Start-ups in China Goldrausch im Haifischbecken

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Wer was kauft

Auftrieb bekommt die Szene durch den Krieg dreier Giganten: Alibaba kämpft mit seinen E-Commerce-Plattformen Taobao und Tmall sowie dem Online-Bezahlsystem Alipay gegen den Konkurrenten Tencent, dem mit WeChat der wichtigste Messaging-Dienst gehört, sowie dem Suchmaschinen-Platzhirschen Baidu um die Vorherrschaft im chinesischen Netz. Alle drei Großkonzerne sind auf Shoppingtour:

- Dianping, eine Smartphone-App, mit der die kulinarisch leicht entflammbaren Chinesen wie beim westlichen Yelp Restaurantbewertungen teilen können, erhielt kürzlich 20 Millionen Dollar von Tencent.

- Alibaba erwarb Ende vergangenen Jahres die Analytics-Web-Site Umeng und investiert in Flirting-Apps.

- Baidu kaufte unter anderem für 30 Millionen Dollar den E-Book-Store Zongheng.

- PC- und Smartphone-Hersteller Lenovo investierte im April in das erst im Januar gegründete E-Learning-Projekt Haowaijiao, das Englischlehrer mit erwachsenen Lernwilligen online zusammenbringt.

Das Potenzial lockt auch immer mehr Ausländer an. Der Amerikaner Zac Aghion kam 2010 mit einem Stipendium nach China. Der 26-Jährige ist Spezialist für AB-Testing – eine Marktforschungsmethode, bei der Kunden zwei Muster von Produkten vorgelegt werden, von denen sie sich für eines entscheiden sollen. Mit zwei Partnern gründete er 2013 in Shanghai Splitforce. Mit der Smartphone-App können Kunden ständig online an kleinen Mini-Produktumfragen teilnehmen. Gute Talente seien in China billiger als im Westen, urteilt Zac, insgesamt sei das Umfeld für Gründer weniger kompetitiv.

Schnell sehr groß

„Außerhalb Chinas wären wir wahrscheinlich nicht in ein Accelerator-Programm aufgenommen worden“, glaubt er. China Axlr8r, hinter dem der irische Wagnisfinanzierer SOSVentures steht, gibt viel-versprechenden Unternehmen Startkapital, stellt ihnen 90 Tage lang Mentoren zur Seite und hilft ihnen, Investoren zu finden.

Min Yoo hält die Szene aufgrund der vielen Nachahmer zwar für ein Haifischbecken. Dennoch sei es verlockend, mit einer neuen Idee schnell sehr groß zu werden. Der 37-Jährige nennt sich selbst „Unternehmer aus Leidenschaft“ und erzählt stolz von einem halben Dutzend Gründungen – und einem Burn-out.

Verhalten von Konsumenten

Sein Unternehmen Decisionfuel etwa zielt ebenfalls auf das Verhalten von Konsumenten. Wer mit seinem Smartphone drei Fragen zu einem Produkt beantwortet, erhält einen Yuan, rund zwölf Cent, gutgeschrieben. Vor allem ausländische Konzerne, die wenig über die Eigenheiten des chinesischen Marktes wissen, lassen sich diesen Service etwas kosten. Kapitalgeber dafür zu begeistern war allerdings schwer, erzählt Min: Den Investoren sei die Idee zu klein und zu simpel erschienen.

Chuan vom Wagnisfinanzierer Highland Partners, der neun Fonds mit einem Gesamtvermögen von 3,4 Milliarden Dollar leitet, beklagt das restriktive Umfeld: „Für ausländische Wagnisfinanzierer ist das Prozedere komplex: Nur über ein Joint Venture können sie Kapital in China investieren und leiden unter vielen Restriktionen.“ Chuan kennt die Szene gut und lange: Sein erstes Investment tätigte er 2009 bei dem Antiviren-Start-up Quihoo360. Ein Volltreffer: Mittlerweile ist das Unternehmen an der New Yorker Börse notiert.

Chinesische Wagnisfinanzierer

Mitte 2000 waren in China noch fast ausschließlich ausländische Investoren auf der Suche nach dem nächsten Alibaba. Seit ein paar Jahren gebe es auch immer mehr chinesische Wagnisfinanzierer. Diese hätten jedoch einen weniger langen Atem und investierten meist nur für fünf anstatt zehn Jahre, so Chuan: „Daher muss die Erfolgsrate höher sein.“

„Auf der einen Seite gibt es internationale Investoren, die das nächste Baidu entdecken wollen“, sagt Unternehmer Min, „und auf der anderen Seite Gründer, die nicht einmal wissen, wie man einen Businessplan schreibt.“ Für Gao von PwC stellt die drückende Dominanz von Baidu, Alibaba und Tencent ein Hindernis für die Szene dar: „China fehlt es nicht am Unternehmertum, in den nächsten Jahren werden viele interessante Start-ups entstehen. Die Frage ist nur: Schafft es eines von ihnen, groß zu werden?“

Geld gibt es nicht sofort

Hinzu kommen Probleme, die auch anderen Branchen zu schaffen machen: Viele Gründer haben Schwierigkeiten, genügend und ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Die Internet-Zensur macht zudem Start-ups im Medienbereich das Leben schwer. Je nach Branche hohe Vorschriften für Mindestkapital erschweren eine Gründung zusätzlich.

In einem Punkt aber unterscheiden sich Start-ups in China nicht von denen im Westen: Bis die Hoffnungsträger Geld verdienen, wird noch viel Zeit vergehen. So zahlen Alibaba und Tencent mit ihren Taxi-Apps bisher kräftig drauf. Ändern wird sich das erst, wenn der Gewinner ihres Wettrennens feststeht.

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