In deutschen Büros ist die Zufriedenheit mit dem eigenen Vorgesetzten gestiegen: Noch 2009 waren Probleme mit dem Chef Hauptkündigungsgrund für viele deutsche Arbeitnehmer, wie eine Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum zeigt. Heute attestierten rund 80 Prozent der Befragten ihren Vorgesetzten gute Führungsqualitäten. So zumindest das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2014. Es scheint sich also etwas getan zu haben auf den Führungsebenen dieser Republik. „Es bewegt sich zwar nur langsam etwas, aber immer mehr Firmen begreifen, dass gute Führung auch Zeit benötigt“, bestätigt Lucia Sauer Al-Subaey. Sie ist Geschäftsführerin von "Die Akademie für Führungskräfte", einem Unternehmen, das mit Seminaren und Coaching den deutschen Chefs den richtigen Führungsstil beibringt.
Zuhören und Interesse zeigen
Doch was macht den perfekten Chef eigentlich aus, und gibt es überhaupt die ideale Führungskraft? „Ein guter Chef sollte zuhören können und seine Mitarbeiter wahrnehmen“, erklärt Sauer Al-Subaey. Dabei gehe es deutschen Arbeitnehmern weniger darum, dass der Vorgesetzte großes Interesse am Privatleben oder der Privatperson seines Mitarbeiters habe. Vielmehr sollte ein klares Interesse daran vorhanden sein, was der Mitarbeiter im Berufsalltag leiste. So sei auch die meistgehörte Beschwerde von Mitarbeiter über ihren Chef, dass sich keine Zeit für die eigenen, beruflichen Belange nehme, schätzt Sauer Al-Subaey.
Die Chef-Checkliste zur sozialen Kompetenz
Können Sie sich im "Hier und Jetzt" spürbar auf Ihre Führungsaufgabe einlassen? Sind Sie offen und ansprechbar? Hören Sie aktiv dazu?
Hören Sie sich alle Meinungen an und würdigen Sie die verschiedenen Sichtweisen, bevor Sie sich (vorschnell) ein Urteil bilden?
Stehen Sie hinter dem, was Sie sagen? Können Sie diese Haltung gegenüber dem Team ebenso wie nach außen vertreten?
Bleiben Sie auch in schwierigen Situationen standfest, um Ihr Gegenüber von Ihrem Standpunkt zu überzeugen?
Unterschiedliche Ziel- und Wertvorstellungen führen zwangsläufig zu Konflikten. Erkennen und bewältigen Sie diese Konflikte? Erreichen Sie in Mitarbeitergesprächen konstruktive Lösungen?
Sind Sie in der Lage, Mitarbeiter und Kollegen schnell einzuschätzen und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen zu erkennen?
Besitzen Sie das notwendige Einfühlungsvermögen, um Ihre Mitarbeiter zu verstehen und in der Folge leichter von einer Sache zu überzeugen?
Wenn es nicht "rund" läuft: Sprechen Sie das Problem offen an? Stehen Sie hinter ihren Leuten, auch wenn sie Fehler machen?
Verhalten Sie sich integer und folgen Sie im Umgang mit Mitarbeitern und Kollegen den Regeln des Fair Play?
Sind Sie in der Lage, Interaktionen und gruppendynamische Prozesse in Teams aktiv zu gestalten und effizient in und mit Teams zu kooperieren?
Sollte also ein guter Chef nichts weiter haben, als ein offenes Ohr? So einfach sieht das Mario Neumann nicht. Neumann, Trainer und Buchautor rund ums Thema „Führen“, hat für die Führungsqualität einer Person eine Formel entwickelt: Vision, multipliziert mit Leidenschaft, multipliziert mit Disziplin, multizipliert mit Vertrauen. „Wenn einer Person eine dieser Eigenschaften vollständig fehlt, ist ein Faktor gleich null und damit seine komplette Führungskompetenz null“, erklärt er. So sollte jeder gute Boss zumindest ein gewisses Maß dieser vier Eigenschaften mitbringen.
