Praktikantenspiegel 2016 Warum Unternehmen Praktikanten brauchen

Kaum jemand spricht noch von der Generation Praktikum, obwohl vor dem Berufsstart meist eins absolviert wird. Davon profitieren Unternehmen - wenn sie Praktikanten nicht als billige Hilfskräfte ausnutzen.

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Wo sich der Mindestlohn für Praktikanten bezahlt macht
Ein Stempel mit dem Stempeltext Mindestlohn Quelle: dpa
Professionelle Programmierer Quelle: dpa
Energie-Branche Quelle: Fotolia
Praktika im Bereich Konsum- & Gebrauchsgüter Quelle: dpa/dpaweb
Praktika in der Chemiebranche Quelle: dpa
Baugewerbe & -industrie Quelle: Fotolia
Praktikanten im Bereich Transport und Logistik haben nach Einführung des Mindestlohns mehr bekommen Quelle: Fotolia

Vor rund elf Jahre hat die "Zeit" einen Artikel mit dem Titel "Generation Praktikum" veröffentlicht. Der warf kein gutes Licht auf die Unternehmen der damaligen Zeit: Matthias Stolz schrieb, dass Praktikanten früher Erfahrungen für ihr künftiges Berufsleben sammeln sollten. Im Jahr 2005 dagegen seien sie bloß noch Arbeitssklaven für die Betriebe. Und da ein lückenloser Lebenslauf alles ist, was zählt - so zumindest der damalige Stand der Dinge - waren Akademiker und andere junge Berufseinsteiger gezwungen, die Zeit zwischen Abschluss und erstem Festvertrag mit endlosen un- bis schlechtbezahlten Praktika zu überbrücken.

Mittlerweile hat sich zumindest die Sache mit dem Lebenslauf geändert. Ob das den Praktikanten das Leben leichter macht, verfolgt seit dem Jahr 2010 die Personalberatung Clevis. In den letzten sechs Jahren haben die Berater rund 35.000 Praktikanten gefragt, wie zufrieden sie mit ihrem Praktikum sind: werden sie anständig bezahlt, lernen sie genug, wie ist die Arbeitsatmosphäre, würden sie sich bei dem Unternehmen für eine Festanstellung bewerben und so weiter und so fort. Allein an der Umfrage für den aktuellen Praktikantenspiegel haben 6262 Praktikanten teilgenommen.

Eine Typologie der modernen Praktikanten

Die Mehrheit der Teilnehmer war zwischen 23 und 25 Jahren alt, zum Zeitpunkt des Praktikums studierten 76,87 Prozent, der restliche Teil waren Absolventen beziehungsweise junge Menschen mit maximal zwei Jahren Berufsausbildung. Der klassische Schülerpraktikant, der zwei Wochen lang im Betrieb mitläuft, ist also nicht gemeint. Das durchschnittliche Praktikum dauert 5,24 Monate.

Und die Praktikanten von heute nehmen ihr Los offenbar deutlich positiver wahr, als es 2005 der Fall war: 87 Prozent der Praktikanten sind mit ihrem Praktikum zufrieden. Zwar schieben auch 40 Prozent von ihnen Überstunden, trotzdem sind 84 Prozent mit ihrer Work-Life-Balance zufrieden.

Seit der Einführung des Mindestlohnes ist auch das Durchschnittsgehalt von Praktikanten in Deutschland im Schnitt um 10,6 Prozent auf 950,43 Euro gestiegen. Denn Praktikanten, die länger als drei Monate in einem Betrieb sind, haben einen Anspruch auf den Mindestlohn. Während bei Branchen, die ihren Praktikanten schon vor der Mindestlohn-Einführung mehr als 1000 Euro pro Monat zahlten, die Steigerung gering war, profitierten Praktikanten in Branchen wie Bildung, Medien oder Touristik von dem gesetzlichen Mindestlohn.

Doch grundsätzlich sind sich die Praktikanten einig: Der Mindestlohn ist begrüßenswert, die vermittelten Inhalte sind allerdings wichtiger.

Unternehmen profitieren von ihren Praktikanten

Grundsätzlich ist ein Praktikum Teil der Berufsfindung: Passt der Job zu mir, kann ich das, kann ich mir vorstellen, in diesem Unternehmen zu arbeiten? "Die Studierenden sollen sich in Berufen, Branchen und Unternehmen besser zurechtfinden und zukunftsgerichtet orientieren können", heißt es im Praktikantenspiegel. Aber auch die Unternehmen haben etwas von den jungen Menschen, die ein paar Monate mitarbeiten. Zunächst gibt es diverse softe Faktoren:

  • der Blick von Außen hilft, neue Perspektiven kennenzulernen und eingefahrene Prozesse zu hinterfragen
  • Unternehmen bekommen ehrliches Feedback in Bezug auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber
  • Praktikanten sind flexibel einsetzbar und können je nach Interesse vielfältige Projekte begleiten
  • ein erfolgreiches Praktikum ist in der Regel ein Garant dafür, dass das Unternehmen bei Freunden und Familie weiterempfohlen wird

Und noch ein Argument für die HR- und Controlling-Abteilung: Unternehmen können über Praktikantenprogramme einen Pool an zukünftigen Arbeitnehmern bilden. 81,98 Prozent aller Praktikanten stehen auch nach dem Praktikum beruflich oder privat mit ihrem Unternehmen in Kontakt. 85 Prozent würden sich sofort erneut bei ihrem Praktikanten-Arbeitgeber bewerben, wenn es um den festen Berufsstart geht.

