Am Fenster ein Tisch voller Werkzeug, gegenüber eine Sitzecke vor Bergpanorama, auf dem Schreibtisch Papierstapel, neben dem Kühlschrank leere Bierflaschen: Der ehemalige Hörsaal, in dem Johannes Biechele und Marcus Schlüter an ihrer Zukunft werkeln, ist Partyzone und Pausenraum, Büro und Werkstatt in einem. Mittendrin in dem 55 Quadratmeter großen Raum stehen Mountainbikes, deren Besonderheit man erst auf den zweiten Blick erkennt: Sie haben Motor und Batterien. Die armlangen Antriebssysteme, die sich in den Radrahmen einklinken lassen, haben Biechele und Schlüter mit drei Mitstreitern hier entwickelt. So verwandeln sie die Mountainbikes in Pedelecs – also Fahrräder, die mit Strom und Tretkraft fahren. „Unser Antrieb ist leicht, sexy, flexibel“, sagt Biechele, der mit Kommilitone Schlüter das Startup Fazua gegründet hat. „So etwas gibt es bisher nicht.“
Dass die Jungunternehmer so weit gekommen sind, haben sie der Hochschule München zu verdanken – denn die Gründung einer Firma wäre ihnen früher nie in den Sinn gekommen. Biechele hat Fahrzeugtechnik studiert, sein Mitgründer Schlüter Tourismusmanagement. Im Studium besuchte Schlüter einen Entrepreneurship-Kurs und erzählte seinem Kumpel davon. Der wurde beim Strascheg Center for Entrepreneurship (SCE) vorstellig, über das die Hochschule München Gründer fördert – mit einem Prototyp des Radantriebssystems aus Holz und Hartschaum, an dem er eine Woche lang in der Modellschreinerei des Großvaters getüftelt hatte. Das war im Frühjahr 2011.
„Der Prototyp hat mich sofort überzeugt“, erinnert sich Herbert Gillig, Leiter der Gründungsförderung an der Hochschule. Zusammen mit Klaus Sailer, dem Geschäftsführer des SCE, nahm er die Studenten unter seine Fittiche – mit Beratung, Infrastruktur und einem kleinen Budget für Anschaffungen. „Ohne diese bedingungslose Nestwärme“, sagt Marcus Schlüter, „wäre aus der Idee wohl nix geworden.“
Deutsche Unis holen auf
Beratung und Budget, Netzwerke und Nestwärme: Universitäten können eine ganze Menge tun, um den Unternehmergeist ihrer Studenten zu entfachen und sie zu Gründern zu machen. Rund 49 Millionen Euro haben die deutschen Hochschulen im Jahr 2012 in die Gründungsförderung gesteckt, mehr als 4.200 Gründungsvorhaben betreut und 1.145 Startups angeschoben. Welche für Gründer die besten sind, zeigt der aktuelle Gründungsradar des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft (siehe Bildergalerie). 75 Prozent der 211 befragten privaten und öffentlichen Hochschulen halten Gründerförderung für relevant, mehr als 100 Lehrstühle sind auf dieses Thema spezialisiert.
Gemessen an der Einwohnerzahl, sind das inzwischen fast so viele wie in den USA, die mit Förderprogrammen wie etwa an der Eliteuniversität Stanford erfolgreiche Jungunternehmen fast wie am Fließband hervorbringen. Auch hierzulande haben viele erfolgreiche Startups die Basis ihres unternehmerischen Erfolgs schon an den Hochschulen gelegt – so auch Secomba, das kürzlich den WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb gewonnen hat.
Die erfolgreichsten Gründerschmieden der Republik
Dabei gilt: Gründungsförderung ist an jeder Hochschule möglich – ob staatlich oder privat, Uni oder FH, klein oder groß: „Es braucht zunächst mal engagierte Personen“, sagt Forscherin Barbara Grave vom Stifterverband, „außerdem muss die Hochschulleitung dahinterstehen.“
So wie an der Hochschule München, die an 7 ihrer 14 Fakultäten sogenannte Real Projects etabliert hat, in denen die Studenten zu übergreifenden Themen wie Sport 3.0 Geschäftsideen entwickeln, aus denen Unternehmen entstehen können.
An der RWTH Aachen waren es allein im vergangenen Jahr 40 – ihre Logos finden sich fein säuberlich gerahmt an der Wand im Gründerzentrum der Universität. Malte Brettel sorgt dafür, dass ständig neue Rähmchen dazukommen. Brettel leitet das Gründerzentrum, lehrt als Professor Ökonomie für Naturwissenschaftler, hat einst selbst ein Internet-Startup aufgebaut und ist seit gut einem Jahr RWTH-Prorektor. „Wir wollen in allen großen Vorlesungen für Maschinenbauer und Elektrotechniker rein, um möglichst vielen Studenten zu zeigen: Gründen kann eine Alternative zur klassischen Karriere sein“, sagt Brettel, „nicht jeder muss Unternehmer werden, aber jeder sollte die Chance dazu haben.“
Im November veranstaltete er einen sogenannten GründerHack, bei dem IT-begeisterte Studenten neue Apps entwickeln. Und mit der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar, an der Gründer wie Oliver Samwer ihr Handwerk gelernt haben, hat er eine Gründer-Akademie ins Leben gerufen, die Naturwissenschaftler von der RWTH und Betriebswirte von der WHU zusammenbringt. „Da prallen Welten aufeinander“, sagt Brettel, „aber es entstehen reihenweise gute Projekte.“
So wie an der HHL Graduate School of Management in Leipzig. Die private Hochschule gilt als eine der erfolgreichsten Gründerschmieden der Republik. Wer hier ein Management-Studium beginnt, wird automatisch mit Unternehmertum konfrontiert – so wie Rico Harning. Der 25-Jährige hat gleich im ersten Semester in einem Businessplan-Seminar eine Geschäftsidee entwickelt, die er mit zwei Kommilitonen vor Investoren vorstellte. Die Geldgeber waren angetan, Harning will die Idee zügig umsetzen, Curriculum hin oder her. „Wir stellen unser Studium auf den Kopf“, sagt Harning, „aber die HHL spielt mit.“
Damit die Studenten gute Geschäftsideen entwickeln, bringt die HHL sie mit Medizinern, Informatikern und Naturwissenschaftlern anderer Institute zusammen. Dann läuft es im besten Fall so wie bei den HHL-Absolventen Janes Potthoff und Christian Hetke, die mit der Veterinärin Stefanie Schmidt Futalis gegründet haben: Das Startup bietet Hundefutter, das exakt auf die jeweiligen Ernährungsbedürfnisse einzelner Hunde abgestimmt ist.
