Die Arbeitslosenquote in Deutschland ist so niedrig wie seit 25 Jahren nicht mehr. Das sagt allerdings nichts über die Qualität der Arbeit aus. So zeigt etwa der Global Talent Monitor des Best-Practice- und Technologieunternehmens CEB: Einen Job zu haben heißt nicht, dass man damit auch zufrieden ist. Nur 15 Prozent der deutschen Arbeitnehmer sind demnach wirklich mit Herzblut bei der Sache. Der Rest macht Dienst nach Vorschrift und ist abends froh, endlich nach Hause zu dürfen. Zum gleichen Ergebnis kam schon im Frühjahr die Unternehmensberatung Gallup. Trotzdem gab mehr als die Hälfte der Unzufriedenen an, keinen Jobwechsel zu planen.
"Ich werde 60 - das ist Halbzeit"
Rainer Zitelmann kann das nicht verstehen. Sobald er nicht mehr mit glühender Begeisterung bei der Sache sei, halte er die Augen nach etwas Neuem offen, sagt er. Zufriedenheit allein sei ihm da schon zu wenig, von Unzufriedenheit im Job ganz zu schweigen. „Ich habe eine Lehrerausbildung, war Dozent an der FU Berlin, Ressortleiter bei der "Welt", Cheflektor beim Ullstein Verlag, PR-Unternehmer, Immobilieninvestor, Seminarveranstalter, Makler – und ich habe meist mehrere Sachen gleichzeitig gemacht“, erzählt der promovierte Historiker und Sozialwissenschaftler.
Seine vermeintliche Wankelmütigkeit hat ihn im Laufe der Jahre zum Millionär gemacht - und an den Ruhestand denkt er noch lange nicht. „Ich werde dieses Jahr 60. Viele sagen da: nur noch fünf oder sieben Jahre bis zur Rente. Ich habe da eine andere Art zu rechnen. Da ich wegen meiner Promotion erst mit 30 den ersten richtigen Job hatte, ist bei mir jetzt Halbzeit.“
Anfang Mai 2017 erschien Zitelmanns Autobiografie „Wenn du nicht mehr brennst, starte neu!". Von den Lehren, die er aus seinen verschiedenen Karrierestationen zog, lautet eine: Der Neustart klappt auch ohne den vielgepriesenen Mut zum Risiko.
Kann das klappen? Sorgt doch Mut erst dafür, dass der Mensch Barrieren überwindet, Herausforderungen annimmt und beendet, was er begonnen hat, stellten etwa Forscher der Universität Zürich fest. Zumindest den letzten Punkt hält Zitelmann aus unternehmerischer Sicht für Quatsch. Sobald man merke, dass ein Unternehmen am Bedarf der Zielgruppe vorbei agiere, sei es Zeit, aufzugeben.
"Wo andere drei Dübel nehmen, benutzt du neun"
Was nicht bedeutet, dass er dazu rät, einfach mal drauflos zu gründen und dann zu schauen, ob das Start-up erfolgreich ist oder nicht. Planung und Vorsicht gehören für ihn zum Unternehmertum dazu. „Mir hat mal ein langjähriger Freund gesagt: Du hast alles, was man braucht, um Erfolg zu haben, aber dein Sicherheitsfanatismus wird dir immer im Weg stehen. Wo andere drei Dübel benutzen, schlägst du neun in die Wand“, erzählt er. Das beschäftigte Zitelmann lange, bis er zu dem Schluss kam, dass der Einwand richtig ist - zumindest für den ersten Schritt. „Aber als ich erstmal den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt hatte, hat mir mein Sicherheitsbedürfnis als Unternehmer mehr geholfen als geschadet.“
Natürlich brauche ein Unternehmer viel Optimismus und Selbstvertrauen. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass Probleme ausgeblendet werden. Bevor er seinen Job als Ressortleiter bei der "Welt" kündigte, fragte Zitelmann einige Bekannte: „Wenn ich eine Kommunikationsberatung aufmache, würdest du einen Vertrag unterschreiben, der dich für ein Jahr an mich bindet – und würdest du mir monatlich 10.000 Mark zahlen?“ Sieben von Acht hätten zugesagt. Also hängte er den inzwischen langweilig gewordenen Zeitungsjob an den Nagel und startete als Berater durch. „Ich wusste ja, dass ich im ersten Jahr meiner Selbstständigkeit mindestens 840.000 Mark verdienen würde. Und selbst, wenn einer abgesprungen wäre, hätte es immer noch funktioniert. Ohne diese Sicherheit hätte ich nicht gekündigt“, erzählt er.
