Jürgen Gechter würde es wieder tun. Der 50-Jährige aus dem fränkischen Regelsbach hat seine Entscheidung, sich selbstständig zu machen, bis heute nicht bereut. Trotzdem sei das Leben als Solo-Selbstständiger schon sehr „ambivalent“, räumt er ein. „Das ist wie bei einem Süchtigen: Manchmal bin ich geradezu begeistert von dem, was ich mache.
Und dann gibt es wieder Zeiten, da wünsche mir ein Leben als Arbeitnehmer mit regelmäßigem Gehalt und sozialer Absicherung zurück. Ich bekomme Magenschmerzen, wenn mein Konto mal wieder gegen Null läuft“, bekennt er freimütig.
Gechter, der als Alleinunternehmer Kurse für Betriebs-, Personalräte und Schwerbehindertenvertreter anbietet, scheint die Gefühlslage vieler Solo-Selbstständiger auf den Punkt zu bringen: Sie schätzen es, ihr eigener Chef und frei von betrieblichen Zwängen zu sein, hadern aber mit niedrigen Honoraren, Auftragsflauten und unzureichender staatlicher Förderung. Die jüngst von SPD und Union angestoßene Debatte um die Rentenversicherungs- oder Altersvorsorgepflicht für Solo-Selbstständige hat die Gruppe wieder stärker ins Rampenlicht gerückt.
Amtliche Zahlen machen derweil klar: Der einst von der Bundesagentur für Arbeit (BA) mit seiner „Ich-AG“-Förderung ausgelöste Boom der Solo-Selbstständigen ist längst vorbei. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stagnierte die Zahl der Solo-Selbstständigen bereits 2007, seit 2012 nimmt sie stetig ab. Im Jahr 2015 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nur noch 2,15 Millionen „Selbstständige ohne Mitarbeiter“; damit gehörte nur jeder 20. zur Gruppe der Solo-Selbstständigen.
„Offenbar hat die Selbstständigkeit an Attraktivität eingebüßt. Angesichts der der günstigen Lage auf dem Arbeitsmarkt dürfte die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung häufig als die bessere Alternative angesehen werden - zumal nicht wenige selbstständige, insbesondere unter den Alleinunternehmern, nur spärliche Einkünfte erzielen“, bilanziert der Forscher Karl Brenke in einer DIW-Untersuchung aus dem Jahr 2015.
Die größten Hemmnisse für Unternehmensgründungen
Fragestellung: Was glauben Sie sind die größten Hemmnisse für Unternehmensgründer in Deutschland bzw. den USA?
Quelle: Axa Studie "Innovation und Unternehmensgründungen in Deutschland und den USA", Oktober 2014.
Repräsentative Befragung im YouGov Panel Deutschland (1.034 Personen) und im YouGov Panel USA (1.145 Personen).
Zu starke zeitliche Beanspruchung
USA: 16%
Deutschland: 17%
Fehlende oder zu wenig Netzwerke
Deutschland: 19%
USA: 16%
Zu große Verantwortung
Deutschland: 20%
USA: 9%
Eingeschränkte Verdienstmöglichkeiten
Deutschland: 20%
USA: 19%
Fehlende oder zu wenig Beratungsangebote
Deutschland: 24%
USA: 11%
Furcht, weniger als im Angestelltenverhältnis zu verdienen
Deutschland: 29%
USA: 32%
Fehlende Sicherheiten
Deutschland: 52%
USA: 17%
Angst zu scheitern
Deutschland: 54%
USA: 40%
Bürokratischer Aufwand
Deutschland: 70%
USA: 45%
Fehlendes Kapital
Deutschland: 72%
USA: 58%
Dabei sieht die Einkommenssituation der Solo-Selbstständigen auf den ersten Blick gar nicht so schlecht aus: So haben nach DIW-Erkenntnissen die Alleinunternehmer im Jahr 2014 im Durchschnitt einen Stundenlohn von 18,86 Euro verbuchen können, berichtet das Forschungsinstitut unter Berufung auf einen repräsentative Befragung von 30.000 Bundesbürgern (Sozio-ökonomisches Panel).
Solo-Selbstständige verdienten damit im Schnitt pro Stunde zwei Euro mehr als abhängig Beschäftigte, aber immer noch deutlich weniger als Selbstständige mit mehreren Mitarbeitern.
Einkommensgefälle ist sehr groß
Allerdings, so macht DIW-Forscher Brenke deutlich, ist das Gefälle zwischen sehr schlecht und sehr gut verdienenden Solo-Selbstständigen enorm groß. Der großen Zahl von Solo-Selbstständigen mit „spärlichen Einkommen“ stehe eine sehr kleine Zahl mit sehr gut verdienenden Alleinunternehmern gegenüber.
So brachte es etwa das - gemessen an der Einkommenshöhe - unterste Viertel der Solo-Selbstständigen 2014 monatlich auf ein mittleres persönliches Nettoeinkommen von gerade mal 616 Euro, die im obersten Viertel vertretenen Solo-Selbstständigen dagegen im Mittel auf 3158 Euro.
