Startups Teuer, aber nützlich

Worauf junge Unternehmen achten müssen, wenn sie über die Börse an Geld kommen wollen.

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Mit Biomüll an die Börse: Entrade-Gründer Uhlig Quelle: PR

Der Emissionsprospekt umfasste 152 eng beschriebene Seiten. Zwei Wirtschaftsprüfer, drei Steuerberater und eine Handvoll Anwälte hatten ihn beraten, für den Aufsichtsrat konnte er einen Ex-Commerzbank-Manager und einen früheren KPMG-Partner gewinnen: Zwei Jahre lang hatte Julien Uhlig sein Unternehmen Entrade auf den Gang an die Börse vorbereitet, Anfang 2014 soll der erste Handelstag sein. Und doch war der Gründer und CEO des Startups aus der Eifel, das mit kleinen Kraftwerken Biomasse und Abfälle in Strom verwandelt, neulich mitten in der Nacht hochgeschreckt – weil er merkte, dass eine Frage offen geblieben war: Wie feiern wir eigentlich den Tag der ersten Notierung?

„So ein Börsengang ist schließlich etwas Besonderes“, sagt Uhlig, „die meisten Unternehmen bringen es nie so weit.“

Damit hat Uhlig recht: 2011 und 2012 gab es am Entry Standard der Deutschen Börse, der für kleine und mittelgroße Unternehmen gedacht ist und an dem Entrade in Zukunft notieren soll, nur fünf Börsengänge. Lag das Emissionsvolumen 2010 noch bei rund 118 Millionen Euro, waren es 2012 nur noch 26,3 Millionen Euro. Selbst am Marktplatz new connect der Warschauer Börse, der sich an kleine High-Tech-Unternehmen richtet, wagten alleine 2012 rund 80 Firmen den Schritt aufs Parkett. So viele Börsengänge gab es in Deutschland bestenfalls zur Jahrtausendwende, als der Neue Markt boomte. Seitdem gingen nur wenige junge Unternehmen an die Börse (siehe unten).

Dabei ist klassisches Wachstumskapital in Deutschland knapp: Während Venture-Capital-Gesellschaften 2012 hierzulande ganze 710 Millionen Euro in junge Unternehmen investierten, waren es in den USA mit 7,2 Milliarden Euro mehr als zehn Mal so viel. Allein im dritten Quartal 2013 gab es dort rund 1.000 Kapitalspritzen für Startups in Höhe von durchschnittlich 5,2 Millionen Euro. In Europa waren es gerade mal 320 Investitionen in Höhe von durchschnittlich 3,5 Millionen Euro. Und deutsche Risikokapitalgeber investieren in vier von fünf Fällen weniger als drei Millionen Euro, wie eine Studie der Beratungsgesellschaft Rödl & Partner zeigt – zu wenig Geld für Jungunternehmer, die auch international den Durchbruch schaffen wollen.

Wie sich Startups an der Börse entwickelt haben

„Kapital einzusammeln ist in Deutschland ziemlich schwierig“, sagt Unternehmer Uhlig, „deswegen haben wir unseren Kapitalgebern von Anfang an klargemacht: Wir wollen an die Börse.“

Dieses Versprechen half Uhlig schon in der Anfangsphase, Geld einzusammeln: Gründer, Familienmitglieder und Aufsichtsräte investierten rund zwei Millionen Euro in das junge Unternehmen – als kaum absehbar war, ob es langfristig würde überleben können. Doch sie wussten: Ist Entrade erst mal an der Börse notiert, wird das Handling der Anteile einfacher.

An der Börse könne man deutlich mehr Investoren erreichen, sind sich Experten wie Cord Gebhardt, als Geschäftsführer bei der Deutschen Börse für das Primärmarktgeschäft verantwortlich, einig. „Außerdem steigt Ihre Sichtbarkeit, weil über Sie häufiger berichtet wird. Das erleichtert auch die Suche nach Personal.“

Wann ist ein Startup reif für die Börse?

