Aber immerhin hat dieser Chef sein Team ja gerade zu einem Konfliktmanagement-Seminar geschickt und sich selbst ein Coaching verordnet, denke ich. Ob er wirklich konfliktscheu ist? "Konflikte können Potenziale, Kreativität und Innovationen freisetzen. Ein Konflikt birgt immer die Chance, daran zu wachsen", sagt die Trainerin.
Auf den Erfahrungsaustausch folgt die Theorie. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl unterscheidet drei Quellen der Auseinandersetzung. Da gibt es den sozialen Konflikt zwischen zwei oder mehr Personen und Parteien, die unterschiedliche Interessen haben. Das zweite sind innere Konflikte, Mutter zu sein und gleichzeitig Chefin mit sehr langen Arbeitstagen beispielsweise. Schließlich können strukturelle Konflikte entstehen, die durch schlecht abgestimmte Abläufe in einer Organisation verursacht werden.
Immer das gleiche Streitschema
Egal welcher Art ein Konflikt ist, er läuft immer nach dem gleichen Schema ab. Zirkularität nennt es Moritz. Die Trainerin verdeutlicht das anhand unserer letzten Konfliktsituation. Zunächst entsteht eine Irritation – beispielsweise weil der Chef nicht transparent kommuniziert. Das führt zu Frust, Ärger und Stress. Wer unter Stress steht, neigt aber zum Tunnelblick, die Wahrnehmung der Dinge verzerrt sich. Neulich, erzählt eine Frau aus dem Projektteam, habe sie mehrere Tage lang eine wichtige Präsentation vorbereitet. Der Chef hatte jedoch vergessen, ihr mitzuteilen, dass sich Ort und Uhrzeit der Veranstaltung verändert hatten. Beiläufig habe sie davon kurz vor dem Event erfahren. "Ich musste alles ändern! Alle Einladungen neu verschicken, mich bei den Gästen entschuldigen und die Unterlagen anpassen." Doch statt mit dem Chef zu sprechen, habe sie ihrem Ärger nur unter den Kolleginnen Luft gemacht.
Das ist typisch: Man sucht Verbündete. Soziale Ansteckung nennt das die Konfliktforschung. Doch das Klüngeln mit Leidensgenossen führt nur zu weiterem Verlust von Empathie und hindert uns daran, das Verhalten des anderen zu verstehen. Der Konflikt eskaliert. Warum hat der Chef vergessen, ihr die Information rechtzeitig zu geben? "Ich glaube nicht, dass es böse Absicht war. Er kann wahrscheinlich schlecht abgeben. Und außerdem hat er ja noch ein zweites Projekt an den Hacken."
Wenn Konflikte eskalieren, hören wir, verläuft das in verschiedenen Stufen. Am Anfang lässt sich die Situation noch über Gespräche konstruktiv lösen. Hat der Streit jedoch schon ein mittleres Eskalationsniveau erreicht, ist die Kommunikation deutlich schwieriger. Hier befindet sich das Projektteam gerade, analysiert die Trainerin. Nachdem die Gesprächsversuche einzelner Teammitglieder mit dem Chef nicht erfolgreich waren, wagt nun keine mehr den Vorstoß. Stattdessen beklagen sich die Mitarbeiterinnen hinter seinem Rücken über die Situation. Aber wenn die Auseinandersetzungen nicht gelöst werden, droht die höchste Eskalationsstufe: Beide Parteien fügen einander Schaden zu. Nun kann der Konflikt nur noch durch eine mächtige Hand von außen befriedet werden.
Vier verschiedene Konflikt-Typen
Doch warum fällt es so schwer, Konflikte rechtzeitig anzusprechen und zu lösen? Hier hilft wieder der Blick auf uns selbst. Abermals legt Moritz Karten auf den Boden, vier Stück, die ein Koordinatensystem bilden sollen. Jede steht für einen Konflikttyp: Der eine neigt eher zu Distanz und Sachlichkeit, dem anderen ist Nähe und ein persönlicher Umgang wichtig. Ein weiterer liebt Struktur und bevorzugt Hierarchien und noch einer ist eher kreativ und braucht intellektuellen Freiraum.
