88 Prozent aller Befragten gaben kürzlich in einer Umfrage der Frankfurt Business Media an, ein persönlich wichtiges Lebensziel sei es, lange und gesund zu leben, 82 Prozent wollen finanziell unabhängig sein, 70 Prozent wollen die Welt sehen, reisen und 69 Prozent beruflichen Erfolg. Fragt man hingegen danach, inwieweit Menschen ihre persönlichen Lebensziele erreicht haben, sind die Zahlen weit ernüchternder: 39 Prozent leben gesund, 34 Prozent fühlen sich finanziell abgesichert und 24
Prozent haben schon viel von der Welt gesehen.
Wie schaffen wir es, unsere Ziele auch wirklich zu realisieren? Einen wichtigen Teil der Antwort liefert die US-amerikanische Neuro-Psychologin Lisa Feldman Barrett. Sie hat entdeckt, dass das Gehirn permanent vorhersagend denkt: Brain is predictive, not reactive! - eine Ansicht, die sich in der neuen Forschungsrichtung "Prospective Psychology" (Martin Seligman) durchgesetzt hat. Unser Gehirn lebt demnach zu weiten Teilen in der Zukunft. Die dazu notwendigen Informationen leiht es aus unseren bisher gemachten Erfahrungen.
Der Angestellte also, der mir kürzlich erzählte, er müsse sich jeden Morgen "zur Arbeit quälen", hat in der Vergangenheit negative Arbeitserfahrungen gemacht und programmiert seine Zukunft durch seine inneren Bilder und Wörter entsprechend auf negative, quälende Arbeit. Und seine Gefühle gleich mit: Wenn er zu solch einer "quälenden Arbeit" muss, ist er schlecht drauf. Und ganz klar unmotiviert. Erfahrungen der Vergangenheit werden so in die Zukunft projiziert und machen so die Gefühle von heute aus.
Zehn Tipps für mehr Konzentration im Leben
Jeder hat ein riesiges Potenzial und jeder hat gute Ideen. Die Frage ist nur: Wie gut kommen wir da heran, was filtern wir heraus, was halten wir fest? Und wie schnell geben wir auf? Laut gut recherchierten Gerüchten soll es bei einem Brainstorming die 71. Idee sein, die etwas taugt! Und selbst wenn Sie den Gerüchten nicht glauben mögen, glauben Sie mir: Es ist beileibe nicht die erste Idee, die etwas taugt. Halten Sie so lange durch?
Quelle: Hermann Scherers Buch Fokus
Hier geht es um die Tweets, die Sie sich selbst ständig senden und von denen 80 Prozent negativer Natur sind: Klagelieder, Gejammer und im Übrigen nichts als heiße Luft. Dabei kann man trainieren, mit sich selbst positiv zu sprechen. Einfach mal Ideen aufkeimen, aufblitzen, wieder zusammenfallen zu lassen.
Insgesamt unterscheiden wir beim Coaching vier Reifegrade. Bei den ersten beiden Reifegraden 1 und 2 gilt es, mehr mit positivem Feedback zu arbeiten, damit der Coachee Vertrauen bekommt – in diesem Fall auch zu sich selbst: Lob, Bestärkung, Zuspruch, wenn Sie etwas Gutes bemerken. Erst bei den erhöhten Reifegraden 3 und 4 können wir verstärkt mit konstruktiver Kritik und hartem Feedback arbeiten.
Je reifer Sie in Bezug auf das Selbstcoaching sind, desto genauer können Sie sich einschätzen. Einsteigern rate ich daher, sich immer dann positiv zu verstärken, wenn Sie einen geraden Gedanken und eine zielführende Tat bei sich entdecken. Erwischen Sie sich dagegen beim Prokrastinieren oder der Inszenierung einer neuen Ablenkung, nehmen Sie das bitte wahr, aber zucken Sie nachsichtig mit den Schultern und passen auf wie ein Luchs, dass Sie den nächsten Schritt in Richtung Ziel nicht verpassen.
