SAP-Chef Bill McDermott steht noch gut da: Unter seinen Mitarbeitern hat er eine Zustimmungsrate von 91 Prozent. Doch nur 82 Prozent würden einem Freund empfehlen, sich bei SAP zu bewerben. Und die Unsicherheit im Unternehmen über die Zukunft wächst: Nur 53 Prozent der Unternehmens-Insider auf Glassdoor wollen dem Walldorfer Software-Konzern einen positiven Geschäftsausblick attestieren. Anfang 2013 lag der Wert noch über 80 Prozent. Bei Google sieht es etwas anders aus: 96 Prozent der Mitarbeiter, die sich anonym zu Wort melden, haben volles Vertrauen in ihren Chef Larry Page, 93 Prozent würden ihrem Freund zu Google raten. Die Geschäftsaussichten halten 80 Prozent für rosig. Informationen, die für einen Jobsuchenden wertvoll sein können.
Über den zukünftigen Arbeitgeber wissen Mitarbeiter nichts
Während im Internet alles – von der Versicherung über das Krankenhaus bis zum Hotel – vergleichbar, transparent und bewertbar ist, treffen immer noch Millionen Menschen eine ihrer wichtigsten Entscheidungen praktisch ohne Informationen. Es ist die Wahl des Arbeitgebers. Über dem Arbeitsmarkt ruht das Mäntelchen des Schweigens. Über Gehälter wird nicht gesprochen, Jobanzeigen malen ein rosarotes Bild, Probleme am Arbeitsplatz finden höchstens im engsten Freundeskreis Erwähnung, Kritik am System ist oft intern nicht erwünscht.
Worauf die Deutschen bei einem neuen Job Wert legen
97 Prozent der 2014 von forsa befragten 2.001 Bundesbürger sagten, dass sie bei einem neuen Job sehr viel Wert auf angenehme Kollegen legen.
Nur knapp dahinter folgt der sichere Arbeitsplatz, den 96 Prozent als sehr wichtig erachten.
95 Prozent wünschen sich Respekt und Anerkennung durch die Vorgesetzten.
Ein gutes Gehalt ist 93 Prozent wichtig beziehungsweise sehr wichtig.
90 Prozent wünschen sich von der neuen Stelle, dass sie abwechslungsreiche Tätigkeiten mit sich bringt.
Für 89 Prozent ist es wichtig bis sehr wichtig, dass der neue Job unbefristet ist.
88 Prozent der Befragten sagten, dass ihnen die Moralvorstellungen und das Leitbild des Unternehmens wichtig sind. Ebenfalls 88 Prozent legen sehr großen Wert darauf, dass sie Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten im neuen Unternehmen haben.
Flexible Arbeitszeiten wünschen sich 70 Prozent im neuen Job.
Wichtig beziehungsweise sehr wichtig finden 65 Prozent Mehrwertleistungen des Unternehmens wie beispielsweise eine Betriebsrente, Mitarbeiterrabatte oder einen Dienstwagen.
64 Prozent wünschen sich, im neuen Unternehmen für besonders gute Leistungen auch Bonuszahlungen zu bekommen.
59 Prozent wünschen sich im neuen Job Führungsverantwortung zu übernehmen, zumindest aber, Projektleiter zu werden.
Robert Hohman will das ändern. 2007 gründete er Glassdoor, die Seite für anonyme Firmenbewertungen durch Insider. Das ist wie die Kaffeeküche im Internet, der Flurfunk für alle zum Mithören. Hier gibt es alles zu lesen, die Vorteile und die Nachteile, die Spannbreite der Gehälter, aufgeteilt nach Berufsgruppen. Alles beschrieben aus der persönlichen Sicht von Mitarbeitern, Ex-Mitarbeitern oder Nicht-Mitarbeitern. Denn Tausende stellen auch nur ihre Bewerbungsgespräche auf die Seite und dokumentieren die Fragen, die ihnen da gestellt wurden. Das hilft wiederum Interessenten, sich vorzubereiten.
Heute startet Glassdoor seine deutsche Seite. Wer sich anmeldet, findet zunächst Informationen, Gehaltslisten und Bewertungen zu rund 6.500 deutschen Unternehmen von Siemens über Deutsche Bank bis Adidas und 500.000 offene Stellen im Stellenmarkt, verspricht Mitgründer Hohman im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Das sind 30.000 Datensätze, die tausende Mitarbeiter größtenteils auf Deutsch auf der US-Seite eingegeben hatten. „Zum Start 2007“, erinnert sich Hohman, „hatten wir innerhalb von 24 Stunden Beiträge aus 100 Ländern“. Nach seiner Zeit bei Microsoft, wo er Windows 95 mitentwickelte, wechselte d Software-Spezialist ins Internetgeschäft, war einer der ersten Mitarbeiter bei Expedia.com und zuletzt Präsident des Reiseportals Hotwire. Die Übertragung der Transparenz der Hotelbranche auf den Arbeitsmarkt ist die treibende Idee hinter Glassdoor.
Google führt die Bestenliste an
Die Ergebnisse sind dabei schon mal überraschend. So liegt das Gehaltsniveau für einfache Programmierer beim Webgiganten Google zwischen 88.000 Dollar im Jahr und 228.000 Dollar. Das geht aus 4.600 anonym mitgeteilten Gehaltsdetails hervor. Aber nicht nur Zahlen und Fakten finden den Weg ins Internet. Da werden unverhohlen Fähigkeiten von Vorgesetzten angezweifelt, Klagen über völlige Arbeitsüberlastung sind zu hören, chaotische Management-Strukturen werden angeprangert.