Nie ohne Netz und doppelten Boden kündigen
Grundsätzlich habe er sich in seinem Leben noch nie ohne Netz und doppelten Boden in ein neues Projekt gestürzt. „Man reißt ja auch sein Haus nicht ab, wenn man nicht schon den Schlüssel zu einem neuen besitzt“, so Zitelmann.
Und wie sehen es die Deutschen? Die gründen immer weniger Unternehmen, wie der Gründungsmonitors 2017 der KfW Bankengruppe belegt. KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner geht davon aus, dass der stabile Arbeitsmarkt schuld ist: Die Sicherheit einer Anstellung sei den Deutschen lieber als das Risiko der Selbstständigkeit.
Irgendwie ja auch verständlich. „Selbstständigkeit ist ein Weg, sich selbst zu verwirklichen und damit Geld zu verdienen. Für viele ist es aber auch ein Weg ins Unglück: die meisten Selbstständigen scheitern“, sagt Zitelmann. Er rät Wandel- und Wechselwilligen deshalb dazu, es mit der Selbstständigkeit erst einmal im Nebenerwerb zu probieren. Wenn das Geschäft dann läuft, könne man immer noch den langweilig gewordenen Job kündigen.
So sieht der deutsche Start-up-Markt aus
Startups sind per Definition des Deutschen Start-up-Monitors (DSM) jünger als zehn Jahre und zeichnen sich durch "ein signifikantes Mitarbeiter- und/oder Umsatzwachstum" aus. Wer einen Kiosk eröffnet, hat demnach kein Start-up gegründet, sondern eine sogenannte Existenzgründung. Und wer ein Schuhgeschäft mit drei Angestellten aufmacht, betreibt ein kleines, mittelständisches Unternehmen (KMU) und kein Start-up.
Quelle: Deutscher Start-up-Monitor vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. (BVDS) und KPMG in Deutschland
Das dritte Kriterium, woran man ein Start-up erkennt: die Gründer sind mit ihrer Technologie und/oder ihrem Geschäftsmodell (hoch) innovativ. "Gründerinnen und Gründer sind voller Ideen und voller Begeisterung. Sie entwickeln aus Problemlösungen Geschäftsmodelle. Gründungen sind Lebenselixier für unsere Wirtschaft und Motor des strukturellen Wandels. Denn kreative Ideen und innovative Geschäftsmodelle modernisieren unsere Wirtschaftsstruktur, erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit und schaffen neue Arbeitsplätze", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in seinem Grußwort zum aktuellen DSM.
Die meisten Start-ups finden sich in der Rhein-Ruhr-Region, in und um München, in der Region Karlsruhe/Stauttgart, im Raum Hamburg, in und um Frankfurt am Main - und natürlich in Berlin: Auf 1.000 erwerbsfähige Berliner kommen 26 Gründer - so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland.
Laut dem European Startup Monitor arbeiten inklusive der Gründer 12,9 Menschen in einem durchschnittlichen europäischen Startup. In Deutschland ist die Zahl der Mitarbeiter überdurchschnittlich hoch: Hier sollen Startups im Schnitt über 15 Mitarbeiter verfügen – ohne die Gründer mitzurechnen.
Knapp zehn Prozent der Gründerinnen und Gründer von Startups und 22 Prozent der Beschäftigten in Startups kommen aus dem Ausland. Rund 13 Prozent der Gründer in Deutschland sind Frauen.
Außerdem solle man bedenken, dass es natürlich leichter ist, als Hirnchirurg Fernfahrer zu werden, als umgekehrt. „Allgemein ist es, wenn man eine Menge Geld verdienen will, nicht unbedingt eine gute Idee, ausgerechnet in solche Gebiete reinzugehen, für die man eine sehr lange Ausbildung braucht, wie das bei Ärzten oder Anwälten der Fall ist“, sagt er. Er sei bisher immer in Branchen eingestiegen, die für Autodidakten und Quereinsteiger geeignet seien. „Warum an den Olympischen Spielen teilnehmen, wenn bei der Kreismeisterschaft das gleiche Preisgeld winkt?“, lautet Zitelmanns Credo.