Die Billion-Dollar-Start-ups
Foursquare auf dem iPhone Quelle: dapd
airbnb Quelle: Screenshot
Das undatierte Firmenhandout des Internet-Musik-Diensts Spotify zeigt den Firmengründer einen Screenshot der Plattform Quelle: dpa
Bleacher ReportDie Sportseite Bleacher Report gibt es erst seit 2007. Mittlerweile besuchen rund 25 Millionen Nutzer pro Monat die Homepage, um sich Videos, Analysen und Hintergrundberichte zu verschiedensten Sportthemen anzusehen. Die Zahl der sogenannten unique user macht den bleacher report zur viertgrößten Sport-Website im Netz. Für Nachrichtendienste ohne Sportberichterstattung wäre der Kauf von br also eine Überlegung wert. Quelle: Screenshot
FabBei der Shopping-Community Fab macht pro Tag rund 300.000 Dollar Umsatz. Die mehr als drei Millionen Nutzer können über Fab nach ihren Lieblings-Designer-Stücken suchen und beim Einkauf bis zu 70 Prozent sparen. Das Unternhemen hinter der Community hat bereits 50 Millionen Dollar Investorengelder einsammeln können und ist derzeit um die 200 Millionen Dollar wert. Für Groupon oder andere Schnäppchen-Anbieter wäre Fab eine gute Ergänzung. Quelle: Screenshot
A visitor tries on the new game "Angry Birds Space" during a launching ceremony in Hong Kong Quelle: dapd
PathMit der App Path können Nutzer private Momente, Bilder und Videos mit ihren Freunden teilen. Path funktioniert quasi wie ein Tagebuch, das ein bestimmter Kreis von Menschen lesen darf und von dem bestimmte Einträge auch bei Twitter, Foursquare, Facebook oder Tumblr veröffentlicht werden können. Rund drei Millionen Menschen nutzen das soziale Netzwerk für unterwegs. Google hatte schon einmal bei Erfinder Dave Morin angeklopft und ein 100 Millionen Dollar für Path geboten. Morin lehnte jedoch ab. Quelle: Screenshot

Wann aber ist ein Startup börsenreif? In den Entry Standard der Deutschen Börse etwa dürfen nur Unternehmen, die mindestens zwei Jahre alt sind und ein Grundkapital von mindestens 750.000 Euro vorweisen können. „Ein gut laufendes Geschäft allein reicht nicht für einen Börsengang“, sagt Deutsche-Börse-Manager Gebhardt. „Man muss Investoren mit Informationen beliefern.“

Strukturen anpassen

Genau das ist bei vielen jungen Unternehmen ein Problem: Wenn sich ihr Produkt auf dem Markt bewährt, wächst zwar der Umsatz, aber die Strukturen hinken hinterher. „Startups ohne längere Historie werden es nicht an die Börse schaffen“, sagt Volker Potthoff, der früher im Vorstand der Deutschen Börse saß und heute als Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle Unternehmen zu Börsenrecht und IPOs berät. „Beim Auf- und Ausbau der erforderlichen Professionalität spielen die ersten Investoren eine entscheidende Rolle.“

Mindestens 50.000 Euro brauchen junge, innovative Unternehmen laut dem Deutschen Startup Monitor (DSM) am Anfang. Weil Banken Kredite oft versagen, finanzieren viele Gründer den Start aus eigenen Mitteln. Oder bemühen Familie oder Freunde. Und den Staat: Über das Exist-Stipendium fördert etwa das Bundeswirtschaftsministerium innovative Gründer mit bis zu 40 000 Euro plus Coaching. Auch Business Angels statten Startups in dieser Phase im Tausch gegen Anteile mit Eigenkapital aus – laut Business Angel Panel im Schnitt mit rund 20.000 Euro.

