WirtschaftsWoche: Frau Matthes, früher haben sich Jugendliche einen Beruf ausgewählt, erlernt und anschließend ausgeübt. Der digitale Wandel wird viele Berufe verändern oder verschwinden lassen. Was können Eltern Ihren Kindern bei der Berufswahl heute raten?
Britta Matthes: Diese Problematik stellt sich, das stimmt. Die Frage ist jedoch, ob wir in Deutschland nicht die Frage der Berufswahl überhöhen. Wir müssen lernen, dass die erste Entscheidung für einen Beruf nicht unbedingt die letzte ist. Selbstverständlich werden auch in Zukunft bestimmte Berufe wie Arzt, Anwalt oder Lehrer nur über einen bestimmten Weg zu erreichen sein.
Aber wir brauchen bei Eltern wie Jugendlichen ein Umdenken: Dass jemand 40 Jahre im gleichen Beruf verbleibt, wird immer seltener. Die Berufe werden sich viel stärker verändern, als es früher der Fall war. Die zu erledigenden Aufgaben werden nicht mehr dieselben sein.
Wenn Berufe verschwinden, wie soll man noch Hoffnung haben, dass es den Traumberuf geben wird?
Ich würde nicht hinterfragen, ob es den Beruf des Lokführers oder des Ingenieurs in 30 oder 40 Jahren noch gibt. Wir gehen davon aus, dass es auch Lokführer, Tischler und Ingenieure geben wird; nur sehen die Berufe wahrscheinlich völlig anders aus. In unserer Analyse zur Digitalisierung gehen wir davon aus, dass ein Beruf unter Anpassungsdruck gerät, wenn er zu 70 Prozent bereits heute von Computern oder Robotern erledigt werden kann. Das bedeutet nicht, dass der Beruf ganz verschwindet, sondern dass er andere Fähigkeiten verlangt. Das kann auch eine Chance sein: Ein Beruf, der ein hohes Potenzial hat, von Computern erledigt zu werden, ist gleichzeitig ein Beruf, der gerade weil dort Computer oder Roboter die Arbeit übernehmen, mit guten beruflichen Entwicklungs- und Aufstiegschancen verbunden sein kann.
Zur Person
Britta Matthes leitet in Nürnberg die Forschungsgruppe "Berufliche Arbeitsmärkte" im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Dort beschäftigt sie sich mit den Auswirkungen des Digitalen Wandels auf den Arbeitsmarkt, zuletzt mit der Frage, welche Bundesländer den höchsten Bedarf an Anpassung des Arbeitsmarktes haben.
Sie können also zu allem und zu nichts raten?
Ja. Für Eltern ist es ein Problem, dass sie lernen müssen, dass die Biographien anders verlaufen werden als in vorigen Generationen. Sie sollten entspannter sein. Denn die Wege sind für die kommenden Berufsgenerationen viel offener. Es wird viel leichter sein, den Beruf zu wechseln. Es werden sich mehr Weiterentwicklungsmöglichkeiten ergeben. Die Querverbindungen zwischen den Berufen werden zunehmen. Eltern sollten sich viel stärker zurücklehnen und den Berufswahlstress, den die Kinder ohnehin schon haben, von ihnen nehmen. Die Vielfalt an Optionen überfordert uns, die Kinder und eigentlich alle. Wenn aber die anfängliche Berufswahl keine endgültige Entscheidung mehr fürs Leben bedeutet, ist es auch nicht mehr so essentiell, womit ein junger Mensch ins Berufsleben einsteigt. Es ist also in Ordnung, mit dem einem zu beginnen und später gegebenenfalls etwas anderes zu machen. Man findet etwas, was zu einem passt und entscheidet viel kurzfristiger.
Die linearen Berufswege früherer Generationen werden zur Ausnahme?
Ja, auch wenn ich nicht mal sicher bin, ob die Laufbahnen früher auch immer so geradlinig waren, wie es immer beschrieben wird. Es wird bei vielen Menschen, die in der Produktion oder als Angestellte tätig waren, so gewesen sein, aber vor allem Menschen mit sehr erfolgreichen Karrieren haben ihren Beruf auch schon früher gewechselt.
So finden Sie den richtigen Beruf
Eine große Karriere beginnt bereits in der Schule und in der Universität. Doch junge Menschen finden sich im Dickicht der Berufswahl oft nicht gut zurecht. Svenja Hofert hat einen sehr nützlichen Ratgeber geschrieben, um die Probleme zu umschiffen („Am besten wirst du Arzt“, Campus Verlag). Die Expertin für neue Karrieren hat bereits zahlreiche Bestseller geschrieben. Es folgen einige ihrer Ratschläge in der Kurzfassung.
