Bewerbung Streber sind im Nachteil

Hauptsache gute Zensuren? Von wegen. Einserstudenten haben bei der Jobsuche längst nicht immer Vorteile. Dort können sehr gute Noten eher schaden.

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Streber haben es nicht leicht bei der Jobsuche. Quelle: Fotolia

Sie haben Spaß am Lernen, erledigen Aufgaben meist rechtzeitig und sorgfältig? Prima, einerseits. Denn genau diese Eigenschaften können durchaus nützlich sein. In der Schule zum Beispiel, weil strebsame Jugendliche mit dieser Attitüde oft gute Noten bekommen. Oder an der Universität, weil sich fleißige Studenten auf Klausuren konzentrieren, Referate und Abschlussarbeiten perfekt vorbereiten.

Andererseits können überdurchschnittliche Leistungen manchmal auch durchaus schaden, zum Beispiel bei Bewerbungen. „Gute Noten sind keine gute Vorhersage für den beruflichen Erfolg“, sagt etwa der Essener Psychologe und Coach Rolf Schmiel. „Außerdem haben Chefs oft Angst vor Menschen, die deutlich schlauer sind als sie selbst.“ Sie gingen davon aus, dass jene intellektuellen Überflieger mehr Probleme machen, weil sie ständig etwas hinterfragen.

Tatsächlich zeigt inzwischen eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen: Einserabsolventen haben bei der Jobsuche oft mit ungeahnten Schwierigkeiten zu kämpfen. Eine vor einigen Monaten veröffentlichte Studie macht deutlich: Das beginnt schon bei der Bewerbung.

12 Karriere-Mythen

200 potenziellen Investoren präsentierte Chia-Jung Tsay, Assistenzprofessorin am Universitätscollege in London, 36 fiktive Lebensläufe von zukünftigen Unternehmern. Daraus ging hervor, wie viel Führungserfahrung die Nachwuchskräfte hatten, wie ihre Managementfähigkeiten im Vergleich zu Kollegen waren, die Höhe ihres Intelligenzquotienten und die Summe des Kapitals, das sie bereits eingesammelt haben. Außerdem war in der Vita notiert, ob der Kandidat seinen Erfolg natürlichem Talent oder hartem Fleiß zu verdanken hatte. Und siehe da: Die Naturtalente überzeugten die Testpersonen eher als die emsigen Arbeitsbienen. Selbst dann, wenn sie formell weniger qualifiziert waren als ihre Konkurrenten.

Schon seltsam: 31 Prozent der 12- bis 25-jährigen Deutschen sehen Fleiß und Ehrgeiz als wichtige Eigenschaften. Doch 17 Prozent verabscheuen Strebertum. Offenbar gilt: Streber zu werden ist schon schwer, einer zu sein hingegen umso mehr.

Aber was ist das eigentlich, ein Streber? Der Duden versteht darunter Menschen, die „sich ehrgeizig und in egoistischer Weise um ihr Fortkommen in Schule oder Beruf bemühen“. Zugegeben, das klingt schon mal ziemlich unsympathisch. Und so verwundert es kaum, dass ein solches Verhalten schnell zu Ausgrenzung und Ächtung führt. Das Dilemma ist allerdings: „Streber zu sein ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine soziale Zuschreibung“, sagt Klaus Boehnke von der Jacobs-Universität in Bremen. „Sie werden von ihrem Umfeld zu solchen gemacht.“

Mathematisch begabte Mädchen sind dem Umfeld suspekt

Mit anderen Worten: Der Betroffene ist vielleicht einfach nur besonders ambitioniert und ehrgeizig, oder er hat schlicht Spaß an einem Fach. Aber diese Begeisterung ist dem Umfeld häufig suspekt. Davon betroffen sind etwa Mädchen, die gute Leistungen in jenen Fächern aufweisen, die nicht den allgemeinen Geschlechterstereotypen entsprechen – zum Beispiel Mathematik oder Naturwissenschaften. Das kann sogar so weit gehen, dass ihre Leistung darunter leidet – weil sie sich buchstäblich nicht mehr trauen, aus der Masse herauszuragen.

Strebertum besonders in Deutschland verpönt

Klaus Boehnke verantwortete vor einigen Jahren eine der größten Studien zum Thema Streber. Damals befragte er mit seinem Team etwa 600 Schüler im sächsischen Chemnitz, im kanadischen Calgary und im israelischen Haifa. Das Ergebnis war nicht sonderlich überraschend:

Gute Schüler hatten Angst, als Streber diffamiert zu werden. Je besser ihre schulischen Leistungen waren, desto größer war ihre Furcht. Das zeigte sich in der Studie vor allem in Deutschland. Offenbar gilt Strebertum hierzulande als besonders verpönt.

