Bewerbungsgespräche Blinde Personaler casten besser

Aldi-Süd Jobinterview im Dunklen. Quelle: Getty Images

Aldi könnte Bewerber in Zukunft in völliger Dunkelheit auswählen. Das ist nur eine von vielen Möglichkeiten für Unternehmen, ihre Personalauswahl von Vorurteilen zu befreien.

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Die Bewerberin könnte in zerrissener Jeans, Flip-Flops und mit blau-grüner Lockenfrisur vor ihnen sitzen - die Recruiter von Aldi Süd würden es nicht merken. Denn in der Blackbox, die der Discounter auf dem Kölner Absolventenkongress präsentierte, sitzen die Personaler den Kandidaten für einen Job in völliger Dunkelheit gegenüber.

Das ist keinem Stromausfall geschuldet, sondern so gewollt. Denn was sagt der Kleidungsstil schon über die Fähigkeit, Lieferketten effizienter zu planen? Welchen Einfluss hat die Frisur auf die Führungsfähigkeiten? Eigentlich ist die Antwort allen klar: Nichts beziehungsweise keinen. Trotzdem lassen sich Recruitingverantwortliche aber noch häufig von Äußerlichkeiten ablenken.

Alleine ein ausländisch klingender Nachname auf einer Bewerbung kann die Chance verringern, dass man zum Vorstellungsgespräch geladen wird. Auch nach Alter und Geschlecht wird in Bewerbungssituationen diskriminiert. Von ihren Vorurteilen und unbewussten kognitiven Verzerrungen verführt, treffen Personaler Entscheidungen, die für Bewerber unfair sind und ihrem Unternehmen langfristig schaden.

Seit geraumer Zeit versuchen Firmen deshalb ihre Bewerbungsprozesse objektiver zu machen. Aldis Blackbox ist dabei nur ein weiterer Schritt. “Wir wollen ein Gespräch ohne Vorurteile - weder vonseiten der Bewerber noch vonseiten des Unternehmens”, sagte Sabine Grobara, Projektmanagerin HR bei Aldi Süd und Initatorin des Experiments, der Deutschen Presseagentur.

Die folgenden Verfahren haben ein ähnliches Ziel - und sind heute schon im Einsatz.

Anonymisiertes Bewerbungsschreiben

Die erste Quelle für Fehlentscheidungen entsteht schon beim Durchsehen der Bewerbungsunterlagen. Das zeigte zum Beispiel die Ökonomin Doris Weichselbaumer, als sie für eine Studie aus dem vergangenen Jahr fast 1.500 fiktive Bewerbungen an Unternehmen in Deutschland schickte. Sie wertete anschließend die Rückmeldungen der Personalabteilungen aus.

20 fiese Fragen, 20 clevere Antworten im Vorstellungsgespräch

Ihre Ergebnisse deuten auf eine klare Diskriminierung von Bewerberinnen mit Kopftuch und Migrationshintergrund hin: Eine fiktive türkischstämmige Bewerberin, die ein Kopftuch auf dem Bewerbungsfoto trug, bekam nur in 4,2 Prozent der Fälle eine positive Rückmeldung. Sie musste 4,5-mal so viele Bewerbungen schreiben, bis sie zu einem Gespräch eingeladen wurde. Zum Vergleich: Eine dem Namen nach deutschstämmige Frau ohne Kopftuch mit gleichen Qualifikationen bekam auf fast 19 Prozent der Anschreiben eine positive Antwort.

Abhilfe schaffen könnte ein anonymisiertes Bewerbungsschreiben. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte vor wenigen Jahren bereits ein Pilotprojekt mit acht Unternehmen dazu auf die Beine gestellt. Unter anderem die Deutsche Telekom, die Post, der Kosmetikhersteller L'Oréal, der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble verzichteten dazu bei Bewerbungen auf Fotos, Namen, Adressen, Geburtsdatum, Familienstand oder Nationalität von Bewerbern. Das Ergebnis: Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund hatten dank anonymer Bewerbungen bessere Chancen.

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