Immer mehr Deutsche haben Angst vor einer (zu) niedrigen Schulbildung ihrer Kinder. Doch die Expertin rät: „Es macht keinen Sinn, einen jungen Menschen durch das Gymnasium zu prügeln.“ Es gibt Lerntypen, die dort nicht hinpassen und auf anderem Weg eine tolle Karriere starten.
Eine junge Persönlichkeit muss lernen, was sie kann – und was (noch) nicht. Feedback ist in der Erziehung extrem wichtig, sowohl Lob als auch Kritik. Stellen Sie Fragen wie „Was hast du richtig gern gemacht?“ oder „Warum hast du die Zeit vergessen?“ und fordern Sie genaue Antworten ein. Kinder sollten auch die Dinge tun, die ihnen schwerfallen und ihr Können aufschreiben. Die tatsächlichen Interessen finden sich am besten durch viel Lesen und intensive Gespräche.
Kinder sind manchmal einfach faul. Kaum eines übt freiwillig jeden Tag auf einem Instrument oder engagiert sich erheblich über das minimale Maß hinaus. Geld oder sonstige extrinsische Anreize haben oft nur kurzfristige Wirkung. Besser ist, gesunde Neugier zu wecken oder schlicht das Kind zu fragen, wie man es motivieren könnte.
Wenn junge Menschen eine feste, möglichst dauerhafte Position in einem Unternehmen anstreben, sollten sie eher auf das duale Pferd setzen als auf eine reine Ausbildung. Nicht ratsam ist das duale Studium, wenn ein starkes thematisches Interesse vorhanden ist. Dann lieber studieren und sich währenddessen beruflich orientieren.
Es gibt immer mehr Studiengänge und immer mehr, die nichts taugen. Durch die Umstellung auf Bachelor und Master ist es grundsätzlich flexibler geworden – bei allen Nachteilen ist die Kombinierbarkeit ein großer Vorteil. In Zukunft wird es eine stark steigende Anzahl von Biografien geben mit zwei oder drei Studiengängen. Vorsicht vor dem Schweinezyklus: Einige Studiengänge werden nach einer Phase von zu wenig Nachfrage gern rasch überlaufen.
Da gibt es keine einheitliche Antwort. Einige Studenten sollten nach dem Bachelor – also dem Grundlagenstudium – eher Erfahrungen im Berufsleben machen, andere direkt noch den Master folgen lassen. Entscheidend ist die intrinsische Motivation, also die persönliche Neigung zum Lernen. Studien belegen, dass Bachelor-Absolventen immer bessere Einstiegschancen haben.
Studenten haben viele Möglichkeiten, sich nebenbei weiterzuentwickeln. Ein Auslandssemester lohnt sich umso mehr in einem Land, in das nicht alle gehen und wo nicht nur unter Deutschen gefeiert wird. Der Nebenjob sollte nicht nur Geld bringen, sondern auch etwas für den eigenen Berufswunsch. Ein Ehrenamt macht sich immer gut und ein Praktikum sollte es während des Bachelor-Studiums mindestens sein. Dabei wäre es gut, wenn das Unternehmen Relevanz am Arbeitsmarkt hat.
Jobs an sich kann man in der Regel nicht zukunftssicher bezeichnen, denn es hängt allzu sehr vom Individuum ab. Also davon, was er oder sie kann und bereit ist, zu investieren. Grundsätzlich sollte man bei der Auswahl Wunsch und Wirklichkeit strikt trennen. Wie das genau geht, lesen Sie weiter unten! Bei neuen Berufen sollten Sie nachschauen, ob es sich um einen anerkannten Ausbildungsberuf handelt.
Gilt das für alle Berufe?
Nein, bei einigen fällt es etwas leichter, den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Wer sich entscheidet, Arzt zu werden, der wird sicher auch in der digitalisierten Berufswelt Arzt bleiben. Aus meiner Sicht wird es zwei gegenläufige Entwicklungen geben: Zum einen werden die Aufgaben, die ein Mensch in einem Großbetrieb, der auf dem aktuellsten technologischen Stand produziert, so vielfältig sein, dass eine berufliche Ausbildung nicht ausreicht, um den Anforderungen zu genügen. Sie brauchen hybride Qualifikationen, um die Probleme, die bei der automatischen Produktion entstehen, lösen zu können und zu dürfen. Gleichzeitig wird es eine Re-Traditionalisierung mancher Berufe geben, weil das Internet die Möglichkeit gibt, Nischenproduktion effizient zu betreiben und die Kunden zunehmend auf Individualität Wert legen. Ein Tischler, der sehr individuelle Möbelstücke herstellt, findet dank der Digitalisierung viel leichter seine Kundschaft als das früher der Fall gewesen wäre. Es wird wichtig sein, die Nische zu finden und zu besetzen.