Werkvertragsgesetz und Scheinselbstständigkeit "Das Schlimmste wurde verhindert"

Der zweite Entwurf des Werkvertragsgesetzes des Arbeitsministeriums liegt vor. Der erste Aufschlag hätte aus Selbstständigen Scheinselbstständige gemacht. Diese Gefahr ist zwar vom Tisch, trotzdem ist nicht alles gut.

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Bogdan Obretemov (l) und Murat Serbes (r) sitzen am 21.04.2015 in Frankfurt am Main (Hessen) im Social Impact Lab und besprechen Details zu ihrer Handy-App für Gastronomen, Quelle: dpa

Tausendfach sollen Arbeitnehmer unter Werkverträgen und Zeitarbeit leiden, monieren die Gewerkschaften - und die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Deshalb legte sie im November einen Gesetzentwurf vor, der die vermeintlichen Missstände beheben sollte. Nahles wollte künftig den Einsatz von Zeitarbeit im Grundsatz auf 18 Monate beschränken und Werkverträge per Gesetz klarer definieren. Ihr Entwurf hätte aber auch nahezu jeden Selbstständigen in einen Scheinselbstständigen verwandelt und sorgte entsprechend für Aufregung in der Wirtschaft.

Gefahr für Handwerker und Wissensarbeiter

Dort hieß es nämlich unter anderem, dass jeder scheinselbstständig sei, der überwiegend in den Räumen des Auftraggebers tätig ist. Beim Verband der Gründer und Selbstständigen in Deutschland (VGSD) fürchtete man deshalb: "Viele Soloselbstständige und Wissensarbeiter – ganz besonders solche, die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit in Projekten und bei Kunden verbringen – müssen um ihre Selbstständigkeit bangen." Mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wirtschaft, wie Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD , sagt. "Was Andrea Nahles da vorhatte, hätte den Markt für IT-Beratung atomisiert."

Die größten Hemmnisse für Unternehmensgründungen

Auch die Arbeitgeber warnten: Stehen die geplanten Kriterien erst einmal im Gesetz, sind plötzlich Hunderttausende redliche Handwerksbetriebe am Pranger. Beispiel: Das Legen von Rohrleitungen. "Wie soll ich denn da einen Werkvertrag machen, ohne das in den Räumen eines Unternehmens zu tun?", fragte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer.

Der Entwurf lag nach all dem Widerstand, der auch aus der Politik kam, über Monate auf Eis. Nun wurde nachgebessert. Der neue Entwurf soll voraussichtlich im März im Bundeskabinett beraten werden. "Ich gehe davon aus", sagt der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, "das Gesetz wird kommen."

Und zumindest die Selbstständigen können erst einmal aufatmen, wie es scheint. In der zweiten Version fehlt nämlich sowohl der Negativkatalog, der definierte, wer alles scheinselbstständig ist und die Vermutungsregelung, wonach ein Verdacht der Deutschen Rentenversicherung (DRV) genügt hätte, um aus einem Selbstständigen einen Angestellten zu machen. "Das Schlimmste wurde verhindert, aber es besteht noch immer große Rechtsunsicherheit", sagt Lutz.

Wann ist jemand scheinselbstständig?

Prinzipiell ist der Kampf gegen Scheinselbständigkeit ja gut, denn Scheinselbstständigkeit gilt als eine Form von Schwarzarbeit: Hier tut ein Unternehmen so, als beschäftige es einen Externen, spart sich aber in Wirklichkeit die Sozialbeiträge. Wenn jemand 40 Stunden lang Schreibtisch an Schreibtisch mit den Festangestellten in einem Büro sitzt, vom Chef Anweisungen entgegen nimmt, in der gleichen Kantine isst, wie alle anderen und sich auch sonst nicht von den angestellten Mitarbeitern unterscheidet, außer dass er keinen Arbeitsvertrag hat und für Kranken- und Rentenversicherung selbst aufkommt, handelt es sich um Scheinselbstständigkeit.

Menschen, die derart ausgebeutet werden, zu schützen, ist gut und richtig. Das Problem sei nur die Herangehensweise, so Lutz.

Mehr als doppelt so viele Scheinselbstständige binnen acht Jahren?

Laut der DRV gelten unter anderem als scheinselbstständig:

  • Personen mit nur einem Auftraggeber
  • Personen, die allen Weisungen des Auftraggebers Folge leisten müssen
  • Personen die bestimmte Arbeitszeiten einhalten müssen
  • Personen, die dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen lassen müssen
  • Personen, die in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten arbeiten müssen
  • Personen, die bestimmte Hard- und Software benutzen müssen, sofern damit insbesondere Kontrollmöglichkeiten des Auftraggebers verbunden sind

"Wer als Selbstständiger zum oben genannten Personenkreis gehört, ist verpflichtet, sich innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit bei seinem Rentenversicherungsträger zu melden. Dies gilt auch, wenn der- oder diejenige Gründungszuschuss erhalten. Wer sich nicht meldet, muss eventuell Beiträge nachzahlen", heißt es bei der DRV.

