Zog Berlin bis zuletzt immer mehr Investoren und Internet-Freaks an, trennen sich nun offenbar die Großsprecher von den Großartigen. „Die jetzige Phase der Konsolidierung ist gesund und reinigend“, sagt Klaus Hommels. Der 46-Jährige hatte mit seinem Züricher Investmentunternehmen Lakestar bisher einen guten Riecher bewiesen und frühzeitig in den Internet-Telefondienst Skype (heute Microsoft) sowie das Business-Netzwerk Xing investiert. „Je früher Startups ohne valides Geschäftsmodell verschwinden, umso besser – denn dann fließt in jene Unternehmen auch weniger Geld“, sagt Hommels.
Noch bis vor einem halben Jahr herrschte ungetrübte Aufbruchstimmung an der Spree, nicht zuletzt beflügelt durch den Erfolg des Internet-Klamottenversenders Zalando aus dem Reich der Samwer-Brüder. Die Szene sonnte sich in Zahlen der landeseigenen Investitionsbank Berlin. Der zufolge war die Zahl der Unternehmen in der digitalen Wirtschaft der Hauptstadt zwischen 2009 und 2011 von knapp 4600 auf 5350 gestiegen, der Gesamtumsatz aller Startups von 7,4 Milliarden auf fast 9,0 Milliarden Euro geklettert und das Heer der Mitarbeiter auf rund 62.400 Beschäftigte angeschwollen. Damit hatte Berlin die Wettbewerber München, Hamburg und Frankfurt deutlich hinter sich gelassen. Neuere Zahlen sind nicht verfügbar.
Zwar gab es bis zuletzt Erfolgsmeldungen. So konnte die hochgelobte Berliner Musikplattform Soundcloud Ende Januar 60 Millionen Dollar frisches Geld bei ihrem US-Risikokapitalgeber Institutional Venture Partners einsammeln. Im November hatte der US-Investor Sequoia Capital, der durch Beteiligungen an Apple, Google und YouTube bekannt wurde, knapp 20 Millionen Dollar in das Startup 6Wunderkinder gepumpt. Das bietet einen digitalen Notizzettel namens Wunderlist für Handys. Durch die neuen Finanzierungsrunden wird Soundcloud nunmehr mit 700 Millionen Dollar und 6Wunderkinder mit rund 60 Millionen Dollar bewertet.
Ernüchterung
Solche Vorzeige-Investments können aber nicht verhehlen, dass die Berliner Internet-Szene eine Läuterung durchlebt. Noch sind Startup-Manager wie 6Wunderkinder-Chef Christian Reber nicht um markige Sprüche verlegen: „Wir haben sechs Millionen Nutzer, Ziel sind 100 Millionen und mehr. Wir wollen richtig, richtig groß werden“, sagte der 27-Jährige im November. Doch in den Augen einer Szenegröße, die ungenannt bleiben will, ist Rebers Wunderlist nicht viel mehr als eine App für Arbeitsabläufe. „Das gibt es schon mannigfach – und hat keinerlei Mehrwert.“
Richtig fortgeschritten ist die Ernüchterung bei den Chefs von Team Europe. „Zu viele Leute haben bei uns an zu vielen und zu kleinen Themen gearbeitet“, räumt Mitgründer Hebenstreit ein. Zusammen mit seinem Kompagnon Gadowski halbierte er deshalb in den vergangenen Monaten die Zahl der Firmenbeteiligungen glatt. Er verkaufte seine Anteile an dem Werbevermarkter Madvertise, an dem Online-Brillenladen Mr. Spex sowie dem Internet-Cerealienshop Mymuesli an die jeweiligen Gründer. Zudem ist Team Europe laut Branchenkreisen auch bei dem Spiele-Inkubator Hitfox sowie Kirondo, einem Secondhand-Marktplatz für Kinderklamotten, ausgestiegen.