Wen reizt es nicht, auf den Schnellzug der Popkultur im modernen Entrepreneurship aufzuspringen? „Gründest du schon oder arbeitest du noch – studierst womöglich sogar?“, zwitschert es in Abwandlung des erfolgreichsten Werbeslogans unserer Zeit über die Twitter-Ticker, naiv verkennend, wie viel mehr an Arbeit die Selbstständigkeit gegenüber dem Angestelltenverhältnis bereithält.
Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Selbstverwirklichungskultur, zu sehen bei Studierenden der Generation Z oder jungen Berufstätigen der Generation Y, trübt zunächst den Blick für eine der arbeitsintensivsten Tätigkeiten, die man für den Berufseinstieg oder Jobwechsel wählen kann; aber auch für eine der faszinierendsten und motivierendsten Tätigkeiten, die man sich vorstellen kann. Schließlich geht es darum, die eigenen Ideen und Fähigkeiten umzusetzen.
Der Studienabbrecher, der als Mittzwanziger den etablierten Konzernlenkern den Kampf ansagt, wird zum neuen Star einer Populärkultur, die auf Konventionen im Managerleben keine Rücksicht nimmt.
Zur Person
Grichnik ist Professor für Entrepreneurship und Direktor des Instituts für Technologiemanagement an der Universität St. Gallen. Der Text basiert auf dem Buch "Entrepreneurial Living", das am 6. Juni bei Hanser erscheint.
Lesen Sie hierzu auch das Interview, das WirtschaftsWoche-Gründer mit Dietmar Grichnik geführt hat.
Wer möchte nicht aus dem Abhängigkeitsverhältnis einer unendlich lang erscheinenden Karriereleiter im Großkonzern auf den Fast-track zur schnellen Million im coolen Start-up wechseln? Immer mehr frönen diesem mehr oder weniger realistischen Gedanken. Sie hauchen damit der Volkswirtschaft einen vergessen geglaubten Lebensgeist des Innovierens und Experimentierens ein.
Weniger Geld - mehr Befriedigung
Die Möglichkeit, sich einem interessanten Problem mit all seinen Sinnen und Energien widmen zu können, packt uns alle. Man fühlt sich zurückversetzt in die Jugendzeit, wo einem die Welt offenstand und man nach seinen Fähigkeiten einem Berufswunsch nachhing.
Im Unterschied zu damals ist man nun an einem Punkt im Berufsleben angekommen, an dem man viel Wissen im Beruflichen und Privaten sammeln konnte und damit über das Erfolgsdoping im Entrepreneurship schlechthin verfügt – Erfahrung. Erfahrung, gemünzt auf ein bisher ungelöstes, wichtiges Problem, ist der Startpunkt in die eigene unternehmerische Zukunft.
So wie bei Olivia Bosshart. Sie folgte zunächst den klassischen Karrierepfaden als Unternehmensberaterin und Bankerin, stellte sich dann aber immer häufiger die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihres Tuns. Schließlich brach sie die Bankerkarriere ab und gründete KION – eine Internetplattform für Zeitgeistthemen. Ihre Motivation schilderte sie vor einigen Jahren den Autoren Mathias Morgenthaler und Marco Zaugg: „Heute bevorzuge ich eine Arbeit, bei der ich ein Drittel verdiene, dreimal so viel arbeite und zehnmal mehr Befriedigung finde.
Dann denken die Leute meistens: "Die hat gut reden, sicher ist sie reich von Haus aus." Das trifft nicht zu. Ich finde nur, dass kein noch so hohes Salär einen eklatanten Mangel an Freude, Freiheit und Unabhängigkeit kompensiert. Für mich fällt am meisten ins Gewicht, dass ich heute eine Idee, die mich mitten in der Nacht heimsucht, am nächsten Tag umsetzen kann. Es ist wunderbar, Leute zusammenzubringen und zu erleben, wie da etwas Neues entsteht. Manchmal gehe ich spät nach Hause und finde keinen Schlaf, weil ich so beglückt bin.“