Das mag nach Hokuspokus oder Kaffeesatzleserei klingen, aber ist nicht jede neue Idee erst mal scharfsinniger Unsinn? Aus dem, wenn wir die Fantasie spielen und Emotionen zulassen, am Ende häufig eine handfeste Entscheidung wird. Dokumentieren wir, wie wir die letzten Jahre erlebt haben, lassen dann die Vergangenheit ruhen und springen gedanklich in die Zukunft, um unsere Idealposition zu entwerfen, können wir nur gewinnen.
Beim Entscheiden gilt genau das gleiche wie das, was Paul Watzlawick für das Kommunizieren herausgefunden hat: Auch ein Schweigen ist beredt. Auch ein Pokerface spricht Bände. Auch eine unausgefüllte Steuererklärung führt zum Steuerbescheid. Sie entscheiden immer. Und wenn Sie nicht entscheiden, dann werden Sie entschieden – und das ist manchmal entscheidend für Ihr Leben. Daher bin ich überzeugt: Die Qualität Ihres Lebens hängt weniger von den Jas ab, die Sie bereitwillig eingegangen sind, sondern in viel höherem Maße von den Neins.
Dazu eine Übung: Bitten Sie Ihren Gesprächspartner, gelegentlich Negatives, Belangloses, Nicht-zielführendes ins Gespräch einzustreuen, wohl dosiert und nicht zu platt. Stürzen Sie sich darauf, oder schaffen Sie es, die Gegenargumente einfach sein zu lassen? Das wäre eine gelungene Fokussierung!
Wir machen uns oft zu Betroffenen, obwohl wir nur Beteiligte sind. Deshalb rate ich dringend, sich eine Extraportion Gelassenheit anzutrainieren, die Weltmacht mit den drei Buchstaben ICH – und damit auch die Opferrolle – zu verlassen und die eigene Festplatte neu zu formatieren.
Nach der EM ist vor der WM und da können Nichtsportler immer nur wieder lernen: Etwa, wie wir unsere Gedanken und unsere Emotionen auf den richtigen Fokus richten. Schließlich haben alle Sportler bestimmte Rituale, um sich in einen guten Status zu bringen. Das Warmlaufen vor dem Anpfiff, die Dehnübungen vor dem Start, das gegenseitige Anfeuern. Und wenn der Körper faul ist, dann joggt man dennoch eine Runde und schon kommt man in Schwung. Man tut so als ob – und „als ob“ geschieht. Nur: Im Alltag machen wir das nicht, da bleiben wir lieber schlecht drauf. Dabei wäre es doch schön, in der Zukunft eine bessere Version von sich selbst zu sein.
Erinnern Sie sich, wann Ihr Gehirn das letzte Mal das Ich ausblendet hat und Sie ganz in einer Tätigkeit aufgegangen sind? Beim Lesen, Sport oder Meditieren vielleicht? Indem wir unser Ich verlassen und aus uns heraustreten, können wir uns in einen anderen Menschen hineinversetzen. Sogar in uns selbst und uns reflektieren.
Früher dachten die Motivationsforscher, das Wichtigste, um erfolgreich zu sein, sei es, sich Ziele zu setzen. Heute wissen wir, dass es viel wirkungsvoller ist, die Ziele durch verinnerlichte Intentionen zu festigen, denn verinnerlichte Intentionen sind das strategische Mittel, um auf der Zielgerade zu bleiben.
Und das geht so:
Wir stellen uns nicht das Ziel vor ("2020 bin ich Fachanwalt"), sondern den Weg dahin.
Wir bilden Wenn-dann-Pläne und sehen uns selbst bei der Verwirklichung: Wenn ich nach Hause komme, dann setze ich mich an den Schreibtisch und lese eine halbe Stunde Fachliteratur. Oder: Wenn mein Wecker schellt, gehe ich joggen. Wenn ich in die Nähe des Kühlschranks komme, gehe ich schnurstracks vorbei. Wenn ich anfange an der Hausarbeit zu schreiben, vertiefe ich mich ganz. Wir stellen uns vor, wie wir zum Schreibtisch gehen und eine Stunden in Ruhe arbeiten. Wenn-dann ist das Prinzip.
