Tipps für mehr Geduld Wie Sie das hibbelige Kleinkind in sich überlisten

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Unser Gehirn macht uns ungeduldig

Dabei sind die Dinge, die wir statt des Schlangestehens tun würden meist nicht so wichtig, dass man sie nicht auch eine Stunde später erledigen könnte. Der vorherrschende Optimierungswahn suggeriert jedoch etwas anderes, wie Studien von Stressforschern immer wieder belegen: Nicht trödeln, bloß keine Zeit verplempern, alles muss immer schneller, immer besser werden. Diese allgemeine Lebens-Ungeduld bedingt die Ungeduld im Alltag. An der Kasse anstehen zu müssen, passt da nicht rein, denn es zwingt uns Langsamkeit auf, die wir nicht wollen - für viele Menschen unerträglich. „Stress passiert im Kopf. Wir denken: „Oh wie furchtbar, warum geht das denn nicht schneller“, wenn wir im Supermarkt an der Kasse stehen“, erläutert Ilona Bürgel.

Schuld ist unser Gehirn, das ständig nach Belohnung, Spaß und guten Gefühlen schreit. Von denen gibt es im Stau ziemlich wenige, wenn wir sie nicht aktiv herbeidenken und dem linken präfrontalen Kortex sein Wohlfühlfutter geben. Tut man das nicht, gilt für den auf Steinzeit gepolten Denkapparat "Katastrophe kommt vor Vergnügen", wie Bürgel erklärt. "Wir sind ständig mit unseren Gedanken woanders, ärgern uns über das, was gestern war, machen uns Sorgen über Dinge, die wir hören und lesen und die (noch) gar nicht real sind." Dieses "katastrophische Gehirn" hat einst das menschliche Überleben gesichert. Es sorgte dafür, dass man nicht vor lauter Freude über das schöne Wetter den Säbelzahntiger übersah, und gefressen wurde.

Geduldige Menschen haben bessere Jobs, verdienen mehr Geld und sind insgesamt glücklicher. Verhaltensökonom Gerhard Fehr erklärt, woran das liegt und was unsere Eltern mit unserer Ungeduld zu tun haben.
von Kerstin Dämon

Auch heute ist es nicht verkehrt, sich Gefahren bewusst zu machen, um nicht von herabfallenden Dachziegeln erschlagen zu werden. Aber man kann seine eigenen negativen Gedanken durchaus in positive Bahnen lenken.

Ablenkung hilft gegen Ungeduld

Mit diesen Situationen im Alltag umzugehen, kann man üben. "Es hilft jede Art von Ablenkung: mit dem Schlüsselanhänger spielen, dem Ohrring, der Kette, der Uhr", rät Bürgel. Wer nichts bei sich hat, womit er sich ablenken kann, kann beispielsweise die eigene Atmung beeinflussen. "Atmen Sie tief aus. Das aktiviert den Parasympathikus, wodurch wir uns entspannen". Man kann sich auch auf ein Körperteil konzentrieren, das man sonst nicht bewusst spürt, so lange alles in Ordnung ist. "Wenn man sich fragt, ob die linke kleine Zehne sich kalt oder warm anfühlt, entspannt oder verkrampft ist, hat man keine Zeit, sich darüber zu ärgern, dass es nicht vorwärts geht."

Da beim Stop and Go auf der Autobahn Konzentration gefordert ist, fällt das Rumspielen mit irgendetwas leider weg. Um sich trotzdem abzulenken, sollte das Gehirn beschäftigt werden, empfiehlt Bürgel. Sie sagt: "Unser Gehirn löst gerne Probleme, also sollten wir ihm Rätsel geben – aber welche, die auch etwas nutzen. Wie komme ich noch ins Theater rein, obwohl ich wegen des Staus zu spät komme? Was mache ich heute Abend zu essen, wenn ich es nicht mehr rechtzeitig zum Supermarkt schaffe, bevor er schließt?"

So erkennen und schließen Sie Ihre Wissenslücken

Grundsätzlich sollten sich ungeduldige Zeitgenossen mit einer Belohnung motivieren. "Das Gehirn stellt eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf und der Nutzen muss überwiegen", sagt Bürgel. "Wenn ich mich zu etwas überrede, muss das einen Sinn für mich haben." Also: Wer brav den Stau erträgt, ohne ins Lenkrad zu beißen, bekommt zu Hause ein Eis, ein gutes Buch, eine Folge seiner Lieblings-Serie - womit auch immer man sich selbst eben am besten motivieren kann.

Übrigens: Es ist - trotz unserer langjährigen Erfahrung mit Supermarktkassen - nicht wahr, dass es immer an der anderen Kasse schneller geht. Auch dieses negative Bild wird uns von unserem belohnungsheischenden Gehirn suggeriert. "Der Bestätigungsirrtum besagt, dass unser Gehirn aufgrund seiner neurologischen Strukturen konsequent alles bei der Verarbeitung von Informationen herausfiltert, was nicht zu unserem Denken passt", sagt Bürgel.

Zwar geht es bei zehn Einkaufstouren an Ihrer Kasse schneller als an der benachbarten. Sie merken sich aber nur die zwei Mal, wo es tatsächlich bei Ihnen länger gedauert hat. Deshalb kommen die Autos auf Ihrer Spur auch nicht voran, wogegen es auf den anderen Fahrspuren läuft.

Und jetzt gehen Sie besser mal einkaufen. Bevor die anderen vor Ihnen an der Kasse stehen.

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