Von 19 auf 47 Prozent binnen acht Jahren

Und auch Unternehmern, die einen Freelancer - sei es einen Grafiker, einen Unternehmensberater oder Interim Manager - beschäftigen wollen, wird geraten, sich bei der DRV vorher zu erkundigen, ob der Vertrag hieb- und stichfest ist, oder ob es sich per Definition um Scheinselbstständigkeit handeln würde. Lutz sieht dabei allerdings ein Problem: "2006 wurde in 19 Prozent der Fälle entschieden, dass es sich um Scheinselbstständigkeit handelt, 2014 waren es, bei unveränderter Gesetzeslage, 47 Prozent. Da hat es bei der Rentenversicherung offenbar einen Politikwechsel gegeben." Hinzu komme, dass ein solches Feststellungsverfahren nicht gerade schnell abgearbeitet ist.

Lutz: "Der Auftraggeber will Klarheit und ihm wird wird – von manchen Steuerberatern und Anwälten noch immer geraten, sich bei der Deutschen Rentenversicherung zu erkundigen. So ein Feststellungsverfahren dauert Monate - und dann heißt es in 47 Prozent der Fälle: Nö, das geht nicht, das wäre eine Scheinselbstständigkeit."

Eines der Probleme sei die Auslegung der Kriterien der DRV. Zum Beispiel die Weisungsbefugnis. Lutz erzählt vom Beispiel einer Unternehmerin, die einen Trainer engagieren wollte. Dafür musste natürlich mit ihm Termine, Orte und Themen besprechen. Das wurde gegen sie ausgelegt, weil sie ihm damit Weisungen gegeben hätte. Lutz: "Immer wenn Sie jemandem sagen: "Mach das mal" wird es schwierig." Ein weiteres Anzeichen für Scheinselbstständigkeit sei laut der DRV, dass man keine Angestellten, keine Gebäude oder Maschinen habe. "Soll sich der IT-Berater jetzt eine Lagerhalle kaufen?"

Folge für 1,3 Millionen Freelancer

Insgesamt gibt es rund 1,31 Millionen Selbstständige in Deutschland (Stand 1.1.2015). Am häufigsten betroffen sind von diesen Kriterien Softwareentwickler und -Programmierer, wie die offizielle Statistik und die Zahlen der Freiberuflerplattform Freelance.de zeigen. An zweiter Stelle folgen IT-Projektleiter und Projektmanager. Gleichermaßen gefragt sind freie Ingenieure und Techniker, sowie Management-, Unternehmens- und Strategieberater, was sich sowohl bei den Projektangeboten als auch bei der Anzahl der Freiberufler zeige.

Diese Berufsgruppen verspüren laut VGSD trotz Digitalisierung Auftragsrückgänge. Der Grund: Aus Unsicherheit vergeben Unternehmen keine Aufträge mehr an Selbstständige, sondern wenden sich an Zeitarbeitsfirmen, Agenturen oder stellen befristet Kräfte ein, erklärt Lutz.



In all diesen - aus Sicht der Auftraggeber verständlichen - Fällen gehen dem Selbstständigen Aufträge verloren. Das hält nicht nur der VGSD für ein Problem. Auch der Branchenverband Bitkom schreibt auf seiner Website: "Der Mangel an qualifiziertem IT-Personal ist zugleich eine der größten Wachstumsbremsen, ohne externe IT-Spezialisten könnten viele Digitalisierungsprojekte daher nicht realisiert werden." Schließlich stellt man nicht wegen jeder Software, die neu auf den Markt kommt, einen ITler ein, der der Belegschaft den Umgang mit dem Programm beibringt.

Viel dagegen tun können Selbstständige nicht, sie könnten nur möglichst viel zuhause arbeiten, so Lutz. "Aber machen Sie das mal als Honorararzt."

Fazit: Auch wenn der neue Gesetzesentwurf des Arbeitsministeriums die Selbstständigen und ihre Auftraggeber nicht mehr per se mehrheitlich kriminalisiert, liegt für viele Freelancer einiges im Argen. Und daran sind nicht zwangsläufig knauserige Unternehmen schuld, sondern veraltete Definitionen des Arbeitsbegriffes auf Seiten der DRV.

Noch einmal Lutz: "Die Vorstellung der Rentenversicherung ist, dass der Selbstständige ein Pflichtenheft vereinbart, den Auftrag mit nach Hause nimmt, den dort ohne Rücksprache abarbeitet und dann das fertige Resultat abliefert. Aber so arbeitet doch heute niemand mehr."

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