In den Monaten danach trafen Sie leider nie mehr den guten Ton, den ich von Ihnen gewohnt war. Direkt, manchmal auch ein bisschen derb, aber immer gerade heraus - wie die Menschen in Ihrem Wahlkreis: So kannte ich Sie. Ein bisschen so wie Wolfgang Bosbach als Frau und von der SPD. Dass Sie so lange an Ihrem Innenminister Ralf Jäger festhielten, habe ich Ihnen anfangs noch als Loyalität durchgehen lassen.
Dass Sie seine Kritiker noch nicht mal richtig verstehen wollten, weniger. Das Bild von der „Landesmutter“ hat für mich mit der Silvesternacht von Köln einen Knacks bekommen. Und das losgelöst von irgendwelchen wirtschaftlichen Eckdaten Ihres politischen Erfolgs in NRW. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker mühte sich damals mit der „Armlänge Abstand“, genau die Empathie zu zeigen, die Sie nicht geben konnten oder wollten. Leider geriet es ihr zu tantenhaft.
Wenn Sie nach dem Januar 2016 einen Ihrer immer seltener werdenden Medienauftritte hatten, umwehte Sie ein merkwürdiger Habitus der selbstgerechten Null-Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Als ich Sie monatelang für ein innovatives Web-TV-Format einer der größten deutschen Medienmarken anfragte, ließen Sie entweder ausrichten: Termine! Oder: nicht das passende Format! Selbst beim NRW-TV-Duell blieb von Ihnen im Nachgang medial hängen: Kraft beschwert sich bei den Moderatorinnen, weil sie kein Schlusswort bekommt.
Überhaupt: Das Moderne schien so gar nicht Ihres zu sein. Und so löschten Sie unmittelbar nach der Wahl Ihre Konten bei Facebook und Twitter. Und stießen Ihre immerhin 2,6 Millionen direkten Wähler vor den Kopf. Verbittert, zerknirscht, trotzig. Warum nur? Kommunikativ betrachtet ist Schweigen gepaart mit Ignoranz und Trend-Verweigerung heutzutage immer die schlechteste Lösung. Doch nicht nur Spitzenpolitiker können gestrig sein. Auch viele Wirtschaftschefs verschenken ein gewaltiges Potenzial, weil sie mit digitalen Medien nichts am Hut haben oder der Öffentlichkeit lieber gar nichts sagen wollen.
Nachfrage bei einem, der sich mit Führungskräften auskennt: Stephan Grabmeier berät seit vielen Jahren erfolgreiche Mittelständler und Top-Konzerne wie Daimler oder die Deutsche Telekom beim digitalen Wandel. Seine Beobachtung: „Deutschlands Wirtschaftslenker fahren zwar gern ins Silicon Valley, können aber noch nicht mal Twitter bedienen.“ Und noch etwas hat Grabmeier festgestellt: „Je höher die Hierarchieebene, desto weniger Ahnung hat ein Top-Manager von der Digitalisierung und von den realen Problemen im Unternehmen.“ Ein persönlicher Eindruck aus dem Berufsalltag, der kürzlich auch durch eine Untersuchung der internationalen Managementberatung Oliver Wyman gestützt wurde. Danach sind von den 195 deutschen DAX-Vorständen zwei Drittel auf keiner sozialen Internet-Plattform wie XING, LinkedIn oder Twitter zu finden.
Es gibt sie bei Spitzenpolitikern und Wirtschaftsbossen also häufiger: Die Diskrepanz zwischen dem, was heute kommunikativ auf der Höhe der Zeit wäre und dem eigenen Umgang mit Twitter & Co. Warum ist das so? Zukunftsmanager Pero Mićić sitzt im Beirat des weltweit ersten Master-Studiengangs in „Future Studies“ in Houston/USA. Er hat deutsche Mittelständler wie Miele, Ravensburger und Bosch genauso beraten wie den Weltkonzern Nestlé und das Bundeskriminalamt. Den Grund dafür, warum wir Neues so konsequent ablehnen, sieht Mićić in der Evolution: „Als wir noch gejagt und gesammelt haben, war der Blick in die Zukunft nicht nötig. Wir sind als Mensch gebaut für eine Welt, in der sich wenig verändert und in der unser Tun keinen großen Schaden anrichten kann. Und so wählen wir fast immer die kurzfristig angenehmste Option."
Sie sind also nicht allein, liebe Frau Kraft. Vor allem sind Sie laut Analyse des Zukunftsmanagers auch nur ein ganz normaler Mensch. Und als solcher haben Sie sich doch auch immer ziemlich wohl gefühlt.
