Inspiration bedeutet ins Deutsche übersetzt so viel wie „Einhauchung“. Klingt irgendwie spirituell, nach einem guten Geist. Die Frage ist nur: Wo findet man sie, die Inspiration, wo kommt er her, dieser Spirit?
Genau dieser Wunsch nach neuen Eingebungen war es, der mehrere Dutzend Leser der WirtschaftsWoche auf eine kleine Reise schickte. Hinein in eine Welt, von der es so häufig heißt, dort gebe es ihn, diesen bestimmten Spirit.
Deshalb besuchten Mitglieder des WirtschaftsWoche Clubs ausgewählte junge Unternehmen in den Start-up-Hochburgen Köln und Berlin. In frisch bezogenen Büros begrüßten die Gründer ihre Gäste, um ihre Unternehmensgeschichten zu erzählen, neue Produkte zu präsentieren und über Geschäftsmodelle zu fachsimpeln.
So sieht der deutsche Start-up-Markt aus
Startups sind per Definition des Deutschen Start-up-Monitors (DSM) jünger als zehn Jahre und zeichnen sich durch "ein signifikantes Mitarbeiter- und/oder Umsatzwachstum" aus. Wer einen Kiosk eröffnet, hat demnach kein Start-up gegründet, sondern eine sogenannte Existenzgründung. Und wer ein Schuhgeschäft mit drei Angestellten aufmacht, betreibt ein kleines, mittelständisches Unternehmen (KMU) und kein Start-up.
Quelle: Deutscher Start-up-Monitor vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. (BVDS) und KPMG in Deutschland
Das dritte Kriterium, woran man ein Start-up erkennt: die Gründer sind mit ihrer Technologie und/oder ihrem Geschäftsmodell (hoch) innovativ. "Gründerinnen und Gründer sind voller Ideen und voller Begeisterung. Sie entwickeln aus Problemlösungen Geschäftsmodelle. Gründungen sind Lebenselixier für unsere Wirtschaft und Motor des strukturellen Wandels. Denn kreative Ideen und innovative Geschäftsmodelle modernisieren unsere Wirtschaftsstruktur, erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit und schaffen neue Arbeitsplätze", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in seinem Grußwort zum aktuellen DSM.
Die meisten Start-ups finden sich in der Rhein-Ruhr-Region, in und um München, in der Region Karlsruhe/Stauttgart, im Raum Hamburg, in und um Frankfurt am Main - und natürlich in Berlin: Auf 1.000 erwerbsfähige Berliner kommen 26 Gründer - so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland.
Laut dem European Startup Monitor arbeiten inklusive der Gründer 12,9 Menschen in einem durchschnittlichen europäischen Startup. In Deutschland ist die Zahl der Mitarbeiter überdurchschnittlich hoch: Hier sollen Startups im Schnitt über 15 Mitarbeiter verfügen – ohne die Gründer mitzurechnen.
Knapp zehn Prozent der Gründerinnen und Gründer von Startups und 22 Prozent der Beschäftigten in Startups kommen aus dem Ausland. Rund 13 Prozent der Gründer in Deutschland sind Frauen.
Die Souvenirs dieser Reise waren für jeden Teilnehmer individuell: Denkanstöße, Ideen, und ja – Inspirationen, die sie gratis mit nach Hause nehmen konnten, um sie aufzubewahren und in ihren eigenen Unternehmen weiterzuentwickeln.
Zusammen waren es sechs Start-ups, die ihre Erfahrungen an die WirtschaftsWoche Club-Mitgliedern weitergaben. Pro besuchten Ort haben wir eine Erinnerung gesammelt, um Sie mit Ihnen zu teilen – lassen Sie sich einhauchen!
1. Von Hip-Hop lernen heißt siegen lernen
Die Wände in den Büros von Chronext, einem Online-Marktplatz für neue und gebrauchte Luxusuhren, sind gespickt mit schwarzen Holztafeln, auf denen Zitate in weißer Schrift verewigt sind – nicht von Philosophen, sondern von Rappern wie Jay-Z: „I’m not a business man, I’m business, man.“
Philipp Man und Ludwig Wurlitzer haben sich im BWL-Studium in England kennengelernt und teilen zwei gemeinsame Vorlieben: Hip-Hop und Uhren. Während der Lernphase für ihre Abschlussklausuren starteten sie eine digitale Plattform, um Uhren zu handeln – entweder neu und direkt vom Händler oder gebraucht und von Privatkunden. In jedem Fall: teuer.
