Assessment Center "Infantile Allmachtsfantasie von Personalern"

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Bei Marc Irmisch weckte das AC den Ehrgeiz. Als er sich zur Führungskraft-Laufbahn entschied, hatte der 40-Jährige schon fünf Jahre bei Microsoft gearbeitet. Im Assessment bekam er jedoch einen Dämpfer: durchgefallen. Natürlich sei er zunächst enttäuscht gewesen, gibt er zu – trotzdem machte er weiter.

Ein Jahr lang bereitete er sich auf das nächste Verfahren vor. Sein damaliger Vorgesetzter ließ ihn gelegentlich Meetings leiten, außerdem fungierte er als Mentor für die Trainees. Mit Erfolg: Beim zweiten Anlauf klappte es. Zwei Monate später leitete Irmisch erstmals ein Team, heute ist er als Vertriebsleiter verantwortlich für 17 Mitarbeiter und 1,5 Milliarden Euro Umsatz.

Drei Lektionen lassen sich aus Irmischs Fall ziehen.

Erstens: Es ist wesentlich vom Einzelnen abhängig, ob er die Absage im Assessment – ganz gleich, ob als Bewerber oder Management-Anwärter – positiv wertet und daraus etwas lernt.

Zweitens: Wer einem Angestellten das Potenzial zur Führungskraft abspricht, muss ihn an die Hand nehmen. Sonst entsteht bei den meisten Abgelehnten Frust – und das kann zur inneren oder realen Kündigung führen.

Drittens: Das Zeugnis, welches Unternehmen den Kandidaten im AC ausstellen, ist nicht in Stein gemeißelt. Manchmal stimmt die Prognose – häufig aber eben auch nicht.

Genau diese Kritik an dem Verfahren nimmt mit dessen Boom ebenfalls zu. Assessment Center basieren „auf der infantilen Allmachtsfantasie von Personalern, in die Zukunft der Kandidaten schauen zu können“, monieren etwa die beiden Berliner Bewerbungsexperten Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader in ihrem Buch „Assessment Center für Hochschulabsolventen“.

Damit sprechen sie zugleich vielen WirtschaftsWoche-Lesern aus der Seele, die in der vergangen Woche auf wiwo.de an einer Umfrage teilgenommen haben. Dort haben wir gefragt: „Wie sinnvoll finden Sie Assessment Center?“ Über 500 Leser haben bisher mitgemacht, Resultat: Fast 65 Prozent sind der Ansicht, Assessments seien „nur etwas für Selbstdarsteller“, Bewerber ohne Schauspieltalent seien dabei chancenlos. Lediglich fünf Prozent stimmten der Aussage zu, dass sich Firmen damit ein passendes Bild von einem Kandidaten machen können.

Auch wissenschaftlich geraten Assessment Center ins Zwielicht

Selbst wissenschaftlich geraten die AC mittlerweile ins Zwielicht. Um die Aussagekraft der Verfahren zu testen, berechnen Psychologen die sogenannte Validität. Dieser Wert setzt das Auswahlergebnis in Bezug zum späteren Erfolg des Kandidaten. Konkret bedeutet dann ein Wert von eins: Die positiv testierte Führungskraft im Assessment wird später tatsächlich ein guter Manager. Bei einem Wert von null gibt es dagegen gar keinen Zusammenhang.

Chaitra Hardison von der amerikanischen Rand Corporation und Paul R. Sackett, Psychologieprofessor der Universität von Minnesota, haben in einer viel beachteten Studie im Jahr 2007 jedoch herausgefunden: Die durchschnittliche Validität von Assessment Centern liegt bei 0,26. Zur Prognose beruflicher Leistungen taugen sie also kaum.

Hinzu kommt: Viele der eingesetzten Psychotests sind schlicht unseriös und stellen den Bewerbern teils absurde Fragen mit noch kurioseren Deutungen. Bei der Entscheidung –  duschen oder baden? –  geht es beispielsweise um die Frage, ob jemand eher männlich oder weiblich denkt; wer sich auf Zugfahrten gerne mit anderen Passagieren unterhält, gilt als kommunikativ, wer lieber Karussell fährt, als konservativ.

Experten wie Heinz Schuler, Psychologieprofessor der Universität Hohenheim und einer der anerkanntesten AC-Forscher Deutschlands, lehnen daher solche Fragen auch ab. Sie wurden ursprünglich für psychisch Kranke entwickelt –  weshalb sie sich zwar für klinische Zwecke eignen, wohl kaum aber zur Auswahl von Managern. Es sei denn, man macht bewusst Jagd auf Psychopathen in der Chefetage.

Einzig das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung, kurz BIP, gilt als Testverfahren, das erstens wissenschaftlich anerkannt und zweitens ausschließlich berufsbezogen ausgerichtet ist. Entwickelt hat es Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe an der Universität Bochum. Dabei werden den Kandidaten dann 210 Fragen gestellt und anschließend 14 Persönlichkeitsdimensionen zugeordnet, wie etwa Leistungsmotivation, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität, Kontaktfähigkeit, Teamorientierung oder Durchsetzungsstärke.

Heinz Schuler glaubt dennoch an das AC-Verfahren – auch wenn es vielerorts „inhaltlich verarmt“ und zur „Spielweise der Laiendiagnostik“ verkommen sei. Zu einem sinnvollen Assessment gehöre die richtige Kombination: die klassischen Übungen einerseits, psychologische Tests andererseits. Nur so könnten Unternehmen die richtigen Bewerber und Führungskräfte finden. Irrtümer lassen sich ohnehin nicht ausschließen.

So hat auch Andrea Klamm schon erlebt, dass sich ein Bewerber im AC als brillantes Talent präsentierte, im Job jedoch später enttäuschte. Das müsse aber nicht gegen das Verfahren sprechen, sagt sie: „Wir sagen dort lediglich, dass das Potenzial für Erfolg vorhanden ist.“ Eine Garantie gibt es eben nie.

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