Einstein und andere Naturwissenschaftler haben ihre größten Entdeckungen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren gemacht. Das hat einen Grund: In diesem Alter ist das Gehirn am leistungsfähigsten, weil sich das gesammelte Wissen optimal auf neue Herausforderungen anwenden lässt.
„Unsere fluide Intelligenz, also wie schnell wir etwas begreifen, nimmt ab einem Alter von 16 Jahren zwar ab“, sagt Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie vom Institut für Hirnforschung an der Universität Bremen. Das Experten- oder Fachwissen, das in unserem Langzeitgedächtnis landet, wächst dagegen mit dem Alter. Stellt man sich die abnehmende fluide Intelligenz und die zunehmende sogenannte kristalline Intelligenz als Kurven vor, treffen sie sich in einem Alter zwischen 30 und 34 Jahren, wie Roth sagt.
Tatsächlich veröffentlichte Einstein im Jahr 1905 im Alter von 25 beziehungsweise 26 Jahren gleich fünf Arbeiten, eine davon beinhaltete die spezielle Relativitätstheorie. Roth: „Mit 70 hätte er das sicher nicht mehr geschafft.“
Drei Faktoren bestimmen unsere Gedächtnisleistung
Das bedeute aber nicht, dass alte Menschen nicht mehr zu geistigen Hochleistungen fähig wären. „Der eine hat mit 95 ein super Gedächtnis, der andere vergisst schon mit 50 die Hälfte“, sagt der immerhin auch schon 74-jährige Wissenschaftler.
Verantwortlich für unsere Hirnleistung seien vor allem drei Faktoren: Gene, Umwelt und Übung. Wobei die Gene und die Umwelt, der wir als Säugling ausgesetzt waren, etwa für 30 bis 40 Prozent unserer Hirnleistung verantwortlich seien. Den Rest haben wir selbst in der Hand.
„Die kognitive Leistungsfähigkeit lässt sich durch Training steigern“, sagt Roth. Allerdings hilft es nichts, einmal die Woche einen Sprachkurs zu besuchen oder sich kurz am Wochenende vom Enkel die neuesten IT-Trends erklären zu lassen.
Wer dagegen sechs Monate lang täglich mehrere Stunden etwas übt, kann auch mit 70 Jahren wieder die Hirnkapazität eines 30-Jährigen erreichen. So belegt eine in der amerikanischen Nationalbibliothek für Medizin veröffentlichte Studie des Neurologen Joaquin Anguera (University of California, San Francisco), dass regelmäßiges Multitasking-Training mit Videospielen die Leistungen des Arbeits- oder Langzeitgedächtnis und der selektiven Aufmerksamkeit deutlich verbessert. Zumindest, so lange das Gehirn gesund ist.
Je schwieriger die Aufgabe, desto besser
Außerdem können wir unser Gehirn besser fit halten, indem wir ihm kniffelige Aufgaben zum Lösen geben. Das haben Wissenschaftler vom Zentrum für Langlebigkeitsforschung sowie der Schule für Verhaltens- und Hirnforschung der University of Texas in Dallas gemeinsam mit Psychologen des Canisius College erforscht. Auch ihre Studie erschien in der US-Nationalbibliothek für Medizin.
Digitale Fotobearbeitung kontra Zierdecken knüpfen
Die Forscher ließen Probanden im Alter von 60 bis 90 Jahre insgesamt drei Monate lang mit Digitalkameras fotografieren und diese Fotos digital am Computer nachbearbeiten. 15 Stunden pro Woche arbeiteten die Senioren mit professionellen Fotografen zusammen, lernten mit Kamera und Software umgehen.
Eine Vergleichsgruppe knüpfte drei Monate lang 15 Stunden pro Woche Zierdecken, sogenannte Quilts, eine weitere Gruppe tat beides: Sechs Wochen lang knüpften sie Decken, sechs Wochen lang ging es zum Fotografie-Kurs. 18 Stunden pro Woche wendeten die Senioren dafür auf. Im Hirnscan zeigte sich anschließend, dass das Gedächtnis der Foto-Gruppe deutlich profitiert hatte. „Wer über mehrere Monate hinweg wirklich anspruchsvolle Aufgaben löst, verzeichnet einen robusten Effekt auf seine Gedächtnisleistung“, bestätigt Roth.
Wie lange dieser Effekt anhalte, sei allerdings nicht erforscht. „Regelmäßiges Gehirntraining bis zum Grab ist wichtig“, sagt er deshalb. Nur wer seine grauen Zellen fit hält, kann auch im Alter noch umlernen – wenn auch nicht mehr so schnell und mühelos, wie mit 20. Roth: „Das alte Gehirn muss sich mehr anstrengen, als ein junges.“
Denn im Alter schwinden die grauen Zellen – unter anderem im Hippocampus. Dieser transferiert Wissen aus dem Kurzzeitgedächtnis über das intermediäre Gedächtnis ins Langzeitgedächtnis. Klappt das nicht mehr, vergessen wir neu Gelerntes.
Es gibt aber noch andere Faktoren, die dem Hippocampus kurz- und langfristig ins Handwerk pfuschen, wie Roth erklärt. Das sind zu viel Stress, Alkohol, Drogen und schlechter Schlaf. Denn während wir schlafen, erledigt der Hippocampus einen Großteil seiner Arbeit. „Schlaf hat einen außerordentlich wichtigen Einfluss auf die Informationsverarbeitung in unserem Gehirn“, sagt der Hirnforscher. Wer auf Dauer zu wenig schlafe, schade seinem Gedächtnis beziehungsweise der Verarbeitung von Informationen. Gleiches gelte für dauerhaften Stress, der sich letztlich negativ auf die Schlafqualität auswirke.
Außerdem spiele die Ernährung und das Gewicht eine Rolle: „Gesunde Ernährung, Gewichtskontrolle und ausreichend Bewegung können den Ausbruch von Altersdemenz um bis zu acht Jahre verzögern“, sagt Roth. Zu der besagten Hirnschonkost gehören ihm zufolge Antioxidantien, Polyphenole und mehrfach ungesättigte Fettsäuren. Wer seinem Gedächtnis etwas Gutes tun will, sollte also nicht nur ausreichend schlafen, sich bewegen und auf die Linie achten, sondern auch viel Fisch, Obst und Gemüse essen.