Rolex-Uhren seien Bestseller bei ihnen, sagt der 25-jährige Man, einmal hätten sie sogar eine für mehr als eine halbe Million Euro verkauft.
Die beiden Gründer strahlen großen Ehrgeiz aus, und sie haben schon viel erreicht: Der Umsatz liegt jährlich im achtstelligen Bereich, im Juni schlossen sie eine erfolgreiche Finanzierungsrunde von elf Millionen Euro ab.
Jeder der neu eingestellten Mitarbeiter muss vor dem ersten Arbeitstag ein „Manifest“ studieren, das im Besprechungsraum hängt. Die zentrale Botschaft liest sich wie das Motto eines Rappers, der es von ganz unten nach ganz oben geschafft hat: „At Chronext we do everything to win. Winning has nothing to do with luck. Winning is about struggle.“
Siegen heißt kämpfen, rackern, sich quälen. Auf der Weihnachtsfeier wird Chronext-CEO Philipp Man persönlich zum Mikro greifen und live für seine Mitarbeiter rappen, um ihnen zu zeigen, wie ernst er es meint mit diesem Lebensstil.
Erfahrung? Egal.
2. Völlige Ahnungslosigkeit kann zum Erfolg führen
46 Millionen Euro Umsatz pro Jahr und dabei profitabel: Fond of Bags hat sich innerhalb weniger Jahre im Markt für Taschen etabliert. Das Start-up startete das Geschäft mit Schulrucksäcken, die so gar nichts mit den klassischen Ranzen von Scout und Co. gemeinsam haben.
„Unsere Stärke war völlige Ahnungslosigkeit“, sagt Gründer und Geschäftsführer Sven-Oliver Pink. Weder er noch seine Mitgründer hatten vorher irgendetwas mit Schulrucksäcken zu tun. Es gab nur die Idee, den Erfolg von Wanderrucksäcken – rückenschonend wegen guter Polster und einem zusätzlichen Gurt am Becken – auf Ranzen zu übertragen. Aber der erste Entwurf, den Pink bei einem vietnamesischen Hersteller anfertigen ließ, war nun leider wirklich etwas „ranzig“, oder um es mit den Worten des Gründers zu sagen: „Der schlechteste Schulrucksack, der je gebaut wurde.“
Doch er schaffte es, Einzelhändler von der Idee mit der Ergonomie zu überzeugen, verbesserte das Produkt immer weiter und verkauft mittlerweile mehr als 500.000 Rucksäcke pro Jahr.
2010 wurde das Unternehmen gegründet, „am Anfang haben wir bei den Bewerbern nur auf die leuchtenden Augen geachtet“, sagt Pink.
Erfahrung? Egal.
Was zählte, war die Leidenschaft. Heute hat sich rumgesprochen, dass Fond of Bags Ahnung vom Geschäft hat. Mittlerweile kämen immer mehr Bewerber mit großer Expertise, erzählt Pink – teilweise sogar von der Konkurrenz.
3. Denk an die Familie!
Börsen-Coaches anheuern für mehr Rendite: Diese Geschäftsidee fand Peter Thiel, Paypal-Gründer und Facebook-Investor, so spannend, dass er bei der jüngsten Millionen-Finanzierung bei dem Kölner Start-up nextmarkets einstieg.
Das Unternehmen wurde 2014 von den Brüdern Manuel und Dominic Heyden gegründet. „Wir passen perfekt zusammen“, sagt der 36-jährige Manuel. Er sei eher der Mann für Marketing, Vertrieb und Produktentwicklung – immerhin hat er schon im Alter von 19 sein erstes Unternehmen gegründet. Sein 38-jähriger Bruder dagegen sei schon immer ein „Computerfreak“ gewesen, der sich auf die Entwicklung von Online-Plattformen spezialisiert habe.
