Recrutainment Zocken für den Wunschberuf

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"Ein Instrument zum Aussieben"

Ein typisches Beispiel dieser neuen Rekrutierungsmethoden ist die Marke Ben & Jerry’s: "In einer virtuellen Eisfabrik muss der Kandidat Vertriebskanäle erschließen, Preise kalkulieren, Marktstudien auswerten – und das alles unter Zeitdruck", berichtet Püttjer. Eine Art Stresstest also, die aber auch Spaß mache. "Die Fallstudie hat einen hohen emotionalen Beigeschmack, so wie die gesamt Marke Ben & Jerry’s stark auf Emotionen setzt", sagt Püttjer.  

Ein Trend, der an Bedeutung gewinnen wird

Weniger an Emotionen als vielmehr an logisches Denken appellieren einige Tests zur Selbsteinschätzung. "Wenn ein volles Glas Wasser umfällt, was machen Sie zuerst?", fragt etwa Lufthansa in einer der Probeaufgaben, die auf den offiziellen Bewerbertest vorbereiten sollen. Beim Energiekonzern E-on muss sich der Kandidat erst registrieren, ehe er zu Fragen rund um räumliches Denken, Mathematik und sprachliche Gewandtheit vordringt. "Wärme passt zu Hitze, wie Wut zu …?", fragt der Bildschirm, und der Bewerber muss aus fünf möglichen Antworten eine auswählen. Rund 20 Minuten dauert der Test, an dessen Ende ein pdf-Dokument aufpoppt, das die eigenen Ergebnisse mit dem Durchschnitt vergleicht – und eine Empfehlung abgibt: "Sie sind auf dem richtigen Weg".

Dass E-assessment das traditionelle Gruppenauswahlgespräch ablösen werde, glaubt Püttjer nicht. Firmen wollen ihre Bewerber weiterhin kennenlernen, einen persönlichen Eindruck gewinnen. Der Online-Test ist nur eine erste Hürde, die aber, so Püttjer, künftig noch an Bedeutung gewinnen wird.

"E-assessment ist vor allem ein Vorschaltinstrument zum Aussieben von Kandidaten", erläutert Karrierecoach Püttjer. "Wer ernsthaft rangeht, besteht das eigentlich immer". Er warnt davor, die Bewerbung auf die leichte Schulter zu nehmen. Denn wenn das Unternehmen die Leistung des Bewerbers im Onlinetest als ungenügend bewertet, sei er für die Firma gesperrt. Püttjer empfiehlt daher potentiellen Bewerbern, sich vorab schon einmal unter dem Namen eines Freundes einzuloggen, der keine ernsten Bewerbungsabsichten hat – und zu probieren.  

Auch der junge Postboten-Avatar hat seine Aufgabe ernst genommen. Es ist nach sechs Uhr, die Berufsschule ging schnell vorbei, er darf endlich Feierabend machen. Denn heute war er "nett, produktiv, effizient und neugierig", volle Punktzahl. Und das alles mit ein paar Klicks. Dem Beruf Briefträger, so scheint es, steht nichts mehr im Weg.

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