Juicero mit wahnwitzigem Geschäftsmodell Wie eine Saftpresse den Silicon-Valley-Hype zerlegt

Eine 400 Dollar-Saftpresse wird zum Negativ-Symbol des so innovativen Silicon Valley. Investoren hatten 120 Millionen Dollar gegeben - und dann gemerkt: Das Produkt braucht kein Mensch. Wie so vieles andere aus der Kreativschmiede.

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Juicero: Die moderne Saftpresse für fast 400€. Quelle: Presse

Michael Wade steht in einem Seminarraum vor rund 50 Managern aus aller Welt. Von der französischen Managerin eines Herstellers für Medizintechnik über den peruanischen Leiter eines Chemiekonzerns bis zum dänischen Logistikunternehmer – alle wollen wissen, wie sie den digitalen Disruptoren, Start-ups aus dem Silicon Valley, die Stirn bieten können.
Wade ist Professor für Innovation und Strategie an der Schweizer Business School IMD und Leiter des Global Center for Digital Business Transformation - einem Gemeinschaftsunternehmen der IMD mit dem Netzwerkausstatter Cisco. Er stellt den analogen Managern das digitale Start-up Jet.com aus Hoboken in New Jersey vor. Das Unternehmen von Kumail Nanjiani hat sich vorgenommen, Amazon in die Bedeutungslosigkeit zu katapultieren – und zwar über unschlagbare Preise.

Jeder zusätzliche Artikel macht den Einkauf billiger

Das Prinzip: Je mehr ein Kunde online bestellt, desto günstiger werden die Waren im Einzelnen. Wer zusätzlich zum Sofakissen, dem Avocado-Schäler und dem Plüsch-Einhorn noch eine Tube Zahnpasta in den Warenkorb legt, reduziert so den Preis aller Waren. Das gilt insbesondere für Produkte aus zusammengehörigen Warengruppen. Toast und Erdnussbutter zusammen kosten 12,47 Dollar. Kommt noch ein Glas Erdbeermarmelade dazu, verringert sich der Preis auf 8,08 Dollar. Wer per Lastschrift anstatt mit Kreditkarte zahlt - was in den USA eher ungewöhnlich ist - spart nochmal ein paar Cent. Neukunden bekommen auf die ersten drei Einkäufe selbstredend 15 Prozent Rabatt.

„Aber so kann man doch nicht auf Dauer überleben“, sagt einer der Teilnehmer des Kurses. Und hat damit die erste Lektion in Sachen Angriff der Disruptoren verstanden. „Es gibt eine ganze Menge Start-ups, die Ihnen Konkurrenz machen, deren Geschäftsmodelle nicht nachhaltig sind“, sagt Wade. „Das liegt daran, dass in der Welt da draußen mehr Investoren mit Geld sind, als gute Ideen.“


Snapchat wertvoller als Adidas, Uber mehr wert als Ford?

So kommt es, dass beispielsweise Snapchat – obwohl es keine Gewinne macht - mit rund 3,4 Milliarden Dollar an der Börse höher bewertet wurde, als beispielsweise der Sportartikelhersteller Adidas. Der, anders als Snapchat, neben 19,29 Milliarden Euro Umsatz auch noch Gebäude, Grundstücke, Mitarbeiter, Produktionsmaschinen und Rohstoffe vorzuweisen hat. Und auch der Fahrdienstvermittler Uber ist mit einem Börsenwert von mehr als 60 Milliarden Dollar auf dem Papier mehr wert als beispielsweise der Autobauer Ford.

Fakt ist: neue Ideen, Wachstum, potentielle Umsätze und Marktpotentiale stehen hoch im Kurs. Reale Produktionshallen und echte Produkte sind dagegen weniger sexy. Natürlich muss in Ideen investiert werden, aber nicht jede neue App ist auch Milliarden wert.