Nach der Startphase aber steigt der Kapitalbedarf rasant: Laut DSM benötigt jedes dritte Startup in seiner Wachstumsphase mehr als eine Million Euro. Weil es für einen Börsengang noch zu früh ist, kommt das Geld meist von institutionellen Risikokapitalgebern, die sich in die Startups einkaufen. In Deutschland ist das oft der Staat: An den 585 Wagniskapital-Investments im Jahr 2012 war in fast der Hälfte der Fälle ein öffentlicher Geldgeber beteiligt – etwa der halbstaatliche High-Tech-Gründerfonds (HTGF), der junge Technologieunternehmen mit bis zu zwei Millionen Euro ausstattet – davon bis zu 500.000 Euro in der ersten Finanzierungsrunde. Oft steigen zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig weitere Risikokapitalgeber ein. Kommen sie aus den USA, wird nach Erfahrung von Deutsche-Börse-Manager Gebhardt ein Börsengang wahrscheinlicher.

So wie möglicherweise bei Christian Reber. Er hat 2009 mit fünf Mitgründern das Berliner Startup 6Wunderkinder aus der Taufe gehoben. Das Unternehmen entwickelt eine Software namens Wunderlist, mit der sich Aufgabenlisten verwalten und via App oder übers Web mit Freunden oder Kollegen teilen lassen – vom Einkauf über Urlaubsplanung bis hin zu Arbeitsaufträgen. Rund sechs Millionen Nutzer zählt das Unternehmen derzeit.

19 Millionen aus Kalifornien

Die besten Standorte für Startups
Platz 17: Berlin Quelle: dpa
Platz 10: Moskau Quelle: dpa
Platz 9: Bangalore Quelle: Reuters
Platz 8: Sao Paulo Quelle: Reuters
Platz 7: Singapur
Platz 6: Los Angeles Quelle: AP
Platz 5: Tel Aviv Quelle: Reuters

Zum Start klapperten die Gründer rund 100 Privatinvestoren ab, sammelten rund 100.000 Euro bei Business Angels ein. 500.000 Euro gab’s vom halbstaatlichen High-Tech-Gründerfonds, kurz darauf stieg erst Investor T-Venture ein, etwas später pumpte die Londoner Investorengruppe Atomico des Skype-Gründers Niklas Zennström weitere 3,1 Millionen Euro in das Startup, auch der Münchner Risikokapitalgeber Earlybird beteiligte sich. Im November 2013 dann der Paukenschlag: Der kalifornische Wagnisfinanzierer Sequoia Capital, der schon frühzeitig in heutige Giganten wie Apple, Google, Yahoo und Facebook investiert hatte, steckte 19 Millionen Dollar in 6Wunderkinder. Mehrere Jungunternehmen hat Sequoia an die Börse begleitet, die Kapitalspritze für 6Wunderkinder ist das erste Investment in Deutschland. Geschätzt 47 Millionen Euro ist 6Wunderkinder jetzt wert. „Und wenn ein Börsengang mal Thema werden sollte“, sagt Gründer Reber, „werden wir das sehr sorgfältig prüfen.“

Damit wäre er in der Tat gut beraten. Denn der zeitliche und materielle Aufwand eines Börsengangs ist enorm: Nicht nur Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer müssen bezahlt werden, sondern auch die Banken, die den Börsengang begleiten. Allein die verlangen um die fünf Prozent des Emissionsvolumens Gebühr – aber nicht immer sind sie ihr Geld wert.

„In der Mandatierungsphase tun Banken alles, um zu überzeugen. Aber kaum ist das Mandat erteilt, werden Emittenten häufig vor das Problem gestellt, wie sie den Spannungsbogen bei den Banken erhalten können“, warnt Michael Bednar von FrankfurtFinanz Partner, das seit 2006 Unternehmen bei Kapitalerhöhungen und Börsengängen berät. Bednar rät deswegen, „die Banken nicht gleich am Anfang um das Gesamtpaket, sondern um einzelne Leistungen oder Meilensteine bieten zu lassen“. So könnte eine Bank mit den vorbereitenden Arbeiten für die Dokumentation des Börsengangs betraut werden, eine andere mit der Vermarktung des Börsenkandidaten und wieder eine andere mit der Zuteilung der Wertpapiere.