Wie es einem trotz der Evolution gelingen kann, aus einer Krise wiederaufzuerstehen und gleichzeitig Menschen ungefiltert zu erreichen, beweist in Ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen FDP-Chef Christian Lindner. Selten waren Wähler via Facebook so dicht dran an den Koalitionsverhandlungen in Düsseldorf. Mal meldet sich Lindner ausführlich von seinem Privat-Balkon oder aus dem Auto zu Wort, dann wieder gibt er kurze stichwortartige Updates aus dem „Inner Circle“ der Politik. Lindner will, dass Modernisierung und sozialer Ausgleich kein Gegensatz sind, und bedroht Ihre SPD damit in ihrem Markenkern.
Persönliche Kontakt ist wichtig
Und im Gegensatz zu Ihnen empfindet der FDP-Politiker die digitale Kommunikation nicht als Bedrohung. Im Gegenteil: In einer Checkliste im Internet legt Christian Lindner offen, welche Projekte der Freien Demokraten sich im Koalitionsvertrag mit der CDU wiederfinden. Und über die Inhalte lässt er die 15.500 FDP-Mitglieder nicht in irgendeiner Stadthalle, sondern online abstimmen. Hoffen wir mal, dass er auch nach seinem sehr wahrscheinlichen Wechsel nach Berlin ähnlich offene Worte für seine Wähler in NRW findet.
Ich ahne, was Sie darüber denken, liebe Frau Kraft, denn ich weiß, wie sehr Sie den Straßenwahlkampf schätzen, dieses Klinkenputzen zwischen Bonn, Aachen und Bielefeld. Lieber noch zwischen Oberhausen, Duisburg und Dortmund. Das ungeschminkte Gespräch mit den Menschen. Der persönliche Kontakt ist zweifellos wichtig, doch Wähler – und vor allem Wechselwähler - erreicht man heutzutage nur auf allen Kommunikationskanälen. Vor allem auch auf den modernen...
So geht es nicht: Die populärsten Irrtümer, wie eine gute Rede aussieht
"Tun Sie es nicht", warnt Rhetorik-Trainer und Buchautor Matthias Pöhm in seiner Sammlung der typischen Rhetorik-Irrtümer. "Gerhard Schröder, Obama und Konsorten stellen sich nicht selbst vor. Wer sich vorstellt, hat's nötig und macht sich dadurch klein." Er ist überzeugt: "Wenn Sie gut waren, dann machen die Leute sich schon von selbst schlau, wenn nicht... ist es gut, dass Sie's nicht erwähnt haben."
Im Fernsehen wird vorher auch nicht verraten, wer der Mörder ist. Eine Übersicht am Anfang des Vortrags langeweilt nur. Und: Martin Luther King, Cicero und Obama gaben auch keine Übersicht, worüber sie reden wollten.
Ein ganz ähnlicher Tipp ist der, am Anfang zu erklären, worüber man sprechen will, dann darüber zu sprechen und am Schluss eine Zusammenfassung zu geben. Dieses Rhetorikschema ist leider so wirkungsvoll wie eine Schlaftablette. Stellen Sie sich vor, die Ansagerin vom "Tatort" sagt am kommenden Sonntag: "Der Mörder ist diesmal der Direktor", dann kommt der Krimi und am Schluss heißt es: "Sie haben heute erlebt, wie der Kommissar den Direktor als Mörder entlarvte."
"Meine Damen und Herren, schon Goethe wusste..." Das wirkt altväterlich, ausgelutscht. Benutzen Sie statt dessen eigene Lebensweisheiten, statt die von Laotse, Buddha oder Goethe.
Dieser Tipp ist so alt wie das Fischgleichnis, das Jesus den Fischern gab. Wenn Sie kein Mediziner sind und vor Ärzten sprechen sollen, versuchen Sie es nicht mit einem Gleichnis aus der Medizin. Nehmen Sie etwas, das weit weg von der Berufswelt der Zuhörer ist.
Angeblich kann das Unterbewusstsein das Wort "nicht" nicht verarbeiten. Als Beweis wird seit Jahrzehnten der Satz "Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten" bemüht. Wenn ein Hypnotiseur einem Menschen die Anweisung "Du kannst nicht aufstehen" gibt, wird das vom Unterbewusstsein allerdings sehr wohl verarbeitet.
Lächeln erzeugt Sympathien, das ist richtig. Es ist aber kein Grund, bei einer Rede andauernd zu grinsen. Wenn der Redner auf Dauerlächeln oder allgemein starke Mimik verzichtet, erzielt er eine bessere Wirkung.
