Gründer Innovation statt Imbissbude

Sie sind mutig, erfinderisch und schaffen Arbeitsplätze: Unternehmer mit Migrationshintergrund sind aus der deutschen Gründerszene nicht mehr wegzudenken. 30 Prozent aller Gründungen erfolgt durch Ausländer, ergab nun eine Untersuchung für das Bundeswirtschaftsministerium.

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Houman Gieleky mit seinen Mitarbeitern von TopTranslation Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Der Auftrag klang kompliziert: Dutzende von Dokumenten brauchte der Kunde nicht nur auf Deutsch, sondern gleich in 27 Sprachen – darunter Persisch, Kroatisch und Bulgarisch. Und zwar innerhalb von einer Woche.

Eine Mammutaufgabe – und doch Routine für Houman Gieleky. Der gebürtige Iraner, der neben Persisch und Deutsch noch Englisch und Russisch beherrscht, wickelt über die von ihm gegründete Online-Plattform TopTranslation Übersetzungsaufträge ab, die seine Kunden dort hochladen.

36 fest angestellte Mitarbeiter in Hamburg sorgen dafür, dass die Dokumente bei dem für den jeweiligen Auftrag am besten geeigneten Fachübersetzer landen, die zu Hunderten weltweit frei für den Hamburger Mittelständler arbeiten.

Ist der Text übersetzt, prüft das TopTranslation-Team das Ergebnis auf Qualität. „Es läuft rund“, sagt Gieleky, der TopTranslation vor eineinhalb Jahren gegründet hat. „Wir müssen uns bemühen, auf dem Boden zu bleiben.“

Ein Satz, der Gieleky vor wenigen Jahren wohl nicht über die Lippen gekommen wäre. Denn hinter ihm liegen 33 Jahre, die lange nicht auf seinen derzeitigen Erfolg als Unternehmer hindeuteten: Als Kind floh er mit seinen Eltern aus dem Iran erst nach Indien, dann nach Afghanistan.

Vom Flüchtling zum Gründer

Später schickten ihn seine Eltern auf ein Internat nach Russland. Als Gieleky zwölf wurde, beantragte die Familie in Deutschland Asyl. Schon bald stellte Gieleky fest, dass er hierzulande nicht dieselben Chancen bekommen würde wie ein Einheimischer. „Ich kann hier nur etwas reißen“, merkte er, „wenn ich etwas Eigenes auf die Beine stelle.“

Vom Flüchtling zum Gründer, vom Asylbewerber zum Arbeitgeber: Karrieren wie die von Jungunternehmer Gieleky sind in Deutschland längst keine Seltenheit mehr.

Ob Aussiedler aus Osteuropa oder Asylbewerber aus Afrika, ob Gaststudent aus Ostasien, Gastarbeiterkind aus Anatolien oder Tüftler aus Zentraleuropa – etwas Eigenes auf die Beine stellen, sein eigener Chef sein, das ist für viele Menschen mit Migrationshintergrund eine attraktive Option.

Gründer nicht mehr wegzudenken

Die Sieger des WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerbs 2011: (von links) Philipp, Patrik und Daniel Tykesson Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

Auch für Harry McCarney. Der 32-jährige Brite hat in England lange als freiberuflicher Programmierer gearbeitet – jetzt baut er in in Berlin das Internet-Startup Friendfund auf. Oder die Tykesson-Brüder, die kürzlich mit ihrem Startup E-Bility den WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb gewonnen haben. Sie haben neben ihren deutschen auch schwedische Wurzeln – und starten gerade richtig durch.

Dass Gründer mit Migrationshintergrund aus Deutschland nicht mehr wegzudenken sind, bestätigt auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Demnach hat fast jeder vierte Gründer hierzulande einen Migrationshintergrund. Die Gründerquote unter Migranten liegt bei etwa sieben Prozent – und damit um mehr als 50 Prozent über der von Nichtmigranten.

Und das nicht nur, weil ihre Chancen, einen guten Job zu finden, nicht immer rosig aussehen – Migranten also oft wenig anderes übrig bleibt, als sich selbstständig zu machen. Sondern auch, weil viele von ihnen geborene Unternehmer sind – und erfolgreiche dazu: Gründen Migranten ein Unternehmen, sind sie „im Schnitt nicht weniger innovativ als die anderer Gründer“, schreiben die IAB-Forscher. Sie stellen sogar mehr Mitarbeiter ein.

