Sie haben Spaß am Lernen, erledigen Aufgaben meist rechtzeitig und sorgfältig? Prima, einerseits. Denn genau diese Eigenschaften können durchaus nützlich sein. In der Schule zum Beispiel, weil strebsame Jugendliche mit dieser Attitüde oft gute Noten bekommen. Oder an der Universität, weil sich fleißige Studenten auf Klausuren konzentrieren, Referate und Abschlussarbeiten perfekt vorbereiten.
Andererseits können überdurchschnittliche Leistungen manchmal auch durchaus schaden, zum Beispiel bei Bewerbungen. „Gute Noten sind keine gute Vorhersage für den beruflichen Erfolg“, sagt etwa der Essener Psychologe und Coach Rolf Schmiel. „Außerdem haben Chefs oft Angst vor Menschen, die deutlich schlauer sind als sie selbst.“ Sie gingen davon aus, dass jene intellektuellen Überflieger mehr Probleme machen, weil sie ständig etwas hinterfragen.
Tatsächlich zeigt inzwischen eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen: Einserabsolventen haben bei der Jobsuche oft mit ungeahnten Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine vor einigen Monaten veröffentlichte Studie macht deutlich: Das beginnt schon bei der Bewerbung.
12 Karriere-Mythen
Nein! In der Realität gibt es diese Altersschranke oft gar nicht, glaubt Headhunter Marcus Schmidt: „Manche Mandanten suchen sogar explizit Führungskräfte ab 50, weil sie viel Wert auf Erfahrung legen und nicht wollen, dass der Neue gleich wieder weiterzieht.“ Zudem gilt in Deutschland seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das eine Diskriminierung aus Altersgründen verbietet.
Seine Erfahrungen hat Schmidt in dem Buch „Die 40 größten Karrieremythen“ niedergeschrieben. Handelsblatt Online hat die spannendsten Zitate ausgewählt.
„Die Frage, ob man promovieren soll oder nicht, hängt von der angestrebten Karriere ab“, sagt Schmidt. Denn die Promotion koste immer auch Zeit – in der Diplomanden ein vergleichsweise geringes Gehalt beziehen. „Nicht alle jungen Berater, Anwälte und Wirtschaftsprüfer wollen in einem Unternehmen zum Partner aufsteigen oder erreichen dieses Ziel.“
Falsch! Entscheidend für die Karriere sei nicht, bei welchem Unternehmen man arbeite, sondern welche Aufgaben und Entfaltungsmöglichkeiten man habe, sagt Personalberater Schmidt. „Gerade in weniger etablierten Unternehmen gibt es oftmals spannendere und weniger standardisierte Aufgaben als in Großkonzernen“, so Schmidt.
Im Gegenteil: Eigene, gut argumentierte Überzeugungen hält Headhunter Marcus Schmidt für unabdingbar. „Wer nur mitläuft, um ja keinen Fehler zu machen, kann nichts Herausragendes leisten und wird nicht dauerhaft auf sich aufmerksam machen“, so Schmidt. So könne man sich nicht profilieren oder für die nächsten Ebenen empfehlen.
Die deutsche Wirtschaft zeigt ein anderes Bild: Absolventen hätten sich selten in die Führungsetage hochgearbeitet, sagt Schmidt. Anders als der Doktortitel ist der MBA zudem kein normierter akademischer Grad, seine Vergabe wird also grundsätzlich nicht staatlich geregelt oder kontrolliert. Wer Studiengebühren von bis zu 70.000 US-Dollar auf sich nehme, solle deshalb das Renommee der Schule immer überprüfen.
Muss man heute studieren, wenn man Karriere machen will? Nein, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Und einige prominente Konzernlenker geben ihm recht: Telekom-Chef René Obermann etwa hat sein Studium abgebrochen, und auch Klaus-Peter Müller, bis 2008 Vorstandsvorsitzender der Commerzbank und jetziger Aufsichtsratsvorsitzender, hat nie studiert.
Die Position mit Perspektive sei nicht immer die am besten bezahlte, sagt Marcus Schmidt. So könne sich für ein renommiertes Traineeprogramm ein kurzfristiger Gehaltsverzicht durchaus auszahlen - etwa, wenn das ausbildende Unternehmen in seiner Branche als Kaderschmiede gilt.
Nicht immer, sagt Headhunter Marcus Schmidt – stattdessen kann der Auslandseinsatz sogar zum Nachteil werden. „Oftmals sind es die Daheimgebliebenen, die dann verbleibende Inlandsposten unter sich aufteilen“. Sie säßen dann auf Stühlen, auf die Auslandsrückkehrer vergeblich spekulieren.