Lass uns streiten, Chef
Das Persönlichkeitsmodell der Psychologen Fritz Riemann und Christoph Thomann unterscheidet vier Grundcharaktere.
Der Distanz-Typ grenzt sich von anderen Menschen ab, um sich abzuheben. Er arbeitet lieber eigenständig, liebt die Freiheit, Unabhängigkeit und Autonomie. Am liebsten diskutiert er auf der Sachebene.
Der Nähe-Typ hingegen wünscht sich vertrauten Kontakt in einem Team. Er kann in einer harmonischen Atmosphäre am produktivsten arbeiten, gibt anderen Feedback und hat viel Empathie.
Der Dauer-Typ setzt auf Zuverlässigkeit und Ordnung. Er arbeitet strukturiert, ist sehr gut organisiert, plant mit Vorsicht und Voraussicht. Er mag Macht und klare Hierarchien. Dauer-Typen sind oft in Führungspositionen zu finden, denn sie tragen gern Verantwortung.
Ganz anders ist der Wechsel-Typ. Er ist kreativ, mag den Reiz des Unbekannten. Abenteuer sind ihm lieber als festgefahrene Strukturen. Er ist spontan, hat viel Temperament und neigt in der Teamarbeit zu unorthodoxen Ideen und eigenwilligen Lösungsvorschlägen.
Sozialer Konflikt: Eine Interaktion, bei der es Unvereinbarkeiten gibt, die als Beeinträchtigung erlebt werden.
Innerer Konflikt: Ein Konflikt innerhalb einer Person, bei dem es zwei Impulse gibt, die nicht zu vereinbaren sind.
Struktureller oder organisationsbedingter Konflikt: Ein Konflikt, der durch den Aufbau und die Abläufe einer Organisation verursacht wird.
Daneben gibt es zahlreiche Unterarten wie etwa Verteilungskonflikte. Sie entstehen, wenn die Ressourcen knapp sind. Zielkonflikte treten auf, wenn die Parteien unterschiedliche Interessen hegen. Weiter gibt es noch Beziehungs- und Rollenkonflikte, Macht- und Informationskonflikte, Wert- und Identitätskonflikte.
Nach Konfliktforscher Glasl gibt es neun verschiedene Konfliktstufen.
In Stufe 1 verhärtet sich ein Problem, auf Stufe 2 wird darüber diskutiert. Kommen die Beteiligten nicht zu einer Lösung, kommt es zu Stufe 3: Nun macht sie von Taten statt Worten Gebrauch.
In Stufe 4 schließen die Gegner Koalitionen. Eskaliert ein Streit weiter, kommt es in Stufe 5 zum Gesichtsverlust. Der Gegner wird öffentlich bloß gestellt. In Phase 6 drohen sich die Parteien. Es kommt zur ersten Vernichtungsschlägen (Stufe 7), der andere soll vernichtet werden (Stufe 8) – bis beide am Ende gemeinsam in den Abgrund stürzen (Stufe 9).
Weil jeder Mensch Anteile von allen Eigenschaften in sich trägt, sollen wir uns in diesem Feld dorthin stellen, wo wir uns am besten beschrieben finden. Der Selbstversuch ist aufschlussreich: Die eher konfliktscheue Mitarbeiterin hat sich den Platz mit dem höchsten Nähewert gesucht. Die Führungskräfte stehen näher auf der Dauer- und Distanzseite. Ich mag Ordnung und Struktur, aber auch Nähe. Nun schickt die Trainerin uns dorthin, wo wir die anderen sehen würden. Das zeigt, wie wir auf andere wirken. Das Ziel: Wenn Selbstbild und Fremdbild übereinstimmen, werden unsere Handlungen und Aussagen auch so verstanden, wie sie gemeint sind. Dafür aber müssen wir die Perspektive wechseln und uns in unsere Gegner hineinversetzen.