Investoren werden zögerlicher

Tatsächlich scheint diese Erkenntnis auch bei den Risikokapitalgebern mehr und mehr zu verfangen, wie die vergangenen zwei Money Tree Reports der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (Pwc) und der Research-Plattform CB Insights zeigen. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres schlugen Investoren im Valley 310 mal zu, insgesamt pumpten sie 3,9 Milliarden Dollar (rund 3,6 Milliarden Euro) in verschiedene dort ansässige Jungunternehmen. Das sind zwar immer noch große Summen, im Vergleich zum dritten Quartal ist das jedoch ein Investitionsrückgang von minus 37 Prozent.

Im ersten Quartal dieses Jahres hat das Silicon Valley seinen Status als Investors Darling sogar verloren und muss sich mit Platz drei begnügen. Spitzenreiter im Einsammeln von Finanzspritzen ist die Region San Francisco (N. Bay Area) mit 3,471 Milliarden Dollar. Dahinter folgen New York Metro mit 1,484 Milliarden und das Silicon Valley (S. Bay Area) mit 2,741 Milliarden Dollar.

Dass die Investoren zögerlicher mit ihrem Scheckbuch umgehen, mag auch an Unternehmen wie Jet.com liegen, die sich häufen. Jüngstes Beispiel für ein Start-up mit wahnwitzigem Geschäftsmodell ist Juicero.


Das Unternehmen aus San Francisco stellt smarte Saftpressen her. Statt einer Orange, Äpfeln oder sonstigen Früchten quetscht die Maschine Plastiktüten aus, in denen das kleingeschnittene Obst verpackt ist. 400 Dollar kostet die Saftmaschine, ursprünglich waren es einmal 700 Dollar.
Auf jedem der fünf bis acht Dollar teuren Päckchen, beispielsweise Apfel, Spinat und Grünkohl im Mix oder rote Beete-Karotte, ist ein QR-Code aufgedruckt. Hinter dem verbirgt sich die Information, woher die Zutaten aus dem jeweiligen Saftpäckchen stammen, welche Nährstoffe enthalten sind und wie viele Kalorien dieses Päckchen enthält. Außerdem können Kunden über den Code die jeweilige Sorte nachbestellen – so sie die Maschine besitzen. Denn das Geschäftsmodell besagt: Ohne Saftpresse gibt es auch keine Saftpäckchen.

Dann kommt das Päckchen in die Saftpresse, die wiederum die Tüte scannt und - abhängig vom Inhalt - fester oder leichter zudrückt. Sollte das Haltbarkeitsdatum der Safttüte abgelaufen sein - und sei es nur um wenige Stunden - presst die Maschine die Tüte allerdings nicht mehr aus. Statt "best use before wird" so "don't use after". Wenn das Internet nicht funktioniert, funktioniert die WLAN-Saftpresse übrigens nicht.

Ein Gerät für bequeme, digitalaffine Gesundheitsfanatiker und Smoothie-Fans mit entsprechend dickem Konto also. Das überzeugte unter anderem Google Ventures, einen Risikokapitalgeber der Google-Mutter Alphabet und die amerikanische Risikokapitalgesellschaft Kleiner Perkins Caufield & Byers.

Die Tütchen lassen sich schneller per Hand auspressen

Gemeinsam mit anderen Investoren steckten sie 120 Millionen Dollar in den Saftladen aus San Francisco. Und bereuten diesen Schritt, kurz nachdem das Gerät auf den Markt kam. Dann nämlich fanden sie heraus, dass sich die Safttüten mit der Hand genauso schnell und effektiv auspressen lassen, wie mit der Maschine. Tatsächlich war der Mensch im Test der Nachrichtenagentur Bloomberg beim Auspressen sogar ein bisschen schneller.

