnung ausgeschüttet wird. Sowohl Kokain als auch Amphetamin und Medikamente wie Ritalin bewirken, dass der Dopaminspiegel steigt. Und mit ihm das Glücksgefühl.

„Menschen brauchen Nahrung, Schlaf, Sicherheit, Liebe, sie wollen sich selbst verwirklichen. Und raten Sie mal, welche dieser Bedürfnisse die Droge befriedigt“, fragt der Therapeut in die Runde. „Ich sage es Ihnen: Alle auf einmal.“

Genau dieses schier unglaubliche Gefühl speichert das Hirn als Idealzustand ab. Immer wieder vergleicht es die harte Realität, den Stress und den Druck mit dem angenehmen „High“, das sich unter Drogen einstellt. Was früher glücklich gemacht hat – gutes Essen, schöne Musik, inniger Sex –, erscheint demgegenüber auf einmal fade und reizlos. Lässt die Wirkung nach, verlangt das Hirn Nachschub. 50-mal am Tag, wie bei dem jungen Mann. Oder öfter.

Spätestens jetzt ist er dem Stoff ausgeliefert, der ihn anfangs so stark gemacht hat. „Abhängigkeit ist keine Schwäche, sondern eine Krankheit“, sagt der Therapeut, „daran sind nicht Sie schuld, sondern die Droge.“

Dazu stehen will dennoch kaum jemand. Vor allem Führungskräfte behalten ihr Problem lange für sich. Betriebsärzte und Suchtbeauftragte? Die sind für andere da: für den Cannabis-rauchenden Azubi oder den Kollegen in der Warenannahme, der nicht mehr ohne Alkohol kann. Aber » nicht für den Chef, der Verantwortung trägt und ein perfektes Vorbild sein muss. Der sich keine Auszeit erlauben kann.

Die meisten verleugnen deshalb so lange wie möglich, dass sie abhängig sind. Und selbst bei handfesten Beweisen trauen sich nur wenige Angehörige oder Kollegen, den Betroffenen anzusprechen – auch wenn das der richtige Schritt wäre (siehe Nase voll? Hilfe zum Ausstieg). Erst wenn das Unternehmen in die roten Zahlen rutscht oder die Angehörigen mit Trennung drohen, wird der Impuls, einen Ausweg zu suchen, stärker als die Sucht nach der Droge.

Ein Ausweg. Möglichst diskret, möglichst anonym. Manager und Macher suchen ihn dort, wo sie keiner kennt. Wer aus Frankfurt kommt, fährt nach Wiesbaden; wer in Köln lebt, steigt in den Zug nach Düsseldorf. Und wem selbst das zu riskant ist, der reist noch weiter. Zum Beispiel per Flugzeug nach Zürich, von dort mit dem Mietwagen durch die Berge, über den Brünigpass, ins Haslital. Zu Michael Soyka, dem ärztlichen Direktor der Privatklinik Meiringen.

Wie eine andere Welt liegt das Krankenhaus zwischen hohen Bergen im Berner Oberland. Weit weg von der stressigen Welt der Geschäftsessen und Konferenzen. Die Kulisse bietet das perfekte Alibi, um die eigene Abwesenheit in der Firma als Urlaub zu verkaufen. Auch wenn es in Wirklichkeit darum geht, von den Pillen loszukommen.

Soyka hat schon viele Führungskräfte und Firmenchefs aus Deutschland behandelt. „Wir bieten eben eine sehr persönliche und vertrauliche Behandlung in einer intimen Atmosphäre“, sagt Soyka. Und es gibt einen weiteren Grund: Neben „konventioneller Entgiftung und Psychotherapie“ bietet die Klinik die sogenannte „Prometa-Therapie“ an. Bei dieser neuartigen Behandlung, mit der Soyka die „biologischen Anteile der Abhängigkeit in den Griff kriegen will“, kommt der Patient für etwa vier Tage in die Klinik und erhält Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel. Sie sollen die chemischen Veränderungen im Gehirn, die bei einer Abhängigkeit entstehen, in Ordnung bringen und das Craving mildern. Vorteil der Therapie: Nach wenigen Tagen in der Klinik kann sie in Verbindung mit einer Psychotherapie zu Hause fortgesetzt werden – ganz diskret.

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