Anonymisierte Bewerbungen ohne Angabe des Namens, Alters und Geschlechts können Diskriminierungen bei Stellenausschreibungen verhindern. Doch spätestens beim ersten Vorstellungsgespräch ist die äußere Erscheinung präsent. Eine erfolglose Bewerberin um einen Führungsposten klagt jetzt, weil sie sich wegen ihres Körpergewichts diskriminiert fühlt.
Die Frau Anfang 40 verlangt eine Entschädigung von 30.000 Euro. Ein Termin vor dem Arbeitsgericht ist für diesen Donnerstag (12. Juni) angesetzt.
Die Berliner Autorin Gisela Enders, Vorsitzende des Vereins Dicke e.V., begrüßt die Klage.
Frau Enders, Dicke belasten das Gesundheitssystem, sie hängen nur auf der Couch rum, essen Chips und machen keine Diät. Kriegen Sie solche Aussagen oft zu hören?
Enders: Wer Zeitungen liest, der wird auch mit solchen Vorurteilen immer wieder konfrontiert. Weil Politiker und andere sie erzählen und sie dadurch weitergetragen werden. Da geht es um falsche Informationspolitik, die auch von wirtschaftlichen Interessen gesteuert ist.
Das klingt aber sehr nach Verschwörung. Ist nicht eher das Schönheitsideal schuld?
Das kommt noch zu den wirtschaftlichen Interessen hinzu. Wir zeichnen ein Frauenbild, das mit Photoshop bearbeitet ist, wo also selbst die Frauen, die abgebildet werden, nicht der Realität entsprechen. Es sind Fotomodels mit Kleidergröße 34, die sich viel von Knäckebrot ernähren. Dadurch entsteht ein Bild, wie eine Frau zu sein hat, das für den normalen Homo Sapiens unerreichbar ist. Das gilt zunehmend auch für Männer.
Wie spürt ein dicker Mensch diese Diskriminierung im Alltag?
Die Gesellschaft lässt es zu, dass man die Aussage „Da ist jemand dick“ verknüpfen darf mit der Aussage, diese Person sei nachlässig, dumm und mit anderen aus der Luft gegriffenen Vorurteilen. Das führt dann dazu, dass man zum Beispiel beim Arzt nicht ordentlich behandelt wird, dass man sich dumme Bemerkungen anhören muss oder eben auch keinen Job bekommt. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Arbeitslose, die kräftig abgenommen hatte und sich wieder beim Arbeitsamt vorstellte. Das kommentierte die Sachbearbeiterin mit dem Satz: „Dann kann ich Sie ja aus der Schublade für Schwerstvermittelbare herausnehmen.“
"Stigmatisierung ist schwer nachweisbar"
Wie reagiert ein dicker Mensch im Normalfall?
Den typischen dicken Menschen gibt es nicht, es gibt ja auch nicht den typischen blonden Menschen. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es gibt Menschen, die sich zurückziehen und sich nur noch in den eigenen vier Wänden aufhalten. Und es gibt die selbstbewussteren, die Kontra geben und sich das nicht bieten lassen.
Sie spielen an auf eine Frau vor dem Darmstädter Gericht, die behauptet, einen Job allein wegen ihrer Körperfülle nicht bekommen zu haben. Ist das nur ein Fall von vielen oder eine Ausnahme?
Die soziale Stigmatisierung bei der Arbeitssuche ist gegeben, aber sie ist schwer nachzuweisen. Meistens werden Menschen ja allein schon wegen ihres Fotos aussortiert. Aber weisen Sie das mal jemandem nach. Bei anonymen Bewerbungen ist das nicht anders, da findet diese Aussortierung mit dem Auge nach dem Bewerbungsgespräch statt.
Ist der Weg vor Gericht der richtige?
Grundsätzlich finde ich es natürlich gut, weil dadurch das Thema wieder diskutiert wird.
Haben es dicke Menschen heute schwerer als früher?
Nein, nicht unbedingt. Bei denen, die sich richtig als dick wahrnehmen, hat sich nicht viel verändert. Aber mittlerweile mäkeln auch immer mehr Frauen und Männern an ihren Körpern rum, die wir früher gar nicht als dick wahrgenommen hätten.
Gibt es denn eigentlich das „normale“ Gewicht oder ist das alles Ansichtssache?
Nein, wir kommen als Menschen in einer Vielfalt auf die Welt. Und so wie es kleine und große Menschen gibt, so gibt es auch dünne und dicke. Wir sind nicht modellierbar.