Die Gebrüder haben 2009 entdeckt, dass diese Mischung erfolgreich wird. Damals stieg Dominic als Technikchef bei dem Start-up ayondo ein, eine Social-Trading-Plattform, die sein Bruder gegründet hatte. 2014 verkauften die beiden ihre Anteile, um nextmarkets von Anfang gemeinsam aufzubauen.
Die Idee dahinter erklärt Manuel Heyden so: „Jeder Mensch hat einen Personal Trainer für Yoga oder Tennis – warum nicht auch für die Geldanlage?“ So entstand eine Plattform, auf der Börsenhändler ihre Ideen publizieren und ihren „Schülern“ sofort mitteilen, wenn sich eine neue Gelegenheit bietet. Die können dann mit ihrem eigenen Geld handeln. Betreutes Trading sozusagen.
Bisher verdient nextmarkets an monatlichen Abos, die Nutzer abschließen, um mit ihren Börsentrainern in Kontakt zu bleiben. Für das kommende Jahr arbeitet das 15-Mann-Unternehmen daran, den Nutzern auch eigene Onlinekonten für den Börsenhandel anzubieten, um direkt auf der Plattform handeln zu können.
Schnell und rücksichtslos
4. Die gute alte TV-Werbung schafft Vertrauen!
„Wir gucken selbst gar kein Fernsehen mehr – wofür braucht unser Unternehmen also eine Fernsehwerbung?!“
Ante Krsanac und Anton Rummel, die beiden Geschäftsführer der Berliner Umzugs-Plattform Move24, waren verblüfft, als ihre Investoren vorschlugen, Geld in eine Marketingmaßnahme zu investieren, die ihnen ziemlich altmodisch daherkam. Aber sie hörten auf den Rat, nahmen Geld in die Hand und beauftragten die renommierte Werbeagentur Jung von Matt, zwei Spots zu drehen.
Die Idee der Kreativen: US-Präsident Barack Obama wacht im Weißen Haus auf und muss feststellen, dass sein Nachfolger neben ihm im Bett liegt – der Umzug ging deutlich schneller als geplant.
„Erst im letzten Moment haben wir entschieden, zwei Versionen zu drehen: nicht nur eine mit Hillary, sondern auch noch eine mit Trump“, erinnern sich die Chefs von Move24. Das Timing hätte besser nicht sein können: Rund um die US-Wahl gingen die kurzen Filme online und wurden millionenfach angeklickt, vor allem die Version mit dem Überraschungssieger Donald Trump.
CEO Ante Krsanac freute sich über den Erfolg, aber eine Sache überraschte ihn am meisten: „Uns erreichen ganz neue Anfragen von Umzugsunternehmern, die mit uns zusammenarbeiten wollen, weil sie sagen: Ihr seid doch die aus dem Fernsehen!“ Denn der Spot lief auch auf diversen Fernsehsendern und brachte dem Unternehmen „eine ganz neue Form von Vertrauen“, sagt Krsanac. Außerdem würden die Zugriffe auf die Plattform nach der Ausstrahlung stets signifikant steigen – und das, obwohl ein Mensch im Schnitt nur alle sieben Jahre umzieht.
Die neue Wahrnehmung kann das Start-up gut gebrauchen: 2017 benötigt Move24 neue und vor allem große Finanzierungsrunden, um gegen den Konkurrenten Movinga zu bestehen. Bisher hat Move24 etwa 23 Millionen Euro Wagniskapital eingesammelt und beschäftigt rund 250 Mitarbeiter – ein steiles Wachstum, wenn man bedenkt, dass die Firma gerade mal vor 15 Monaten gegründet wurde.
5. Start-ups müssen weniger Rücksicht nehmen
Berlin ist die Hauptstadt der deutschen Fintech-Szene: 70 Start-ups aus dem Bereich digitaler Finanzdienstleistungen wurden hier gegründet, das bekannteste ist N26.
Seit Anfang 2015 bietet das Start-up ein Gratis-Konto per Smartphone-App an, vor wenigen Monaten bekam das Unternehmen eine Banklizenz und darf damit auch offiziell die etablierten Geldhäuser angreifen.