Ohne Hilfen von Partnern oder Verwandten käme so mancher der schlecht verdienenden Solo-Selbstständigen wohl kaum über die Runden. Am unteren Ende der Einkommensrangliste rangieren freiberuflich arbeitende Friseure und Kosmetiker. An der Spitze stehen Finanzprofis, Ingenieure und selbstständige Juristen mit 2300 bis 2600 Euro.
Warum Gründer im Nebenerwerb starten
Um eine Basis für Selbstständigkeit im Vollerwerb zu schaffen.
Quelle: KfW, Inmit/Uni Trier
Um Geschäftsideen erproben zu können.
Um durch Sozialversicherungen geschützt zu sein.
Um das finanzielle Risiko zu verringern.
Um eine Erwerbsalternative zu haben.
Um finanziell abgesichert zu sein.
Um Fähigkeiten zu nutzen.
Für Waltraut Rehberger (Name von der Redaktion geändert) ist nach fast 13-jähriger Erfahrung als Dozentin für Arbeits- und Sozialrecht der Glanz der Solo-Selbstständigkeit verblasst. Die 59 Jahre alte Berlinerin würde ein Angebot für eine Festanstellung inzwischen nicht mehr ausschlagen, wenn es denn ihrer Qualifikation entspräche. Auftragsflauten und ihr geringes Einkommen zwingen sie zu einem „bescheidenen Leben“. Inzwischen versucht sie im Schulterschluss mit anderen die Lage Solo-Selbstständigen zu verbessern. Die „Solidarität und Kollegialität“ unter Solo-Selbstständigen sei aber leider sehr gering, berichtet sie.
Tarifverträge für Selbstständige
Von den Schwierigkeiten, angemessene Honorare für Künstler, Journalisten und Dozenten durchzusetzen, kann auch Veronika Mirschel ein Lied singen. Sie leitet das Referat Selbstständige bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie hatte gehofft, die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns für abhängig Beschäftigte würde die Auftraggeber von Solo-Selbstständigen dazu bringen, ihre Honorare aufzustocken. Das sei aber leider nicht der Fall, bedauert sie. Beharrlichkeit führe aber in einigen Bereichen zu kleineren Erfolgen. So gebe es inzwischen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tarifverträge für sogenannte feste freie Mitarbeiter.
Tipps für Freelancer: So schlagen Sie mehr Honorar raus
Hören Sie im Briefing gut zu und bieten möglichst passgenau an. Das verhindert unnötige Preisverhandlungen, bei denen Sie nur verlieren können.
Quelle: Rhetoriktrainer Peter Flume
Erklären Sie dem Kunden, was Sie können. Fokussieren Sie Ihr Alleinstellungsmerkmal. So wird klar, warum Sie ein höheres Honorar wert sind.
Schnüren Sie Basic, Medium und Premiumpakete. Dann kommen Sie aus der Falle der vielen kleinen Einzelposten heraus und es wird weniger verhandelt.
Weniger Arbeit = Höhere Marge. Hat sich die Zusammenarbeit bewährt, bleiben Sie dran. Die Ersparnis geben Sie an den Kunden weiter oder behalten für sich.
Betreiben Sie kein Honorar-Dumping. Sie sind Ihr Geld wert. Deshalb gehen Sie nur im Preis herunter, wenn weniger Leistung gefragt ist.
Legen Sie sich eine Methode zurecht und bleiben Sie dabei. Denn Entscheider lieben Berechenbarkeit.
Hinterfragen Sie bei jedem einzelnen Element, was das für Sie bedeutet. Wollen Sie das: Stunden- statt Tagessätze? Pauschale Reisekosten?
Schreiben Bestandskunden neu aus, bedeutet das erhöhten Aufwand. Der muss abgegolten werden. Stimmt die Zusammenarbeit, gönnt man Ihnen ein paar Prozent mehr.
Nicht ganz so pessimistisch sieht man die Lage beim Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) mit Sitz in München nicht. VGSD-Vorstandsvorsitzender Andreas Lutz hält Firmengründer und Solo-Selbstständige zu Unrecht pauschal als prekär Beschäftigte abqualifiziert. In Politik und Medien bestünden viele Vorurteile, klagt Lutz.
Statt Soloständige als „Prekariat“ abzutun, sollten Bundesagentur und Politik nach Lutz Einschätzung Gründungswillige wieder stärker fördern. Die einstige Unterstützung mit Gründungszuschüssen, Mikrokrediten und Gründungsseminaren seien in den vergangenen Jahren stark abgebaut worden. Denn eines sollte man nicht vergessen: „Selbstständige sind für eine Wirtschaft enorm wichtig: Sie tragen Innovationen in Unternehmen, erspüren neue Trends, bilden sich eigenverantwortlich fort und erledigen in vielen Betrieben die Arbeit, während Festangestellte oft den ganzen Tag in Meetings zubringen müssen“, ist der Verbandschef überzeugt.