Wer auf standardisierte Einstiegsprogramme in Unternehmen mit hohem Bekanntheitsgrad setze, müsse auch in Kauf nehmen, dass die eigene Berufslaufbahn nachgemacht wirkt, sagt Personalberater Marcus Schmidt. „Gehen Sie eigene Wege. Suchen Sie Ihren Einstieg ruhig gegen den Strich. Probieren Sie etwas aus, was sie wirklich interessiert.“
Falsch, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Ebenso wichtig wie der tatsächliche Zeiteinsatz sei der gefühlte Zeiteinsatz. Und der definiere sich auch durch die Befriedigung mit der getanen Arbeit. „Wer es schafft, aus seines Arbeit weitgehend Befriedigung zu ziehen, muss auch nicht Karriereschablonen zum persönlichen Zeiteinsatz nachjagen.“
Tatsächlich finde sich diese „gläserne Decke“ vor allem in den Köpfen der männlichen Entscheider, glaubt Schmidt. Für weibliche Führungskräfte scheine sie hingegen kein Thema zu sein. „Viele Beratungsunternehmen und große Konzerne bitten uns öfter sogar explizit, nach weiblichen Kandidatinnen zu suchen.“
„In der Krise wählen Unternehmen bei der Besetzung von Stellen zwar sorgfältiger aus. Aber sie stellen trotzdem noch ein“, ist die Erfahrung von Marcus Schmidt. Gerade in Phasen des Umbruchs gebe es etwa die Chance zur Übernahme von Restrukturierungsjobs, bei denen wirklich die Fähigkeit der Verantwortlichen zählt.
200 potenziellen Investoren präsentierte Chia-Jung Tsay, Assistenzprofessorin am Universitätscollege in London, 36 fiktive Lebensläufe von zukünftigen Unternehmern. Daraus ging hervor, wie viel Führungserfahrung die Nachwuchskräfte hatten, wie ihre Managementfähigkeiten im Vergleich zu Kollegen waren, die Höhe ihres Intelligenzquotienten und die Summe des Kapitals, das sie bereits eingesammelt haben. Außerdem war in der Vita notiert, ob der Kandidat seinen Erfolg natürlichem Talent oder hartem Fleiß zu verdanken hatte. Und siehe da: Die Naturtalente überzeugten die Testpersonen eher als die emsigen Arbeitsbienen. Selbst dann, wenn sie formell weniger qualifiziert waren als ihre Konkurrenten.
Schon seltsam: 31 Prozent der 12- bis 25-jährigen Deutschen sehen Fleiß und Ehrgeiz als wichtige Eigenschaften. Doch 17 Prozent verabscheuen Strebertum. Offenbar gilt: Streber zu werden ist schon schwer, einer zu sein hingegen umso mehr.
Aber was ist das eigentlich, ein Streber? Der Duden versteht darunter Menschen, die „sich ehrgeizig und in egoistischer Weise um ihr Fortkommen in Schule oder Beruf bemühen“. Zugegeben, das klingt schon mal ziemlich unsympathisch. Und so verwundert es kaum, dass ein solches Verhalten schnell zu Ausgrenzung und Ächtung führt. Das Dilemma ist allerdings: „Streber zu sein ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine soziale Zuschreibung“, sagt Klaus Boehnke von der Jacobs-Universität in Bremen. „Sie werden von ihrem Umfeld zu solchen gemacht.“
Mathematisch begabte Mädchen sind dem Umfeld suspekt
Mit anderen Worten: Der Betroffene ist vielleicht einfach nur besonders ambitioniert und ehrgeizig, oder er hat schlicht Spaß an einem Fach. Aber diese Begeisterung ist dem Umfeld häufig suspekt. Davon betroffen sind etwa Mädchen, die gute Leistungen in jenen Fächern aufweisen, die nicht den allgemeinen Geschlechterstereotypen entsprechen – zum Beispiel Mathematik oder Naturwissenschaften. Das kann sogar so weit gehen, dass ihre Leistung darunter leidet – weil sie sich buchstäblich nicht mehr trauen, aus der Masse herauszuragen.