Markus Gunter, Geschäftsführer der N26 Bank, war vorher CEO bei einer Direktbank und damit Teil jenes „Establishments“, das N26 attackieren will. Er betont: „Echte Innovationen können nicht aus der Branche selbst kommen, weil traditionelle Banken zu viel Rücksicht nehmen müssen auf ihre Filialen, Betriebsräte oder eingefahrenen Strukturen“. N26 dagegen würde mit einer „rule breaking attitude“ arbeiten – also einer Mentalität, wo Regelverstoß zum Alltag gehört.
Leider wendete sich dieses Motto in diesem Sommer gegen die eigenen Kunden. N26 sorgte für große Verunsicherung, weil es 500 Kontoinhabern kündigte, nachdem diese anscheinend zu oft Bargeld vom Automaten abgehoben hatten und damit hohe Kosten bei N26 produzierten.
Was war da los, Herr Gunther?
„Wir sind über unsere eigenen Füße gestolpert“, sagt der Bank-Chef, „wir wollten zu viel auf einmal.“ Entscheidend sei aber, dass N26 aus diesem Fehler gelernt habe und trotzdem weiter versuche, radikaler und freier zu denken als die Konkurrenz. Denn nur so könne es gelingen, die Kundenzahl von jetzt 200.000 auf „fünf bis zehn Millionen“ zu erhöhen, obwohl mittlerweile sogar die Sparkassen eine App entwickelt haben, mit der sich kleine Geldsummen problemlos hin- und herschicken lassen.
Gunter ist zuversichtlich: „Die stoßen schnell an Grenzen, wir sind schneller“ – und eben auch rücksichtsloser.
Ordnung ins kreative Chaos
6. Innovationsseminare? Wir besprechen neue Ideen beim Mittagessen!
400.000 Kunden vertrauen Outfittery, der Online-Plattform für Herren-Outfits. Zwei Frauen haben das Start-up vor vier Jahren gegründet, mittlerweile arbeiten 300 Mitarbeiter bei dem „anziehendsten Unternehmen Berlins“.
Die Hälfte der Belegschaft besteht aus Herrenausstattern, die ihre Kunden am Telefon erst modisch beraten und ihnen dann individuelle Päckchen mit kompletten Outfits zusammenstellen – von den Schuhen bis zum Hut. Wie entstehen in diesem durchgetakteten Arbeitsalltag neue Ideen? Gibt es so etwas wie Innovationszeit für die Mitarbeiter?
Svenja Ziegert, Managerin bei Outfittery und verantwortlich für die gesamte Kommunikation, muss lachen. „Wir besprechen Ideen beim Mittagessen“, sagt sie. „Innovation ist Alltag bei uns.“
Dann holt sie ein Stück weiße Pappe hervor, das sich mit ein paar Handgriffen zu einer fernglasähnlichen Halterung für ein Smartphone umbauen lässt. Sie hatte die Idee, Virtuelle Realität bei Outfittery einzusetzen, um die Kunden näher an das Herz des Unternehmens zu bringen: den Showroom.
Den Gründerinnen schmeckte die Idee, nach der Mittagspause machte sich Ziegert direkt an die Arbeit: Sie engagierte ein Filmteam, das den Vorführraum inklusive einiger Einkaufsberater mit 360 Grad-Kameras aufnahm. So entstand ein kurzes Video, das Stammkunden auf ihrem Smartphone anschauen können, wenn sie es in die Halterung hineinstecken, die ihren Kleidungspaketen beiliegt. „Männer sind technikverliebt, die mögen das“, meint Svenja Ziegert.
Weil das Unternehmen künftig noch mehr Technologie einsetzen will, hat es vor kurzem einen neuen Technikchef angeheuert, der vorher bei dem Spieleentwickler Wooga gearbeitet hat. So entsteht dann wohl doch etwas mehr Ordnung im kreativen Chaos.
Und um sicherzugehen, dass die Ideen aller Mitarbeiter gehört werden, gibt es jede Woche ein Treffen, bei dem die beiden Gründerinnen mit der gesamten Belegschaft über neue Innovationen diskutieren.