Hannelore Kraft Eine Landesmutter schafft sich ab

Wer Wahlen verliert, zieht in der Regel Konsequenzen aus seiner Niederlage. Ein offener Brief an die noch amtierende NRW-Ministerpräsidentin – und eine Fallstudie über die Kommunikationsfehler von Führungskräften.

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Zehn Reden für die Ewigkeit
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Noch in der vorherigen Kolumne haben wir NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ausdrücklich für ihren honorigen Abgang gelobt. Doch dann wollte sie plötzlich gar nicht mehr da sein und zeigte, wie man es bei Niederlagen besser nicht machen sollte. Anlass für ein offenes Wort und für die Frage, warum sich besonders Spitzenpolitiker und Top-Manager so schwer tun mit der Kommunikation.

Liebe Hannelore Kraft,

oder sollte ich treffender schreiben, sehr geehrte Ministerpräsidentin? Schließlich sind Sie das ja noch, bis der Landtag am 27. Juni Armin Laschet zu Ihrem Nachfolger wählen wird. Nichts deutet seit Ihrer Wahlniederlage mehr darauf hin, dass Sie sieben Jahre das größte deutsche Bundesland regiert haben. Sie sind weg, fast unsichtbar - und meiden nicht nur die mediale Öffentlichkeit, sondern sogar Ihre Genossen beim SPD-Parteitag. Martin Schulz verlor über Sie kein einziges Wort. Für Ihren Nachfolger Michael Groschek sind Sie nur noch – beiläufig - „Frau Kraft“. Einzig in Ihrem Wahlkreis hat Sie der eine oder andere in den vergangenen Wochen gesehen. Ihre Profile bei Facebook und Twitter: gelöscht!

Was ist bloß los mit Ihnen? Ausgerechnet Sie, die lange Zeit wie keine andere Politikerin den glaubwürdigen Eindruck vermittelt haben, es gehe Ihnen mehr um die Menschen als um die politische Macht. Begegnet sind wir uns zum ersten Mal 2001. Ich begann als Talk-Redakteur im WDR, Sie waren frisch gewählte Europa-Ministerin unter Wolfgang Clement und Einzel-Gast in unserer Sendung. Einzel-Gäste: Das sind diejenigen in Talkshows, die im Publikum sitzen und irgendwann an ein Experten-Pult oder auf das sogenannte „Betroffenen-Sofa“ gebeten werden. Sie fielen mir auf, weil Sie eines gut konnten: Menschen zuhören und Menschen das Gefühl geben, dass sie Ihnen in diesem Moment wichtig sind. Und vielleicht sogar über den Moment hinaus.

Zehn Tipps für die perfekte Rede

Wer lange als Journalist arbeitet, kennt dieses Gefühl: Trotz aller kritischen Distanz zu den Mächtigen, denen man qua Berufsehre lieber auf die Finger klopft als sich mit ihnen gemein zu machen, hat man es doch ganz gerne, wenn Interviewpartner einen auch außerhalb des Studios wieder erkennen. Prominente Politiker merken sich fast immer den Moderator, doch eher selten den vorbereitenden Redakteur. Sie waren in dieser Hinsicht erfrischend anders - auch als Ministerpräsidentin.

Jahre später: Begrüßung vor der Sendung in der Garderobe der WDR-Studios in der Kölner Innenstadt. Ich ging fest davon aus, dass Sie nach so langer Zeit bestimmt nicht mehr wissen, wer ich bin, und stellte mich Ihnen noch einmal mit meinem Namen vor. Ihre Reaktion: Lächeln. Staunen. Dann der Satz: „Aber wir kennen uns doch schon so lange!“ Das war besonders, nahbar, sympathisch.

Politische Wurzeln in Nordrhein-Westfalen

Denn viele prominente Alpha-Männer und -Frauen unterscheiden Menschen, denen sie begegnen, zwischen wichtig und nicht ganz so wichtig. Und lassen einen das auch spüren. 15 Jahre TV-Talk haben mir gezeigt, dass es in der Regel die richtig Großen sind, die auch die vermeintlich unwichtigeren Schaffenden wahrnehmen. TV-Legende Blacky Fuchsberger begrüßte im Studio jeden einzelnen Mitwirkenden persönlich. Und sowohl Erfolgs-Regisseur Dieter Wedel als auch Show-Star Thomas Gottschalk stellten sich auf Aftershow-Parties lieber zum „normalen Volk“ als an den VIP-Tisch.

Auch Sie, liebe Frau Kraft, liebten und lebten Ihre Bodenständigkeit. So ist und gehört sich das in Ihrer Wahlkreis-Heimat Mülheim an der Ruhr. Und deshalb signalisierten Sie früh Richtung Willy-Brandt-Haus in Berlin, wo Ihre politischen Wurzeln sind und bleiben sollen: in Nordrhein-Westfalen.

Tipps für die perfekte Rede

Sie waren erst wenige Tage im Amt als NRW-Ministerpräsidentin, als Duisburg am 24. Juli 2010 von der schrecklichen Loveparade-Katastrophe heimgesucht wurde. 21 junge Menschen wollten feiern und wurden totgetrampelt. Wie eine Mutter spendeten Sie Trost. Sie fanden exakt die richtigen Worte, die der OB von Duisburg partout nicht fand. Sogar Ihre Kritiker zollten Ihnen damals Respekt: „Mit Menschen kann sie.“

In den vergangenen Jahren sind wir uns immer mal wieder am Rande von Veranstaltungen und Sendungen begegnet. Zuletzt im Januar 2016, kurz nach den Übergriffen auf der Kölner Domplatte in der Silvesternacht. Sie äußerten sich zu dem Unvorstellbaren. Doch bis Sie es taten, dauerte es – für Ihre Verhältnisse – und auch objektiv - viel zu lang. Wir unterhielten uns darüber. Sie wirkten merkwürdig zerknirscht. Wie aus der Zeit gefallen. „Warum muss man als Politiker heutzutage innerhalb von Minuten alles Mögliche twittern oder in den Talk?“, habe ich Sie noch im Ohr. Und wunderte mich. Es waren Tage seit Silvester vergangen. Es ging um Köln, die größte Stadt in NRW. Frauen waren überwiegend die Opfer. Und Sie wollten nicht reden. Was habe ich von einer „Landesmutter“ zu halten, die in unfassbaren Momenten lieber schweigt als tröstet? Selbst wenn sie den Trost twittern sollte.

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