Nach dem Sprung aufs Parkett ist Transparenz gefragt – und die ist teuer: Gründer müssen Halbjahres- und Jahresabschlüsse publizieren, die zuvor geprüft, testiert und zumindest ins Englische übersetzt werden sollten. Eine Investor-Relations-Abteilung sollte sich um die Beziehungen zu Anlegern kümmern, eine gut organisierte Hauptversammlung die Aktionäre bei Laune halten.

Eine neue Art Börsengang

Erfolgreiche Gründer und ihre Geheimnisse
Renzo Rosso Quelle: REUTERS
Titus Dittmann Quelle: dpa
James Dyson Quelle: dpa
Günther Fielmann Quelle: dpa
Eike Batista Quelle: REUTERS
Erich Sixt Quelle: dapd
Richard Branson Quelle: REUTERS

Wenn sich Tim Schumacher heute an all diese kostspieligen Pflichten erinnert, kann er nur den Kopf schütteln. Er hatte im Jahr 2000 den Domainhändler Sedo gegründet, der seit 2010 an der Börse gelistet ist. Bis Ende 2011 amtierte Schumacher als Vorstandssprecher. Eine Million Euro pro Jahr habe die Börsennotierung in etwa das Unternehmen gekostet, vor allem an Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer floss das Geld. Und in die Organisation von Hauptversammlungen, auf denen Schumacher die Geschäftsberichte präsentierte – „vor 20, 30 Aktionären, von denen die eine Hälfte sowieso schon alles wusste und die andere Hälfte wohl nur wegen des Essens da war“, sagt der Sedo-Gründer mit einem Augenzwinkern. Ende 2011 hat er Sedo verlassen und finanziert jetzt hauptberuflich Startups – als Business Angel.

Wie junge Unternehmen über eine neue Art Börsengang und mit etwas weniger Aufwand zu Geld kommen können, zeigt Urbanara: Der Online-Shop für Wohntextilien und Accessoires, 2010 gegründet, setzt nicht nur auf ein neues Geschäftsmodell – statt über Zwischenhändler kaufen sie Produkte direkt bei Herstellern, versprechen ihren Kunden so niedrige Preise und sich eine höhere Marge. Auch bei der Finanzierung gingen die drei Gründer Benjamin Esser, Claire Davidson und Martin von Wenckstern neue Wege – sie setzten auf Crowd Investing. Die Grundidee: Über Internet-Plattformen wie Bergfürst oder Seedmatch können viele Investoren auch kleine Geldbeträge in junge Unternehmen investieren. Nach Angaben des Crowd-Investing-Monitors konnten seit 2011 rund 100 junge Unternehmen auf diese Weise rund 13 Millionen Euro einsammeln.

Urbanara entwickelte diese neue, aber gerade in Mode kommende Form der Finanzierung noch ein wenig weiter. Während man über die meisten Crowd-Investing-Plattformen über stille Beteiligungen oder eine bestimmte Form von Darlehen investieren kann, emittierte Urbanara über das Portal Bergfürst Aktien. Die Gründer versprachen sich davon nicht nur eine ordentliche Kapitalspritze, sondern auch einen starken Marketingeffekt: „Wir wollten einen Teil unserer Kunden in Shareholder verwandeln, damit sie unser Angebot bekannter machen“, sagt Gründer Esser, „wir wollten einen Hype generieren.“

Das ist dem Gründertrio gelungen: Rund 1.000 Privatinvestoren zeichneten rund 300.000 Anteile und statteten Urbanara mit drei Millionen Euro aus. Mit dem Geld will das Startup sein Produktportfolio erweitern und sein Marketing verbessern, Werbekampagnen starten und Ladenkonzepte umsetzen, um in drei Jahren in ganz Europa bekannt zu sein. Seit dem 11. November können Urbanara-Aktien über die Crowd-Investing-Plattform Bergfürst gehandelt werden.

Bereits in der ersten Woche legte der Kurs um mehrere Prozent zu. „Nicht jeder hat daran geglaubt, dass wir es schaffen“, sagt Gründer Esser, „umso stolzer sind wir, dass es so gut geklappt hat.“

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