Wahr ist auch: Der Mensch empfindet Langeweile nicht erst seit der Erfindung des mobilen Internets oder der Spielekonsole als störend. So sagte beispielsweise der französische Philosoph Blaise Pascal im 17. Jahrhundert, dass dem Menschen nichts so unerträglich erscheine wie die Langeweile. Der Mensch spüre in diesem Zustand "das Nichts, seine Verlassenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere."
Dabei ist die Fähigkeit, sich einmal von seiner Umwelt loszusagen und zweckfrei vor sich hin zu denken eine Eigenschaft, die uns von anderen Arten unterscheide, wie die Forscher um Timothy Wilson von der Universität von Virginia in Charlottesville schreiben. Dennoch vermeiden wir es, wo wir nur können.
Studien haben gezeigt, dass Menschen, die mit sich allein sind, gedanklich deutlich häufiger bei Negativem als bei positiven Erinnerungen hängen bleiben. Das mag einer der Gründe sein, warum wir uns lieber körperlichen Schmerz zufügen als unserem Gehirn beim Denken zuzuhören.
Dass wir eher negativ denn positiv denken, könnte auch der Grund für das Interesse an Meditation und anderen Techniken sein, die dabei helfen sollen, die Gedanken zu kontrollieren. Auch wenn Meditationskurse nicht für jeden der richtige Weg sind, ist es wichtig, auch Langeweile zuzulassen und einmal Nichts zu tun - statt sofort in hektischen Aktionismus zu verfallen. Denn Langeweile und Muße sind nicht nur bei Kindern wichtig für das kreative Schaffen.
Was die Kreativität fördert
Der Psychologe Travis Proulx von der Universität von Kalifornien ließ Probanden sinnfreie Passagen aus Kafkas "Landarzt" lesen. In anschließenden Tests fanden sie mehr Lösungswege und schnitten besser ab als diejenigen, die eine redigierte Version gelesen hatten.
Frank Fischer von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität analysierte die Gruppenarbeiten von 300 Studenten. Vorher hatte er den Raum mit höhenverstellbaren Tischen ausgestattet. Siehe da: Teilnehmer, die zwischen Sitzen und Stehen wechselten, kamen häufiger zu richtigen Ergebnissen als nur im Sitzen - und hatten 24 Prozent mehr Ideen.
Im Schlaf findet kombinatorisches Denken statt, wie Denise Cai von der Universität von Kalifornien in San Diego 2009 bestätigen konnte. Sie ließ 77 Teilnehmer verschiedene verbale Aufgaben lösen, einige Probanden konnten zuvor ein Nickerchen halten - die lösten die Aufgaben am besten.
Der Sozialpsychologe Jens Förster von der Jacobs-Universität Bremen fand in einer Studie heraus, dass die Teilnehmer eine kniffelige Aufgabe eher lösten, wenn sie zuvor an ihren Partner gedacht hatten. Der Gedanke an Liebe lässt in die Zukunft blicken - was dabei hilft, Dinge miteinander in Beziehung zu stellen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.
In blauer Umgebung steigt der Einfallsreichtum. Ravi Mehta und Rui Zhu von der Universität von British Columbia in Vancouver ließen Freiwillige im Jahr 2009 verschiedene Aufgaben lösen - roter Hintergrund verbesserte zwar die Leistung bei der Detailaufgabe, blau jedoch die Kreativität.
In den Sechzigerjahren testeten Wissenschaftler um den Mediziner Jürgen Aschoff die Auswirkungen von totaler Isolation auf Astronauten: Wird ihr Schlafrhythmus beeinflusst, was passiert mit ihrer inneren Uhr? Die sogenannten Bunker-Experimente zeigten: Nach einer Eingewöhnungsphase arbeiteten die Menschen hochkonzentriert und waren sich selbst genug. Es ging ihnen gut - trotz völliger Abgeschiedenheit.
Auch neue Studien belegen, dass es nicht schadet, einmal nicht Teil des pulsierenden Lebens oder des dauerhaft plappernden Netzwerks zu sein, das im Sekundentakt neue Empörungssäue durch das virtuelle Weltdorf treibt. So befragten unter anderem Psychologen der Technischen Universität Dresden gut 500 Studenten danach, wie viel Zeit sie täglich für Freunde oder Familie, die tägliche Arbeit und für sich aufwenden.
Das Ergebnis: Wer sich ab und an etwas Muße gönnt, dem geht es besser: Er ist weniger krank und fühlt sich allgemein wohler mit sich selbst. Hinzu kommt, dass es zur persönlichen Reifung beiträgt, nicht jede wache Sekunde des Tages bespaßt werden zu müssen. Der Mensch muss lernen, auch negative Gefühle auszuhalten.
Wechsel zwischen Aktion und Nichtstun
Allerdings ist der Mensch nicht für zu viel Langeweile geschaffen: Wer tagein, tagaus am Fließband steht und neun Stunden am Stück ein und die selbe Handbewegung macht, ist zwar höchstwahrscheinlich sehr gelangweilt, aber leider nicht kreativer, glücklicher oder gesünder als der gemeine Büromensch. Damit sich Langeweile und Alleinsein positiv auf uns auswirken, müssen sie sich mit kognitiven Herausforderungen und aufregenden Ereignissen abwechseln. Der Mensch braucht den Wechsel von Aufregung und Ruhephase.
Arbeit, Alleinsein und mit anderen gemeinsam verbrachte Zeit sollten sich deshalb die Waage halten, so das Resultat der Studie aus Dresden. Zeit für sich selbst zu haben, sei unglaublich wichtig. Sie sei durch gemeinsame Freizeit mit anderen nicht ersetzbar.
Psychoanalytiker Ackermann rät übrigens auch dazu, nicht jeden Moment sofort mit allen online zu teilen: "Geteiltes Leid ist halbes Leid", sagt der Wissenschaftler, "und geteilte Freude ist halbe Freude."