„Wer keinen Spaß am Verkaufen hat, wird nur schwer Erfolg haben“
Dass viele das finanzielle Risiko einer Gründung scheuen, kann er nicht nachvollziehen. „Kapital braucht man bei manchen Geschäftsideen so gut wie keins: ich coache gerade einen jungen Mann, 18 Jahre, der mit seiner Geschäftsidee ins Silicon Valley gehen will. Was braucht der denn für Kapital? Geld für die Miete für ein Büro, einen Tisch und einen Stuhl“, sagt er.
Wer kein produzierendes Gewerbe anmelden wolle, sondern beispielsweise ein Internetunternehmen, müsse sich wenig Sorgen machen. „Ich würde nichts machen, wofür ich mich hochgradig verschulden muss“, ergänzt er.
Finanzierungen: Die größten Deals 2017
Das Berliner Musikportal lancierte erst 2016 einen Bezahldienst, verliert aber weiterhin Geld. Im März erhielt Soundcloud umgerechnet 65,7 Millionen Euro. Das Geld kommt unter anderem von Investoren aus den USA und Großbritannien.
Fast 50 Millionen Euro sammelte das Berliner Forschernetzwerk Researchgate ein, wurde in diesem Jahr bekannt. Die Stiftung von Bill Gates erhöhte ihre Anteile.
Anfang März erhielt Breath Therapeutics 43,5 Millionen Euro von Risikokapitalgebern aus Kalifornien, Belgien und den Niederlanden. Das Spin-off von Pari Pharma aus Starnberg arbeitet an einer Therapie gegen eine tödliche Lungenkrankheit.
Das Berliner Fintech sucht für private Sparer das beste Zinsangebot. Dabei profitiert es von den Zinsunterschieden in Europa. Bislang vermittelte Weltsparen mehr als drei Milliarden Euro an Spargeldern. Nun will es zur ersten Anlaufstelle für Sparer und Anleger in Europa werden. Die Investoren glauben daran: Sie verdoppelten im Januar das Eigenkapital und gaben dem Gründer und CEO Tamaz Georgadze weitere 30 Millionen Euro.
Ende 2015 ist die Solarisbank angetreten, um den App Store für die Finanzwelt zu bauen. Das Konzept kommt bei Investoren an: Im ersten Jahr nahm das Berliner Start-up zwölf Millionen Euro ein. Schon jetzt beschäftigt es 85 Mitarbeiter in sechs Ländern. Im März beteiligten sich Investoren mit 26,3 Millionen Euro, darunter die japanische SBI Group. Die Solarisbank will bald auch in Asien starten.
Außerdem würde er nie einen Neustart wagen, wenn sein neues Projekt oder sein neues Unternehmen kein eindeutiges Alleinstellungsmerkmal habe. Auch wer kein Verkaufstalent habe, solle sich eine Gründung zweimal überlegen. Schließlich müsse man gerade in der Anfangszeit für das Start-up die Werbetrommel rühren. „Wer keinen Spaß am Verkaufen hat, wird als Unternehmer nur schwer Erfolg haben“, sagt er. Genauso wichtig seien Lernbereitschaft und Offenheit, Geplantes zu verändern und an die Praxis beziehungsweise die Kundenwünsche anzupassen.
Für seine eigene berufliche Zukunft hat der Unternehmer noch keine konkreten Pläne. „Ich kann jetzt noch nicht sagen, was das nächste große Projekt sein wird, aber es wird kommen“, sagt er. Sobald er merke, dass er offen für etwas Neues sei, werde er sich umschauen, was ihn interessiere und aus welcher Idee sich auch wirklich Geld machen lasse.
Und dann heißt es Risiken abwägen und sich an das neue Gebiet herantasten. Eines könne auch er nicht absichern, wie er zugeben muss: „Eine zündende Idee ist nicht planbar.“