Es ist das Vorzeige-Startup, das im letzten Jahr für Wirbel sorgte: Zwei smarte Gründer, die mit ihrer Idee die eingeschlafene Taxibranche mit wenig Sexappeal angreifen und den Markt revolutionieren wollten: Sie wollten Idee geschickt vermarkten und ihre App gut designen - extra für die Generation Smartphone.
Die Rede ist von der App "myTaxi" der Hamburger Gründer Sven Külper und Niclaus Mewes. Kunden sparen sich den Anruf bei der Taxizentrale. Die Handysoftware bestimmt via Satellitenpeilung GPS den Aufenthaltsort der Kunden, zeigt an, welche Taxen in der Nähe sind und lässt sie per Knopfdruck anrücken. Die Kunden sehen auf dem Display außerdem das Bild des Fahrers und die Bewertungen früherer Reisender. Die App sollte der Todesstoß für die Taxizentralen sein, für die Taxiunternehmen zwischen 100 und 700 Euro pro Monat und Taxi zahlen. Bei myTaxi zahlen Fahrer pro vermittelte Fahrt 79 Cent an das Start-Up. Die Telekom-Tochter T-Venture investierte und Anfang des vergangenen Jahres stieg auch die Daimler-Tochter car2go ein.
Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband (BZP) bebte, schließlich sind seine Mitglieder gute Kunden von Taxi-Lieferant Daimler. "Wir schäumen vor Enttäuschung und Wut!" hieß es in einem Brief der Präsidenten an den Daimler-Chef Dieter Zetsche. "Einer Financial Times Deutschland-Meldung von heute ist zu entnehmen, dass myTaxi von Ihrem Hause über Car2go millionenschwer finanziell unterstützt wird mit der Zielsetzung, Taxizentralen überflüssig zu machen", heißt es weiter.
Doch ein Jahr später ist es verhältnismäßig ruhig geworden. MyTaxi gibt sich zwar selbstbewusst: "Wir konnten uns als Marktführer nach wie vor behaupten", sagt Gründer Sven Külper. Wie viele Fahrten myTaxi 2012 vermittelt hat, verrät er nicht und auch über den Umsatz schweigt er sich aus. Ist am Ende doch mehr Schein als Sein?
Zwar ist myTaxi weiter gewachsen. 20.000 Taxen sind international angeschlossen, davon 12.000 in Deutschland, das ist etwa jedes vierte Taxi.
Doch die Apps der Taxizentralen trumpfen mit weit höheren Zahlen auf. Vorreiter sind die Apps taxi.eu und Taxi Deutschland. Je nachdem mit welchem Funksystem die Zentralen arbeiten, sind sie an die jeweilige App angeschlossen. Dann erfolgt die Taxibestellung über die App vollautomatisch. Steht der Zentrale nicht die entsprechende Technik zur Verfügung, zeigt die App die jeweilige Telefonnummer an.
So sind über taxi.eu insgesamt 60.000 Taxen angeschlossen, 42.000 in Europa und 18.000 in Deutschland – immerhin 6.000 mehr als bei myTaxi, das sich als Marktführer ausgibt. Bei Taxi Deutschland dürften es in Deutschland rund 9.000 Taxen sein. Die Kosten für die Entwicklung hat bei der Taxi Deutschland App ein Zusammenschluss der großen Zentralen aus Berlin, Hamburg und München übernommen. Kleine Zentralen dürfen die App kostenlos nutzen. Für die Taxi.eu-App zahlen Unternehmen pro Auto einen Euro pro Monat.
myTaxi greift das Geschäftsmodell der Taxizentralen an
Auch europaweit ist taxi.eu auf dem Vormarsch. In Kopenhagen, Rotterdam, Wien, Salzburg, Lyon oder Zürich ist die App verfügbar und vermittelt über die jeweiligen Taxizentralen. "In Wien sind 2600 Fahrer an die App angeschlossen", sagt Geschäftsführer Hermann Waldner. "Bei myTaxi sind es nur 30 bis 35." Schaut man auf die myTaxi-Homepage, sind gerade exakt 35 Wagen in Wien unterwegs. Laut myTaxi sind allerdings 700 Wagen in der österreichischen Hauptstadt an die App angeschlossen.
