Es klingt paradox, aber es ist so: Obwohl in Deutschland derzeit so viele Menschen in Lohn und Brot sind wie seit 25 Jahren nicht, kämpfen viele Unternehmen mit einer Flut von Bewerbungen. Erstens ist die Fluktuation höher, wenn Jobs leicht zu finden sind und zweitens bewerben sich in guten Zeiten viel mehr Arbeitnehmer um vermeintliche Traumjobs. Die Zahl der Bewerbungen hängt sicher auch mit dem Bekanntheitsgrad und der Attraktivität eines Unternehmens zusammen.
Nach einer Studie der Unternehmensberatung Hay Group, die 100 Unternehmen mit 1,4 Millionen Bewerbern im Jahr untersucht hat, leiden 63 Prozent der Unternehmen unter zu vielen Bewerbungen. 37 Prozent haben eher damit zu kämpfen, dass sie zu wenige Bewerbungen erhalten.
Ob Bewerberflut oder nicht, die Unternehmen sollten Bewerbungen zeitnah bearbeiten und dabei für große Transparenz sorgen. „Es kommt immer noch vor, dass Absagen zu spät oder gar nicht verschickt werden“, stellt Thomas Gruhle von der Hay Group fest. Wichtig sei, dass jedes Unternehmen seinen eigenen Weg findet, die Bewerbungen zu bearbeiten. In Deutschland würden die Mehrzahl der Unternehmen die Lebensläufe der Bewerber scannen und sich anschließend die vollständigen Unterlagen der geeigneten Kandidaten besorgen. Diese Methode sei allerdings nur mäßig erfolgreich, da schwer vorherzusagen ist, wie sich der neue Arbeitnehmer in seiner Position anstellt.
Auch Telefoninterviews seien nicht unbedingt das probate Mittel, sagt Gruhle. Die seien zeitaufwendig und kostspielig. „Da braucht es speziell geschultes Personal, um die richtigen Fragen zu stellen.“ Viele Personaler würden Kandidaten unvorbereitet interviewen und dann sehr unstrukturiert befragen. Die Ergebnisse seien dann dementsprechend.
Eine weitere Methode, der Flut der Bewerber irgendwie Herr zu werden, sind die sogenannten Killerfragen im Bewerbungsgespräch. Also etwa: „Welches Buch haben sie zuletzt gelesen?“ oder „Was ist ihre größte Schwäche?“. Killerfragen helfen zwar beim Sieben, fördern aber selten den geeigneten Kandidaten zutage.
Die Experten der Hay Group empfehlen als modernes Tool zur Auswahl von Bewerbern sogenannte psychometrische Verfahren, mit denen Belastbarkeit und Stresserprobung der Bewerber ebenso getestet werden können wie deren numerisches und logisches Denken. Solche Verfahren gibt es schon seit Jahren, aber bislang waren sie auf Papier fixiert und daher statisch.
Modernere Tests finden online statt und sind dynamisch, das heißt, sie passen sich dem Leistungsniveau des Kandidaten an. Nach Ansicht von Hay-Manager Gruhle helfen solche Tests enorm, den richtigen Kandidaten zu finden. „Eine hundertprozentige Genauigkeit bieten aber auch diese Methoden nicht, jedoch eine deutlich höhere prognostische Validität als andere eingesetzte Verfahren.“