Streber - eine Gefahr für den Betriebsfrieden?

Doch die negativen Folgen hören nach der Schule nicht auf, im Gegenteil: „Personalverantwortliche befürchten, dass Menschen mit besonders guten Leistungen im Prinzip auch im Betriebsalltag immer herausstechen werden“, sagt Boehnke. „Und dass sie daher immer eine Gefahr darstellen, den Betriebsfrieden zu stören.“

Daneben gebe es neben der psychologischen auch noch eine persönliche Komponente: Wer einen Einserkandidaten vor sich habe, entwickele automatisch ein Konkurrenzgefühl, wenn er selbst einst schlechtere Noten hatte. Andererseits gilt eben auch: Ein Unternehmen, das gute Abschlussnoten völlig missachtet, ignoriert wichtige Indizien. Denn tatsächlich deuten souveräne Leistungen im Studium durchaus auf Eigenschaften hin, die auch für Arbeitnehmer wichtig sind. Fleiß, Disziplin und Hartnäckigkeit etwa. Aber natürlich ist die Abschlussnote nicht das einzige Kriterium.

Sollten wir also aufhören, uns anzustrengen, um im Jobinterview keinesfalls mit herausragenden Leistungen, Lebensläufen und Arbeitszeugnissen zu punkten? Im Gegenteil: Denn zum einen gibt es auch weiterhin Berufe, in denen die Note entscheidend ist, etwa bei Juristen. Wer hier ein schlechtes Examen schreibt, hat kaum Chancen auf einen guten Job, und eine Karriere als Staatsanwalt oder Richter ist meist ausgeschlossen. In anderen Berufen, die gerade händeringend Fachkräfte suchen, rücken die Noten hingegen schon mal eher in den Hintergrund. Da stellen Arbeitgeber längst nicht immer die Jahrgangsbesten ein – sondern gerne jene, die während des Studiums Praktika absolviert oder interessante Freiwilligenprojekte übernommen haben.

Zum anderen sollten sich alle Bewerber aber bewusst machen, dass Kompetenzen wie Gewissenhaftigkeit, Ehrgeiz, Motivation oder Fleiß bei Arbeitgebern immer gut ankommen – und diese werden nun mal eher mit Prädikatsabsolventen als mit Bummelstudenten assoziiert.

Naturtalente sind authentisch, Streber nicht

Experten plädieren dafür, bei der Bewerberauswahl andere Kriterien stärker zu gewichten: „Wir müssen uns fragen, ob die Schulnoten wirklich so aussagekräftig sind“, sagt Psychologe Schmiel, „oder ob wir in der Schule nicht mehr Wert auf soziale Kompetenzen legen sollten.“ Zumal selbst Experten die Leistungen anderer Personen gerne mal falsch einschätzen.

Diese Fehler brechen Bewerbern das Genick
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Frau zählt Geldscheine, die sie in der Hand hält Quelle: Fotolia
brennender 20 Euro-Schein Quelle: Fotolia
Frau macht ein nachdenkliches Gesicht Quelle: Fotolia

So geschehen in einem Versuch aus dem Jahre 2010: Hier zeigte Wissenschaftlerin Chia-Jung Tsay Musikern Kurzprofile von zwei Pianisten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Der eine war ein fleißiger und ehrgeiziger Künstler, der andere ein Naturtalent. 20 Sekunden lang lauschten nun die geübten Ohren dem Klavierspiel beider Künstler. Was die Probanden nicht wussten: Beide Stücke wurden von der gleichen Person gespielt. Kaum zu glauben: Nicht der scheinbar fleißige und disziplinierte Künstler bekam die besseren Noten, sondern das Naturtalent – auch beschieden ihm die Experten eine größere Chance auf eine erfolgreiche Musikkarriere. Offenbar haben viele Menschen eine natürliche Präferenz für Talente.

Die Wissenschaftlerin Tsay hat auch eine Erklärung dafür: Naturtalente sind authentischer und in den Augen vieler vertrauenswürdiger. Dadurch wirken sie sympathischer und offener. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als naturalness bias, also gewissermaßen eine unbewusste Präferenz für Naturtalente. Und diese gedankliche Verzerrung kann für Unternehmen durchaus teuer werden. Dann zum Beispiel, wenn sich Personaler im Interview vom womöglich schlampigen, aber charmanten Genie blenden lassen und ihm den Vorzug vor dem emsigen Streber geben – der aber meist verlässlicher arbeitet.

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