Gründertypen: So ticken junge Unternehmer rund um den Globus

Juicero-CEO Jeff Dunn verteidigte das Produkt in einem Blog gegen den Bloomberg-Bericht: der „unglaubliche Wert“ des Produkts sei, dass beispielsweise ein erschöpfter Vater sich ganz einfach etwas Gutes tun könne, bevor er die Kinder zur Schule bringe – und zwar „ohne die Zutaten vorzubereiten und hinterher eine Saftpresse zu reinigen.“
Die Investoren erkennen diesen gesellschaftlichen Wert aber offenbar nicht an. Hätte man das vorher gewusst, so einer der beiden Investoren gegenüber Bloomberg, hätte man nie mit Gründer Doug Evans gesprochen. Schließlich liege der Fokus auf Hardware- und Tech-Firmen, nicht auf Food-Start-ups, die geschnittenes Obst in Tüten verkaufen.

Woran Start-ups scheitern


Die Redakteure von Bloomberg nennen das Produkt ein Symbol für all das, was bei Start-ups im Silicon Valley schief läuft. Und das ist laut einer Analyse der Datenexperten von CB Insights vor allem, dass die Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, die kein Mensch braucht. Zumindest seien daran 42 Prozent der untersuchten Pleite-Start-ups gescheitert.
Eine ganz ähnliche Beobachtung machte auch Mathieu Carenzo, Business Angel und Dozent an der IESE Business School. „Den Verbraucher glücklich zu machen, sollte immer an erster Stelle stehen. Schließlich steht und fällt das Start-up mit ihm“, sagt er. Um den glücklich zu machen, müssen Gründer seine Wünsche und Probleme kennen und sie erfüllen beziehungsweise lösen. „Irgendwo wird sich irgendwer schon für Ihr Produkt interessieren. Sie wissen nur noch nicht, wer das sein soll? Klingt, als würde es diese Leute nicht geben“, so Carenzo.

Außerdem treffe er häufig auf Gründer, die das Marktpotenzial überschätzen. Nur weil rund um Barcelona 500.000 Frauen leben, von denen 60 Prozent mindestens einmal im Jahr Schuhe kaufen, könne man nicht davon ausgehen, deshalb in einem Damenschuhgeschäft in Barcelona pro Jahr 300.000 Kundinnen zu bedienen.

So sieht der deutsche Start-up-Markt aus

Was nicht heißen soll, dass jedes Start-up aus dem Valley Murks produziert oder es keine Gründer gibt, die nachhaltige Geschäftsmodelle und vernünftige Preiskalkulationen haben. Neben all den Plattformen, über die sich Möbel, Kleidung und Fahrräder konfigurieren lassen, Essen bestellt oder schlicht eingekauft wird, gibt es sowohl in den USA als auch in Deutschland eine ganze Menge junge Unternehmen, die innovativ sind, neue Märkte eröffnen oder beispielsweise die Medizintechnik von morgen entwickeln.

Das milliardenschwere US-Start-up Theranos will mit billigen Bluttests die Medizin demokratisieren. Nun gibt es Zweifel, ob sie funktionieren. Das US-Magazin Forbes hat Gründerin Elizabeth Holmes bereits abgeschrieben.
von Matthias Hohensee, Susanne Kutter

Das erkennen auch immer mehr Investoren und lenken ihre Geldströme entsprechend um. So ist die Zahl der Finanzierungsrunden bei amerikanischen Internetunternehmen binnen eines Quartals um 44 Prozent zurückgegangen, während Investitionen in junge Healthcare-Unternehmen um 17 Prozent gestiegen sind, wie der Money Tree Report zeigt. Doch auch hier gibt es schwarze Schafe, die das Geld nicht verdienen, wie der Fall Theranos zeigt: Das Unternehmen von Elisabeth Holmes wollte den Bluttest revolutionieren und träumte vom Test für zu Hause.

Mehr als die – zugegeben gute - Idee gab es jedoch nicht. Holmes soll Kunden und Investoren im großen Stil betrogen haben, in dem sie Bluttests von Konkurrenten verwendeten. Es lohnt sich also in allen Branchen, ganz genau hinzusehen, wer eine gute Idee hat, wer wirklich das Zeug zum Weltveränderer hat und welche Unternehmen sich in Kürze selbst zerlegen werden. Denn, da ist IMD-Professor Michael Wade ganz sicher, „diese Unternehmen werden scheitern.“

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