Strebertum besonders in Deutschland verpönt
Klaus Boehnke verantwortete vor einigen Jahren eine der größten Studien zum Thema Streber. Damals befragte er mit seinem Team etwa 600 Schüler im sächsischen Chemnitz, im kanadischen Calgary und im israelischen Haifa. Das Ergebnis war nicht sonderlich überraschend:
Gute Schüler hatten Angst, als Streber diffamiert zu werden. Je besser ihre schulischen Leistungen waren, desto größer war ihre Furcht. Das zeigte sich in der Studie vor allem in Deutschland. Offenbar gilt Strebertum hierzulande als besonders verpönt.
Streber - eine Gefahr für den Betriebsfrieden?
Doch die negativen Folgen hören nach der Schule nicht auf, im Gegenteil: „Personalverantwortliche befürchten, dass Menschen mit besonders guten Leistungen im Prinzip auch im Betriebsalltag immer herausstechen werden“, sagt Boehnke. „Und dass sie daher immer eine Gefahr darstellen, den Betriebsfrieden zu stören.“
Daneben gebe es neben der psychologischen auch noch eine persönliche Komponente: Wer einen Einserkandidaten vor sich habe, entwickele automatisch ein Konkurrenzgefühl, wenn er selbst einst schlechtere Noten hatte. Andererseits gilt eben auch: Ein Unternehmen, das gute Abschlussnoten völlig missachtet, ignoriert wichtige Indizien. Denn tatsächlich deuten souveräne Leistungen im Studium durchaus auf Eigenschaften hin, die auch für Arbeitnehmer wichtig sind. Fleiß, Disziplin und Hartnäckigkeit etwa. Aber natürlich ist die Abschlussnote nicht das einzige Kriterium.
Sollten wir also aufhören, uns anzustrengen, um im Jobinterview keinesfalls mit herausragenden Leistungen, Lebensläufen und Arbeitszeugnissen zu punkten? Im Gegenteil: Denn zum einen gibt es auch weiterhin Berufe, in denen die Note entscheidend ist, etwa bei Juristen. Wer hier ein schlechtes Examen schreibt, hat kaum Chancen auf einen guten Job, und eine Karriere als Staatsanwalt oder Richter ist meist ausgeschlossen. In anderen Berufen, die gerade händeringend Fachkräfte suchen, rücken die Noten hingegen schon mal eher in den Hintergrund. Da stellen Arbeitgeber längst nicht immer die Jahrgangsbesten ein – sondern gerne jene, die während des Studiums Praktika absolviert oder interessante Freiwilligenprojekte übernommen haben.
Zum anderen sollten sich alle Bewerber aber bewusst machen, dass Kompetenzen wie Gewissenhaftigkeit, Ehrgeiz, Motivation oder Fleiß bei Arbeitgebern immer gut ankommen – und diese werden nun mal eher mit Prädikatsabsolventen als mit Bummelstudenten assoziiert.
Naturtalente sind authentisch, Streber nicht
Experten plädieren dafür, bei der Bewerberauswahl andere Kriterien stärker zu gewichten: „Wir müssen uns fragen, ob die Schulnoten wirklich so aussagekräftig sind“, sagt Psychologe Schmiel, „oder ob wir in der Schule nicht mehr Wert auf soziale Kompetenzen legen sollten.“ Zumal selbst Experten die Leistungen anderer Personen gerne mal falsch einschätzen.
So geschehen in einem Versuch aus dem Jahre 2010: Hier zeigte Wissenschaftlerin Chia-Jung Tsay Musikern Kurzprofile von zwei Pianisten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der eine war ein fleißiger und ehrgeiziger Künstler, der andere ein Naturtalent. 20 Sekunden lang lauschten nun die geübten Ohren dem Klavierspiel beider Künstler. Was die Probanden nicht wussten: Beide Stücke wurden von der gleichen Person gespielt. Kaum zu glauben: Nicht der scheinbar fleißige und disziplinierte Künstler bekam die besseren Noten, sondern das Naturtalent – auch beschieden ihm die Experten eine größere Chance auf eine erfolgreiche Musikkarriere. Offenbar haben viele Menschen eine natürliche Präferenz für Talente.
Die Wissenschaftlerin Tsay hat auch eine Erklärung dafür: Naturtalente sind authentischer und in den Augen vieler vertrauenswürdiger. Dadurch wirken sie sympathischer und offener. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als naturalness bias, also gewissermaßen eine unbewusste Präferenz für Naturtalente. Und diese gedankliche Verzerrung kann für Unternehmen durchaus teuer werden. Dann zum Beispiel, wenn sich Personaler im Interview vom womöglich schlampigen, aber charmanten Genie blenden lassen und ihm den Vorzug vor dem emsigen Streber geben – der aber meist verlässlicher arbeitet.