Seit September 2012 ist das Startup in den USA an den Start gegangen. Mehrere hundert Taxen sollen hier mit der App unterwegs sein. In diesem Jahr sollen weitere Städte in den USA dazu kommen. New York wird es nicht sein, mehr will myTaxi nicht verraten. Doch auch hier ist die Konkurrenz bereits am Start: beispielsweise der Chauffeurservice Uber. Das Unternehmen aus San Francisco ist in amerikanischen und kanadischen Städten und in Paris, London, Sydney und Amsterdam unterwegs. Im Februar will Uber außerdem in Berlin an den Start gehen.
Verkehrs-Apps
Das Programm ermöglicht Car-Sharing für Privatautos: Autobesitzer können ihre Wagen zur Miete anbieten. Wer ein Auto sucht, dem zeigt Tamyca Angebote aus der Umgebung. Schäden deckt eine Versicherung ab. iOS (Apple), Android
Diese App ist eine mobile Mitfahrzentrale. Wer verreisen will, bekommt die Ziele anderer Fahrer angezeigt. Praktisch: Flinc lotst den Fahrer zum Passagier, damit man sich nicht verpasst. iOS, Android, PC
Das Handyprogramm warnt vor Blitzern. Wer eine Radarfalle entdeckt, kann andere darauf hinweisen. Auch Unfälle und Straßenschäden können damit gemeldet werden. iOS, Android, Blackberry, Symbian
Das System meldet, wo und wie lange es auf Autobahnen und Bundesstraßen stockt. Grundlage sind Verkehrsdaten des ADAC. Für iOS, Android
Die App zeigt Benzinpreise von Tankstellen in der Umgebung. Nutzer können die aktuellen Preise mit der App melden. iOS, Android
Die Park-App merkt sich den Standort des eigenen Vehikels und warnt, bevor die Parkzeit abläuft. In Parkhäusern kann man Etage und Stellplatz speichern. iOS
Ein Ratgeber für unterwegs: Ob Tempolimit in den Niederlanden oder stabile Seitenlage, die Antworten sind auch ohne Funkverbindung verfügbar. iOS
Ausgerechnet hier hat myTaxi gerade den Aufnahmestopp für weitere Fahrer verkündet. "myTaxi steht für Qualität, mit der wir uns im Markt durchgesetzt haben. An erster Stelle setzen wir da bei unseren Fahrern an, die wir mit Schulungen, Produkten wie 'myTaxi Payment' und Werbemitteln unterstützen. Die myTaxi-Fahrer können sich so ihren eigenen Kundenstamm aufbauen", sagt Külper. Doch auch Branchenkenner berichten, dass viele Fahrer mit der myTaxi-App unzufrieden seien, weil sie zu wenige Fahrten vermittelt bekämen.
Das sorgt dafür, dass einige Taxizentralen wieder Zuwachs verzeichnen – obwohl sie doch eigentlich aussterben sollten. Hermann Waldner, Chef der Zentrale Taxi Berlin und gleichzeitig Geschäftsführer der App taxi.eu hat im vergangenen Jahr 220 zusätzliche Taxen bekommen. "Jetzt sind insgesamt 5.200 Taxen bei mir angemeldet. Sie freuen sich außerdem, da ich 2012 eine Auftragssteigerung von 10,8 Prozent hatte."
Im Hamburg drohten viele Taxifahrer, bei der Zentrale zu kündigen und zu myTaxi zu gehen, doch viele kehrten auch wieder zurück, weil sie allein von der App nicht leben könnten, berichten Insider. In Frankfurt würden teilweise nur ein bis zwei Fahrten pro Woche vermittelt.
In kleineren Städten wie Münster gibt sich die Taxizentrale erst recht entspannt. Hier ist myTaxi noch nicht präsent. "Die Taxizentralen werden nicht überflüssig sein, weil sie viele zusätzliche Aufgaben wie Busersatzfahrten etwa beim Schülertransport, Krankenfahrten oder Notfalldienste für die Bahn erfüllen", sagt Roland Böhm, Geschäftsführer der Taxizentrale Münster und Vorstandsmitglied beim Deutschen Taxi und Mietwagenverband. "Diese Fahrten machen 35 Prozent der gesamten Taxifahrten aus."
Zwar bestellen nur zwei bis vier Prozent der zuletzt 430 Millionen Fahrgäste jährlich ihr Taxi über eine App. Der Anteil wird jedoch zunehmen. Wie der Kampf in der Branche mit vier Milliarden Euro Umsatz ausgehen wird, ist noch nicht abzusehen. Zumindest hat myTaxi es geschafft, die Zentralen-Landschaft aufzurütteln: Der Geschäftsbericht 2012 des deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes thematisiert myTaxi allein sechs Mal.