Ganz im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Klischee: Einer Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge glaubt fast jeder dritte Deutsche, dass Ausländer nur nach Deutschland kommen, „um unseren Sozialstaat auszunutzen“.

Migranten stützen die deutsche Wirtschaft

Das Gegenteil ist der Fall: Sie stärken ihn. Rund 50 Jahre nachdem Deutschland Anwerbeabkommen für Gastarbeiter geschlossen hat, sind die Zuwanderer und ihre Nachfahren eine feste Stütze der deutschen Wirtschaft. Sie sind Deutschlands heimliche Jobproduzenten.

Die gebürtige Türkin Zeynep Babadagi-Hardt hat deswegen schon zu Lebzeiten ein Denkmal bekommen. In der einen Hand eine Bettpfanne, in der anderen eine Pillendose und unter dem Fuß ein Stapel Bücher: So steht ihr lebensgroßes Abbild seit Kurzem vor der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer in Duisburg, wo jeder dritte Gründer einen Migrationshintergrund hat.

Babadagi war sieben, als sie mit ihrer Familie aus Sivas, der Hauptstadt Zentralanatoliens, ins Ruhrgebiet zog. Ihr Vater schuftete als Gastarbeiter, ihre Mutter war Analphabetin. Babadagi besuchte ein Gymnasium, schloss eine Ausbildung zur Krankenschwester ab und leitete später einen Pflegedienst.

Als sie zum zweiten Mal Mutter wurde, bekam ihr Chef Zweifel an ihrer künftigen Einsatzbereitschaft und legte ihr nahe, sein Unternehmen zu verlassen.

Heute dürfte er das bereuen. Denn Babadagi-Hardt gründete die Pflegezentrale in Duisburg, die 25 Mitarbeiter beschäftigt, sich um knapp 185 Pflegebedürftige kümmert und in einer eigenen Akademie Pflegekräfte weiterbildet. Quasi nebenbei studiert die 37-Jährige, anschließend will sie promovieren.

Bildung ist wichtig

In einer Schule in Leipzig nimmt eine Schülerin mit Migrantionshintergrund am 13.10.2008 am Unterricht im Fach «Deutsch als Zweitsprache» teil Quelle: dpa

Ein Werdegang, der nicht in das Bild passt von den integrationsunwilligen und schlecht ausgebildeten Zuwanderern, das etwa der frühere Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ vermittelt. „Sarrazin liegt ziemlich daneben“, sagt Babadagi-Hardt. Viele Migranten hätten mittlerweile erkannt, wie wichtig Bildung und Integration sind.

So wie Ufuk Topcu aus Herne. Zusammen mit seinem sechsköpfigen Team hat er eine ehemalige Garage zu seinem Büro umgebaut und MyDryclean entwickelt – eine Internet-Plattform, über die sich Reinigungen finden lassen, die verschmutzte Textilien abholen und sauber wiederbringen. Hunderte Privatleute und Unternehmen nutzen das Angebot bereits – MyDryclean erhält bei jedem Auftrag bis zu 20 Prozent des Umsatzes als Provision.

Ufuk Topcu ist eines von fünf Kindern einer Arbeiterfamilie, die Anfang der Siebzigerjahre aus Anatolien nach Deutschland kam und in Herne eine kleine Wohnung bezog, mitten in einem sozialen Brennpunkt. Den Eltern fehlte die Schulbildung, dennoch ermutigten sie ihre Kinder, Abitur zu machen.

Ufuk Topcus Geschwister arbeiten heute als Ärzte, auch er studierte erst Medizin, bevor er sich für Internationales Management entschied. Später arbeitete er als Unternehmensberater, bevor er mit MyDryclean sein eigenes Unternehmen gründete.

Schlüssel zum Erfolg

„Ich habe mir die Disziplin und Sachlichkeit der Deutschen angeeignet“, beschreibt der 35-Jährige sein Erfolgsrezept, „aber auch die Risikofreude erhalten, die in der Türkei verbreitet ist.“

Diesen Mut könnten sich viele Deutsche abschauen – sie gründen im internationalen Vergleich eher selten Unternehmen, wie der Global Entrepreneurship Monitor belegt. Doch Disziplin und Risikofreude allein genügen nicht auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Wesentlicher Schlüssel zum Erfolg: die deutsche Sprache.