In aktuellen Experimenten ließ eine Arbeitsgruppe um die Psychologen Legrand, Bieleke und Gollwitzer (2017) die Teilnehmer genau solche Intentionen bilden: z. B. bei computersimulierten Kartenspielen: "Wenn ich eine Karte sehe, die dieselbe Farbe hat, wie die zuvor gesehen Karte, drücke ich den Knopf so schnell wie möglich!". Die Teilnehmer/innen wiederholten diesen Satz mehrfach um ihn zu verinnerlichen und hielten wesentlich besser durch, als diejenigen aus der Vergleichsgruppe, die sich ausschließlich auf das Ziel konzentrierten ("Ich wähle die richtige Karte so schnell wie möglich aus"): Selbst unter Bestrafungsbedingungen (z. B. falsche Kartenwahl durch erträglichen Störton) blieben diejenigen, die sich ihr Verhalten als Wenn-dann-Beziehung eingeprägt hatten, wesentlich hartnäckiger bei der Sache.
Erfahrungen aus der Zukunft nicht unwillkürlich fortsetzen
Und daher ist es wichtig, auf unsere Zukunftsbilder und unsere zukunftsgerichtete Sprache zu achten: Wie sehe ich mich in der zukünftigen Situation vor meinem inneren Auge? Sehe ich mich im Auto sitzen und mich "dahin quälen", oder am Schreibtisch arbeiten "müssen" oder mit hängenden Schultern durchgeschwitzt durch den Wald hetzend - oder sehe ich mich guter Dinge im Auto sitzend zur Arbeit fahren, am Schreibtisch schwungvoll schreibend und leichtfüßig durch den Wald joggen.
Das genau scheint einen entscheidenden Unterschied zwischen Erfolg und Niederlage auszumachen: Welche Bilder und Wörter bezüglich unserer nahen oder ferneren Zukunft haben wir im Kopf? Was ist, wenn ich gleich ins Büro komme? Was ist, wenn ich gleich aus dem Auto steige? Was ist, wenn ich ...
Ein kurzer Gedankenstopp ist oft hilfreich: Die Erfahrungen aus der Vergangenheit müssen sich in der Zukunft nicht unwillkürlich fortsetzen. Wir können, so Feldman Barrett, für positive Erfahrungen in der Gegenwart sorgen, um erfolgreich Zukunft zu gestalten: You are the architect of your own experience!
Falls Ihnen das zu positiv ist: Vielleicht hilft im ersten Schritt zumindest eine neutrale Formulierung: Ich fahre jetzt zur Arbeit, ich gehe jetzt in das Seminar usw. Im zweiten Schritt können wir es dann vielleicht auch positiv aufladen: Lernen macht Spaß! Wenn ich in die Fortbildung gehe, dann wachse ich!
Also, auf den Punkt:
Wollen wir kurz- oder langfristige Ziele erreichen, helfen positive Wenn-dann-Pläne, also uns klar zielführende Handlungsabläufe vorzustellen, und diese
in klaren Selbstinstruktionen als Wenn-dann-Beziehungen zu formulieren und mehrfach laut gesprochen oder auch leise gedacht zu wiederholen.
Bei langfristigen Zielen schaffen wir dadurch Gewohnheiten, die unser Verhalten automatisieren (Wenn ich nach Hause komme, gehe ich eine halbe Stunde joggen). Wenn etwas eine Gewohnheit ist, und man keine diesbezüglichen Entscheidungen treffen, oder nicht mal darüber nachdenken muss, spart das Willenskraft, so der österreichisch-US-amerikanische Motivationspsychologe Walter Mischel.
Vielleicht versetzt der Glaube nicht unbedingt Berge, aber wenn unser Gehirn sich etwas vorstellen kann, sind wir auf dem richtigen Weg.