Theorie mit Praxis verknüpfen
Die Idee zum maßgeschneiderten Fresschen hatten die drei Gründer im Jahr 2011. Stefanie Schmidt arbeitete als Tierärztin am Institut für Tierernährung der Uni Leipzig, wo sie regelmäßig Hunde behandelte, die aufgrund falscher Ernährung gesundheitliche Probleme hatten. In einem Entrepreneurship-Seminar an der HHL tat sie sich mit Potthoff und Hetke zusammen.
Weltweit einzigartig ist das Konzept, das die drei in Absprache mit Experten der Universität Leipzig und Stephan Stubner von der HHL entwickelten: Die Hundehalter geben die Daten auf der Online-Plattform ein, Futalis berechnet den Nährstoffbedarf, stellt das Futter her und verschickt es – auf Wunsch jede Woche. „Wir haben uns zahllose Nächte um die Ohren geschlagen, bis wir die Lösung hatten“, erinnert sich Potthoff.
Diva in grau
Der Einsatz zahlte sich aus: Der High-Tech-Gründerfonds und der Technologiegründerfonds Sachsen haben in Futalis investiert. Inzwischen beschäftigt das Startup mehr als 40 Mitarbeiter. In der Gründerszene sind solche Erfolgsgeschichten selten, an der HHL gibt es sie häufiger: Die 1.500 Absolventen der Hochschule haben mehr als 130 Startups gegründet und mehr als 2.500 Arbeitsplätze geschaffen. Viele dieser Alumni berichten regelmäßig in Seminaren aus ihrem Unternehmeralltag.
„So verknüpfen wir Theorie mit Praxis“, sagt Andreas Pinkwart, der seit 2011 Rektor an der HHL ist und selbst einen der drei Entrepreneurship-Lehrstühle innehat. Pinkwart zufolge kommen inzwischen immer mehr Bewerber ganz bewusst an die HHL, weil sie später gründen wollen. „Sich auf dieses Thema zu fokussieren, kann sich für Hochschulen lohnen.“
Und auch für ihre Umgebung. Wer von der HHL etwa 40 Kilometer Richtung Westen fährt, landet in Halle vor einem wenig schmucken Gebäude, an dem in großen Lettern Begriffe wie „Expertise“, „Finanzierung“ und „Erfolg“ stehen. Hier, im Technologiepark Weinberg Campus, befindet sich Univations – ein Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Die MLU gehört zu den gründungsstärksten im Ranking des Gründungsradars – obwohl in der Region Halle alteingesessene Unternehmen wenig in Forschung investieren und eher wenig Unternehmen gegründet werden. Umso wichtiger sind neue junge Firmen für die Region: Die Arbeitslosigkeit liegt in Halle bei 11,3 Prozent und damit zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt Ostdeutschlands.
Legt los - es lohnt sich!
„Halle wird oft als Diva in Grau bezeichnet“, sagt Tim Atkins, „hier verfällt viel, obwohl das gar nicht sein müsste.“ Der 26-Jährige hat an der MLU Ethnologie studiert und sich mit vier anderen Geisteswissenschaftlern zusammengetan, um etwas für die Region zu tun. In einer Gründungsakademie schrieben sie einen Business- und einen Finanzplan. „Ich musste mich an die Rechnerei gewöhnen“, sagt Atkins, „aber am Ende war es spannender als gedacht.“
Vor zwei Jahren gründeten sie das Startup Regional im Puls, eine Beratung für Unternehmen, Kommunen und Vereine, die Mitarbeiter, Bürger oder Mitglieder beteiligen wollen. Heute berät das junge Unternehmen Politiker, veranstaltet Schulungen und hat in Halle eine Zukunftswerkstatt organisiert. „Wir können zwar noch nicht von den Einnahmen leben“, sagt Atkins, „aber wir bekommen Anfragen und Aufträge aus dem ganzen Bundesgebiet.“
Darauf hoffen auch Johannes Biechele und Marcus Schlüter von Fazua. Zwei namhafte Technologiefinanzierer sind über die Hochschule auf das Startup aufmerksam geworden und wollen es mit frischem Kapital ausstatten, damit der Prototyp bald in Serie gehen kann. Die Gründer müssen in den nächsten Tagen ihren umfunktionierten Hörsaal räumen – sie brauchen ein größeres Büro samt Werkstatt.
Ihrer Alma Mater bleiben sie aber treu. Kürzlich gaben sie ihre Erfahrungen im Innovations-Café der Hochschule an andere Studenten weiter. „Macht nicht zu lang am Businessplan herum, zweifelt nicht zu viel, verliert nicht zu viel Zeit“, riet Biechele, „sondern legt los – es lohnt sich!“