Die Liste der 50 besten Arbeitgeber in den USA laut Glassdoor führt Google an vor Bain & Company, gefolgt von Nestlé Purina PetCare. Apple schafft es zum Beispiel nicht einmal unter die Top 20. Die zahlreichen Bewertungen fügen sich zum Bild eines von seinen Mitarbeitern angebeteten Unternehmens zusammen, das hervorragende Arbeitsbedingungen und Leistungen bietet, aber im Gegenzug völlige Hingabe bis zur faktischen Aufgabe des Privatlebens fordert.
"Wir finden Schummler"
Wie stellt Glassdoor sicher, dass solche Angaben auch authentisch sind? „Wir moderieren alle Einträge, sowohl manuell als auch automatisch“, verrät Hohman, „wir finden Schummler.“ Unternehmen können zum Beispiel Einträge markieren und um erneute Durchsicht bitten, aber nur im Hinblick auf Verletzungen der internen Richtlinien. „Es ist verboten, Namen unterhalb der Vorstandsebene zu nennen“, nennt der CEO als Beispiel. „‘Kollege XY ist unfähig‘, das geht nicht.“
Das Geschäftsmodell konzentriert sich auf die Vermittlung der richtigen Kandidaten für die richtigen Jobs. Von der schonungslosen Offenheit bei der Auswahl profitieren auch Unternehmen, ist Hohman sicher. „Fehleinstellungen sind extrem teuer“, weiß er. Er wolle helfen das zu verhindern. Unter anderem damit, dass der Bewerber weiß, auf was er sich einzurichten hat, welche Unternehmenskultur er vorfinden wird. Bislang nennt Glassdoor 27 Millionen Mitglieder und kommt auf 345.000 Unternehmens-Profile.
Der Markt für Job-Suche ist sehr groß
Das Konzept eines transparenten Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer und Unternehmen findet Anklang im Silicon Valley. Gerade erst Anfang Januar 2015 spendierten Investoren 70 Millionen Dollar frisches Kapital, um die Expansion zu finanzieren. Insgesamt stecken jetzt 160 Millionen Dollar Risikokapital in Glassdoor. „Es bestehen enorme Chancen in dem weltweit 90-Milliarden-Dollar großen Markt für Job- und Mitarbeitersuche“, erklärte Laela Sturdy von Google Capital anlässlich der Geldspritze.
Sechs Tipps für Jobsucher
Nicht nach Jobs im "kaufmännischen Bereich" suchen, sondern die exakten Berufsbezeichnungen benutzen, zum Beispiel Industriekaufmann oder Controller.
Der Controller kann auch unter Finanzbuchhalter laufen, der Key-Account-Manager heißt mitunter Großkundenbetreuer.
Auf den meisten Portalen können Jobsucher kostenlose Profile mit ihrem Lebenslauf anlegen. Das ist zwar mühsam und erfordert regelmäßige Aktualisierungen – doch dadurch landen sie in einem Bewerberpool, auf den die Unternehmen zugreifen.
Suchkriterien lassen sich speichern, so bekommen Jobsuchende passende Jobangebote auf ihr Smartphone geschickt. Laut Crosspro-Umfrage machen das derzeit allerdings nur 0,6 Prozent aller Bewerber.
Laut Crosspro-Studie sind kurz vor Ende der Woche die wenigsten Arbeitnehmer in den Jobbörsen unterwegs.
Neben den spezialisierten Jobbörsen sollten Bewerber auch bei den Branchenführern nachgucken – sowie regelmäßig auf den Seiten der Unternehmen. Denn dort veröffentlichen sie viele Stellen zuerst.
Google Capital investiert in Wachstumswerte in der späten Start-Up-Phase, was einen Börsengang in absehbarer Zeit nahe legt. Doch im Telefoninterview weicht Hohman aus. „Glassdoor ist als börsennotiertes Unternehmen ausgelegt und wir mögen die Idee“, räumt er ein. Aber das sei auch alles: „Die Zeit muss reif sein. Derzeit gibt es keine Gespräche.“
Vorbild ist das soziale Netzwerk LinkedIn für Berufskontakte. 2011 für 45 Dollar an die Börse gekommen steht LinkedIn heute bei 219 Dollar und hat einen Börsenwert von 27 Milliarden Dollar. Angst vor LinkedIn hat Homan nicht: „Bei LinkedIn geht es um persönliche Beziehungen, bei uns geht es um Unternehmen.“ Auch Versuche wie Facebooks 2012 gestartetes „Job Board“ lassen ihn kalt.
Die deutsche Produktmanagerin Sonja Perry arbeitet derzeit noch von London aus, aber ein Standort in Deutschland sei „in der Überlegung“, so Hohman. „Deutschland ist die wichtigste Wirtschaft in Europa“. Noch sind für deutsche Unternehmen die – kostenpflichtigen - Dienste und Analysewerkzeuge für die Auswahl von Bewerbern nicht verfügbar, aber das sei nur eine Frage der Zeit, so der Mitgründer. Personalchefs können aber schon ein kostenloses Firmen-Konto eröffnen, um Teile ihres Profils zu bearbeiten und zu vervollständigen. Dazu gibt es Basis-Werkzeuge, um etwa zu sehen, welche Positionen oder Qualifikationen anonymisierte Personen haben, die ein Firmenprofil angeschaut haben.
Glassdoor ist als Webseite unter www.glassdoor.de und als App für Apple oder Android-Smartphones verfügbar. Laut Hohman kommen mittlweiele bereit 50 Prozent der Zugriffe über das mobile Internet.