Worauf es Praktikanten ankommt

Damit sich der ehemalige Praktikant positiv an seinen Lernbetrieb erinnert und sich dort nach seinem Abschluss bewirbt, muss das Unternehmen allerdings auch etwas tun. Wer seine Praktikanten wie billige Hilfskräfte einsetzt, wird vermutlich nicht nachhaltig profitieren.

Neben einer fairen Bezahlung kommt es den jungen Trainees vor allem auf eine gute Aufgabengestaltung, den Lerneffekt und die Führung durch den Vorgesetzten an. So sagen 74 Prozent der Praktikanten, dass es ihnen wichtiger ist, die richtigen Inhalte aus ihrem Praktikum mitzunehmen, als das große Geld. Abe auch Faktoren wie das Teamklima, die Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen spielen eine Rolle.

Auch sehr wichtig: Wie sieht das sogenannte Onboarding aus? Steht der Praktikant an seinem ersten Arbeitstag alleine in der Empfangshalle und keiner weiß, dass er kommt, was er kann und wie lange er bleibt? Oder ist alles vorbereitet? Gibt es bereits Aufgaben, um die sich der Neue kümmern kann, steht ein Ansprechpartner zur Verfügung? Schließlich zählt der erste Eindruck - und das nicht nur bei Praktikanten.

Die deutschen Unternehmen stellen sich da unterschiedlich gut an. Insgesamt wurden im diesjährigen Praktikantenspiegel 446 Unternehmen in punkto Image und tatsächliche Attraktivität als Arbeitgeber bewertet.

Dabei haben fast alle Dax-Konzerne einen sehr guten Ruf bei den Studenten. Ihr Name wird mit Internationalität und Erfolg verbunden. Außerdem gehen die Praktikanten davon aus, bei Dax-Konzernen gut Entwicklungschancen zu haben und die eigene Karriere dort besser vorantreiben zu können, als bei einem Mittelständler. Beim Employer-Branding liegen die Dax 30 also ganz weit vorne.

Aber zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit liegen durchaus Welten, wie auch der Praktikantenspiegel zeigt. So wollen alle zu den Autobauern - das Markenimage von Daimler, BMW und Audi ist ausgezeichnet - in der Arbeitgeberqualität verlieren sie jedoch an Attraktivität.

Lediglich Porsche brilliert in beiden Dimensionen und übertrifft seine direkten Konkurrenten in der Automobilbranche bezüglich der Arbeitgeberqualität. Auch Opel schneidet bei der Arbeitgeberqualität überdurchschnittlich ab, erhält allerdings unterdurchschnittliche Werte beim Markenimage. Nur bei Adidas und BASF stimmen Image und Realität überein: beide können mit sowohl überdurchschnittlichen Werten in der Arbeitgeberqualität als auch im Markenimage bei den Praktikanten überzeugen.

Außerhalb der Welt der Dax-Konzerne leiden unter anderem die KfW Bankengruppe und Texas Instruments unter dem Opel-Problem: Das Markenimage ist mies, aber tatsächlich sind beide Unternehmen gute Arbeitgeber. "Das schwache Markenimage kann bei Banken auf den teilweise schwierigen Ruf seit der Bankenkrise 2008 zurückzuführen sein", heißt es in der Studie. "Mit der zunehmenden Digitalisierung drängen immer mehr Internetunternehmen in den Finanzmarkt. Die Konsumenten vertrauen den neuen Akteuren wie beispielsweise Paypal deutlich mehr."

Deshalb sollten sich gerade Unternehmen, deren Image weniger sexy ist als das von Apple, Google oder den deutschen Autobauern, bemühen, ihre Praktikanten von sich zu überzeugen. "Die „Employee Experience“ jedes einzelnen Mitarbeiters entscheidet letztendlich darüber, ob das Markenimage eines Unternehmens auch der tatsächlichen Arbeitgeberqualität standhalten kann", heißt es in der Studie.

Dafür sollten Unternehmen sich die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeit im Praktikum noch einmal vornehmen. Denn die Umfrageteilnehmer wünschen sich durch die Bank weg einen größeren Lerninput. Dafür müssen sie aber mehr dürfen, als die Werkhalle fegen und Kaffee kochen.

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