Das sagt Ibrahim Evsan, einer der bekanntesten Gründer mit türkischem Pass. Auch Evsans Eltern kamen einst aus der Türkei, nach Warendorf, wo Evsan 1975 geboren wird. Zu Hause wird türkisch gesprochen, in der Schule ist er anfangs Außenseiter, hat schlechte Noten. Als er 13 Jahre alt ist, lernt er etwas, das ihm bis heute als Unternehmer hilft: sich zu entscheiden. Er erkennt: „Ich muss Deutsch lernen, dann kann mir keiner mehr was.“

Evsan schließt die Hauptschule ab, arbeitet erst als Stahlkocher, später als Packer. Er steigt zum Vorarbeiter auf, wird von seinen älteren, deutschen Kollegen ob seines Erfolgs gemobbt. Evsan kündigt und versucht einen Neustart – mit einer Ausbildung zum Werbekaufmann.

„Warum verlieren die Türken immer beim Fußball?“

Gründer Kartal Can Quelle: Pressebild

Er arbeitet erst für RWE und gründet 2006 das Videoportal Sevenload, mit dem er und sein Mitgründer Thomas Bachem so viel Erfolg haben, dass sie es später verkaufen.

Seit 2009 bauen sie mit ihrem neuen Startup United Prototype die Online-Simulation Fliplife auf, bei der sich bereits Hunderttausende Menschen angemeldet haben. Das Spiel, das man online mit seinen Freunden spielen kann, erinnert an eine Blaupause von Evsans Biografie: Die Mitspieler können gemeinsam Aufträge übernehmen. Wer sich aktiv in die Gemeinschaft integriert, hat besonders gute Chancen.

Und kann aufsteigen – vom Bettpfannen-Entleerer zum Chefarzt, vom Polierer zum Entwicklungsleiter.

Diesen Weg will Evsan jetzt auch anderen aufzeigen: Der 36-Jährige sitzt im Vorstand der Deutschlandstiftung Integration, die sich für Chancengerechtigkeit für Menschen mit Migrationshintergrund stark macht. Sie will die Chancen von Migranten auf dem Arbeitsmarkt verbessern und ihnen helfen, Sprachschulen zu finden. Motto: „Raus mit der Sprache – rein ins Leben.“

Kartal Can merkt man seinen Akzent sofort an: Der Sohn türkischer Einwanderer schwäbelt. Und er erzählt gerne einen Witz: „Warum verlieren die Türken immer beim Fußball“, fragt er, macht eine kurze Pause, und sagt dann: „Weil sie bei jeder Ecke einen Döner aufmachen.“

Nicht nur Imbissbuden und Gemüseläden

Es ist ein Witz, der ein weiteres gängiges Klischee berührt: Wenn Einwanderer gründen, dann bestenfalls eine Imbissbude oder einen Gemüseladen.

Can kann auch deswegen darüber lachen, weil er längst das Gegenteil bewiesen hat: Seine Eltern eröffneten in den Achtzigerjahren einen Gastronomie-Service, in dem er Tage damit zubrachte, Tausende Stoffservietten zu falten. Eine mühselige, eine langweilige Arbeit.

Can wollte mehr erreichen, studierte Internationale BWL, arbeitete als Manager in Sterne-Restaurants, bevor er sich 2008 selbstständig machte – mit einer Weltneuheit: Rofobox, eine High-Tech-Maschine, die mit Kameras und Roboterarmen ausgestattet ist und perfekt Servietten faltet.

In acht verschiedenen Formen: Klassisch im Drei- oder Rechteck. Kunstvoll in Kerzenform – in 35 Sekunden. Oder, innerhalb von 100 Sekunden, zur komplizierten Bischofsmütze.

Monatelang klapperte Can Maschinenbauer ab, bevor er ein Unternehmen fand, mit dem er den Prototyp entwickeln konnte. Kürzlich stellte er das Modell in Berlin vor, jetzt arbeiten acht Mitarbeiter an der Serienreife.

Kompliziertes Bleiberecht

Chao Zhang und Anup Chathoth Quelle: Martin Hangen für WirtschaftsWoche

Gründer wie Can profitieren davon, dass es in Deutschland zahlreiche Förderangebote für Jungunternehmer gibt, bei denen Migrationshintergrund und Nationalität keine Rolle spielen. Der High-Tech-Gründerfonds etwa finanziert innovative Startups aus Deutschland, ganz gleich welcher Nationalität die Gründer sind. Und Cans Serviettenfaltmaschine gibt es auch deshalb, weil das staatliche Exist-Programm die Entwicklung förderte.

