Diversity-Preis Nicht ohne meine Frau

Bei Aachens größtem Arbeitgeber, der RWTH, stehen nicht nur die Fachkräfte, sondern auch deren Familien im Fokus.

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Ein Fall für ein zwei Professoren-Paar: Karen Veroy-Grepl und Martin Grepl

Vier Jahre hatte er nach seiner Doktorarbeit am renommierten MIT in den USA über mathematische Reduktionsverfahren bei Bosch gearbeitet, unter anderem an der Verbesserung der Fahrdynamik geforscht. Doch für Martin Grepl war klar: Noch mehr als die Arbeit in der Industrie reizte ihn eine akademische Karriere. Schon die dritte Bewerbung ist vielversprechend: Eine Juniorprofessur am Lehrstuhl für Geometrie und Praktische Mathematik bietet ihm die RWTH Aachen an, drei Jahre, verlängerbar auf sechs. Ein verlockendes Angebot. Umso mehr, als Grepl im Gespräch mit dem Hochschuldekan vom Dual Career Service der Hochschule erfährt.

Der unterstützt neu an die Hochschule berufene Wissenschaftler und ihre Familien beim Start in Aachen und Umgebung – nicht nur bei Behördengängen, der Suche nach Wohnung, geeigneten Kindergärten und Schulen. Sondern auch bei der Stellensuche des jeweiligen Partners. Und bietet an, auch Grepls Frau Karen Veroy-Grepl bei der Jobsuche zu helfen. Nach einem Hinweis durch die Hochschule bewirbt sich die 36-jährige Philippinin, die wie ihr Mann am MIT promoviert hatte, kurz darauf auf eine Dozentenstelle am AICES, einer Graduiertenschule für begabte Studenten. Und erst als seine Frau diesen Job in der Tasche hat, unterschreibt auch Grepl seinen Berufungsvertrag an der RWTH – weil beide nun guten Gewissens ihre unbefristeten Stellen bei Bosch kündigen können. „Der Dual Career Service hat uns sehr unterstützt”, sagt Grepl. „Könnte meine Frau in Aachen nicht arbeiten, hätte ich die Professur hier nicht angetreten.“

Starter Diversity Kit für Neueinsteiger
Ins Leben gerufen vor vier Jahren, konnte der Dual Career Service der RWTH Aachen schon 40 Jobs für Partner von an die Universität berufenen Wissenschaftlern vermitteln. „Dadurch konnten wir schon einige hochqualifizierte Kandidaten gewinnen, die sonst nicht nach Aachen gekommen wären“, sagt Andrea Wolffram von der Stabsstelle Gender and Diversity Management an der RWTH Aachen, an der jeder sechste Professor und Student nicht aus Deutschland stammen. „Um als Wissenschaftsstandort attraktiv zu bleiben, müssen wir als Arbeitgeber wie auch als Lehrende ein attraktives, innovationsförderndes Klima schaffen, das die besten Köpfe unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft anzieht,“ ergänzt Professorin Carmen Leicht-Scholten, die an der RWTH Aachen zu Diversity forscht.


Dafür hat die Universität, Aachens größter Arbeitgeber, vor vier Jahren mit der Gründung der Stabsstelle Diversity, angesiedelt direkt unterhalb des Rektorats, nicht nur die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen. Sondern den theoretischen Anspruch an eine diskriminierungsfreie Hochschule seitdem durch viele Initiativen und Projekte mit Leben gefüllt – für Angestellte und Studierende. Jeder Neuberufene erhält seit 2007 ein Starter Kit Diversity – ein Seminar-Paket mit Besuchspflicht, das als Teil der Zielvereinbarungen etwa über Führungskompetenz, Teamentwicklung, Gender-Wissen und Didaktik informiert und dessen Ergebnisse evaluiert werden.

Teilhabe statt Fürsorge

Medizinstudenten sitzen im Hörsaal Quelle: dpa

Gerade frisch gedruckt wurde der deutsch-englische Leitfaden „Goldene Regeln einer familiengerechten Personalführung“ für die rund 1000 Führungskräfte der RWTH. Eine Jury vergibt jährlich den Preis „Famos für Familie“ an verantwortungsvolle Führungskräfte, die von deren Mitarbeitern dafür vorgeschlagen wurden. So wie die diesjährige Preisträgerin Martina Ziefle. Die Professorin für Communication Science hat Spielzeug und Laufstall am Lehrstuhl angeschafft, damit Mitarbeiter im Notfall ihre Kinder mit ins Büro bringen können. Wird ein Kind krank, kann der Job auch zuhause erledigt werden, Besprechungszeiten werden nach den Kinder-Abholzeiten geplant. „Daher kann man auch offen und ehrlich miteinander umgehen“, schreiben Ziefles Mitarbeiter, „und ist hochmotiviert für die Arbeit.“
Wer gerade Vater oder Mutter geworden ist, kann sich drei Semester für Erziehungszeit freistellen lassen. Und sein Kind in die gerade eröffnete Kindertagesstätte bringen – auch mal nur für ein paar Stunden, wenn kurzfristig Betreuung nötig ist. Wer sich zuhause um einen Pflegefall kümmern muss, kann sich beim Familienservice der Uni beraten lassen.

Sprachkurse für Studenten aus dem Ausland
Die RWTH lässt Studenten und Promovierende als Mentoren an Schulen für mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer und Berufe werben, ermuntert talentierte Studentinnen zur Promotion und unterstützt sie bei ihrer Karriereplanung an der Hochschule oder in der Industrie. Für ein Dutzend besonders begabte Doktorandinnen stellt die Uni Kontakte zu renommierten, oft international tätigen Professoren her, die diese als Mentoren 18 Monate lang begleiten. Über das BeBuddy-Programm nehmen sich seit dem Wintersemester 2008/2009 deutsche Studenten ihrer ausländischen Kommilitonen an, um diesen das Einleben in Uni und Stadt leichter zu machen. 237 solcher Studentenpärchen gibt es derzeit, Tendenz stark steigend. Um die Abschlussquote mittelfristig auf 75 Prozent zu steigern, wird ausländischen Studenten, die nach zwei Semestern auffällig wenig Punkte auf dem Weg zum Bachelor gesammelt haben, gezielt geholfen – etwa mit Sprachkursen.
Muslimische Studenten, die das Freitagsgebet in Deutschlands zweitältester Moschee auf dem Campusgelände besuchen, können die Tiefgarage nebenan kostenlos nutzen. Um auch behinderten und chronisch Kranken – laut einer Umfrage des Studentenwerks 2006 ist das bundesweit jeder fünfte Student – ein möglichst barrierefreies Studium zu ermöglichen, hat die RWTH unter anderem einen entsprechend ausgestatteten Ruheraum eingerichtet und zwei mobile Patientenlifter angeschafft. Ein ausführlicher Leitfaden informiert über Barrierefreiheit auf dem Campus. Vorlesungen, Seminare und Besprechungen, an denen Behinderte teilnehmen, werden gezielt in barrierefrei zugängliche Räume gelegt. Damit auch für sie gilt: Teilhabe statt Fürsorge.

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