Wenn Sie einen Auftrag haben wollen oder Menschen dazu bewegen wollen, ein Projekt mir Ihnen zu realisieren, dann haben Sie eine höhere Wirkung wenn Sie von "Ich" sprechen, als von "Wir". Man vertraut einem einzelnen Menschen mehr als abstrakten Gebilden wie Firmen, Abteilungen und Teams.
Wer einfach von "Bürgern" redet, erzeugt wesentlich mehr Schubkraft als mit der gendergerechten Version "Bürgerinnen und Bürger". Das wirkt angestrengt, bemüht, verkopft - und alles das sollte eine Rede nicht sein. Pöhm ist überzeugt: "Auch die Frauen, die diese Formulierung fordern, reden beim privaten Kaffeplausch mit ihrer Freundin nicht so. Die natürliche, ungekünstelte Alltagssprache ist immer auch die Sprache der höchsten Wirkung auf das Publikum."
Viele gehen davon aus, dass sich eine Information besser festsetzt, wenn man sie nicht nur hört, sondern auch noch sieht - also liest. Und schon hat der Redner ein Argument, sich hinter Folien zu verbergen. "Wenn Sie den selben Text ohne Folienunterstützung sprechen, werden Sie eine dramatisch höhere Wirkung erleben", so Pöhm. Gleiches gelte für den Rat "Ein Bild sagt ein mehr als 1000 Worte.". Zwar glaube der ganze Planet daran, im Vortrag sei es jedoch wirkungsvoller ein Bild mit Worten zu beschreiben, als einfach ein Foto zu zeigen. Denn ohne das Foto ist die eigene Vorstellungskraft gefragt.
"Vom Whiteboard, zu Pinnwand, zu Overhead, zu PowerPoint": Oft wird gepredigt, dass ein häufiger Wechsel des Präsentationsmittels angeblich die Präsentation lebendiger macht. Tatsächlich macht es sie nur hektischer. Pöhm rät deshalb: "Bleiben Sie beim Flipchart."
Verschränkte Arme bedeuten Verschlossenheit und Ablehnung ist ein weiterer Irrtum. In Ausnahmefällen trifft es zu, aber wenn man Menschen beim Präsentieren erlebt, die es tun, dann wirkt das in der Regel überhaupt nicht "ablehnend". Gleiches gilt für die Hand in der Hosentasche, die angeblich nicht erlaubt ist. Pöhm: "Das gilt für Jeans, die Taschen haben, wo man die Hand nur von oben reinstecken kann. Das wirkt tatsächlich unvorteilhaft. Aber bei Stoffhosen, wo die Tasche eine seitliche Öffnung hat, sieht es sehr cool aus, wenn EINE Hand in der Hosentasche ist und die andere gestikuliert."
"Redner und Präsentatoren laufen bei einer U-Form Bestuhlung oft in die U-Form und bewegen sich auf einzelne Teilnehmer zu. Das soll angeblich Nähe und "Verbindung" zum Publikum erschaffen. In der Gegenüberstellung, wo der Redner auf dem "Machtpunkt" in der energetischen Mitte des Auditoriums stehen bleibt und damit viel mehr Autorität ausstrahlt, erkennt man, dass diese Regel ein Irrtum ist."
Pöhm sagt ganz klar: "Menschen lieben es, wenn man Ihnen Ratschläge gibt. Keiner fühlt sich "geschlagen"." Er empfiehlt: "Probieren Sie es aus."
Ein Beispiel können Sie sich dafür an Ihrem Parteifreund Ralf Stegner nehmen, der unangefochtener Twitter-König aller Politiker ist. „Sympathiewerte bringt ihm das nicht“, höre ich Sie trocken sagen. Dafür aber Aufmerksamkeit. Soviel Aufmerksamkeit, dass er sich im aktuellen "Spiegel" auf zwei Seiten für seine schlechte Laune bei öffentlichen Auftritten rechtfertigen muss.
Das können Sie besser, sehr geehrte Ministerpräsidentin a.D.! Knüpfen Sie doch einfach an das an, was Sie mal beliebt gemacht hat. Sie vernachlässigen nämlich gerade Ihre eigene Marke „Hannelore Kraft: Politik mit Menschlichkeit“. Sich von Millionen Menschen wählen zu lassen und dann zu verstummen: Das ist respektlos. Wählern zu erklären, warum die „Landesmutter“ mal ein bisschen Ruhe braucht, das wäre groß. Mit 56 Jahren, da ist in einem Politikerleben doch lange noch nicht Schluss!