Ein Exist-Stipendium haben auch der Chinese Chao Zhang und der Inder Anup Chathoth bekommen. Beide sind studierte Ingenieure – jene Fachkräfte also, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt gebraucht werden. Vermutlich werden die beiden bald selbst zum Arbeitgeber: Seit sie sich in München im Elite-Studiengang Technology Management über den Weg gelaufen sind, tüfteln sie gemeinsam an Übi.

Übi ist mit Kameras und Software ausgestattet und verwandelt jede Fläche, auf die etwas projiziert wird, in einen interaktiven Bildschirm. Leinwände und Arbeitstische sollen so zum Touchscreen werden. Wenn das funktioniert, wäre es eine Innovation, die weltweit gebraucht wird.

Hürde Aufenthaltserlaubnis

Und dennoch verlief der Start des asiatischen Gründer-Duos in der bayrischen Hauptstadt alles andere als reibungslos. Um den beiden eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen, habe die Ausländerbehörde finanzielle Sicherheiten verlangt, erzählt Zhang. Interessierte Investoren wiederum wollten nur dann Kapital bereitstellen, wenn die beiden Gründer ein dauerhaftes Bleiberecht vorweisen können. Ein Teufelskreis.

„Ich bin schon seit einigen Jahren in Deutschland“, sagt Zhang, „warum muss es trotzdem so kompliziert sein?“

Dass solche Hürden gut ausgebildete Fachkräfte und damit potenzielle Gründer abschrecken, zeigt eine aktuelle Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Danach würden etwa 60 Prozent der Master- und Promotionsstudenten aus dem Ausland gerne in Deutschland bleiben, doch nur 25 Prozent verwirklichen diesen Wunsch. Jeder Zweite fühlt sich nicht gut informiert, jeder Dritte sogar nicht erwünscht.

Wer dennoch bleibt und ein Unternehmen gründen will, muss den Start in die Selbstständigkeit oft aus eigenen Ersparnissen oder mit Krediten von Verwandten und Freunden stemmen. Von Banken gibt es häufig kein Geld. Jeder dritte Selbstständige beklagt in der Startphase außerdem den holprigen Umgang mit Behörden; Unterstützer und Berater sind Mangelware. Auch Chao Zhang und Anup Chathoth konnten nur in Deutschland bleiben, weil sich der Leiter der Gründungsberatung ihrer Universität für sie einsetzte.

Das Silicon Valley Europas

Smartphone mit einer Groupon-App Quelle: REUTERS

Anup Chathoth muss seine Aufenthaltsgenehmigung bald erneuern. Kommt er nicht durch, könnte Übi vielleicht doch kein deutsches Produkt werden – obwohl genau das den Gründern sehr wichtig ist: „Made in Germany“ bürgt für Qualität, in München hoffen sie zudem, gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden, und sie lieben die Stadt. „München“, sagt Zhang, „ist so etwas wie das Silicon Valley Europas.“

Roman Engel hat sein Glück in Wiesbaden gefunden. Bevor er und seine Familie 1996 als Spätaussiedler nach Deutschland zogen, hatte er schon in Kasachstan die Zukunft entdeckt: Aus einem Taschenrechner, alten Uhren und einem Koffer bastelte er einen kleinen Computer.

In Deutschland angekommen, bekam er einen richtigen PC und fing mit 13 Jahren an zu programmieren. Später entwickelte er 3-D-Modelle, studierte Medieninformatik, beriet Industrie-Unternehmen und konzipierte mit seinem Mitbewohner Xiang Wang ein Computerspiel für eine Spielkonsole.

"Das schaffe ich auch"

Zusammen mit dem Chinesen baut der 26-Jährige jetzt das Unternehmen Daubit auf, das Apps für iPhone und iPad entwickelt. Mit Erfolg: Um die Flut der Aufträge abzuarbeiten, haben Engel und Wang die ersten Mitarbeiter eingestellt und arbeiten mit 20 freien Programmierern zusammen.

Das Team von Houman Gieleky könnte bald doppelt so groß sein. Dass er es so weit gebracht hat, hat auch mit seiner Mutter zu tun. „Was Mama schafft, das schaff ich auch“, sagt er. Die Pharmazeutin holte mit Mitte 50 ihr deutsches Staatsexamen nach. Dann eröffnete sie eine eigene Apotheke.

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