Die Leadership-Formel
Unter Vision subsummiert Mario Neumann, der die Formel gemeinsam mit einem befreundeten Manager entwickelt hat, die Ziele, die der Boss mit seinem Team erreichen will. Das könnte im Vertrieb die Verbesserung von Verkaufszahlen sein. „Ein guter Chef sollte seine Mitarbeiter von dieser Vision, von seinen Zielen überzeugen und auch dafür begeistern“, sagt Neumann. Auch sieht er die Leidenschaft, also den Spaß an der Arbeit, die Überzeugung dafür und insbesondere die Lust an der Führung der Mitarbeiter als essentiell für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Hierarchieebenen.
Die Leadership-Formel von Mario Neumann
Vier Eigenschaften, die miteinander multipliziert werden, machen eine gute Führungspersönlichkeit aus. Das ist die Botschaft der Leadership-Formel des Führungstrainers Mario Neumann. Vision x Leidenschaft x Disziplin x Vertrauen = Leadership. Ist einer der Faktoren gleich null, ist somit auch die gesamte Führungsstärke gleich null.
Ein guter Chef muss eine Idee haben, wo es mit seiner Abteilung, seinem Team, seiner Firma hingehen soll. Sie sollten fähig sein, Ihre Mannschaft für eine Idee begeistern zu können und mitzureißen.
Steht das Ziel, sollten Sie als Vorgesetzter sich auch gleichzeitig zum Vorkämpfer für die Sache machen. Seien Sie mit Passion bei der Arbeit und stehen Sie voll für die Idee ein.
Der Weg zum gemeinsamen Ziel kann lang sein und besondere Anstrengungen verlangen. Verfolgen Sie Ihre Pläne konsequent und lassen Sie sich von Rückschlägen nicht demotivieren, sondern arbeiten Sie diszipliniert weiter.
Als Mitarbeiter soll man sich bei Ihnen gut aufgehoben fühlen. Kommunizieren Sie ihre Entscheidungen transparent und arbeiten Sie bei Fehlern Ihrer Untergebenen an deren Behebung, anstatt den Mitarbeiter sinnlos zu demotivieren.
Daneben sollte eine Führungskraft Disziplin zeigen, vor allem in der eigenen Arbeit. „Wenn ich meinen Mitarbeitern deutlich erklärt habe, was unsere Ziele sind, sollte ich als Chef auch klar machen, dass dies absolut Priorität hat“, erklärt Neumann. Gerade diese Disziplin sei unter deutschen Führungskräften oftmals zwar vorhanden, sie werde jedoch nicht eindeutig kommuniziert.
So traf Neumann vor kurzem den Leiter eines Serviceteams, der eine schnellere Bearbeitung von Kundenbeschwerden erreichen wollte. „Jedoch wurde dafür den Mitarbeitern nicht mehr Zeit eingeräumt und auch bei Teambesprechungen fehlte das Thema auf der Agenda“, beschreibt Neumann das Problem. So müsse jedem Teamleiter klar sein, dass zur Erreichung neuer Ziele auch Zeit eingeplant werden müsse.
Vertrauen aufbauen
Geht es um ein weiteres Kernelement, das einen guten Boss ausmacht, sind sich Mario Neumann und Lucia Sauer Al-Subaey einig: Eine Führungskraft muss ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinen Mitarbeitern haben. Was zunächst sehr simpel klingt, dürfte jedoch die Eigenschaft sein, die am meisten Aufmerksamkeit bedarf.
Jeder Teamleiter sollte sich klar sein, dass Vertrauen sich einerseits schnell zerstören lässt, andererseits nur schwer wieder herstellen lässt. „Ähnlich dem Vertrauensverhältnis zum Arzt“, verdeutlicht Neumann die Wichtigkeit des Aspektes: Einmal beim Hausarzt das Gefühl gehabt, nicht gut aufgehoben zu sein, kann der Mediziner diesen Eindruck nur schwer, mit viel Aufwand und Zeit, revidieren.
Ohne Transparenz kein Vertrauen
Um dieses Vertrauensverhältnis zu wahren und zu verbessern, rät Neumann zu einer transparenten Kommunikation mit den Mitarbeitern. „Machen Sie klar, wieso Sie sich für etwas entschieden haben.“ Daneben sei es wichtig, den Belangen der Untergebenen Prioritäten einzuräumen und ein Gefühl der Sicherheit aufzubauen. „Es sollte klar sein, dass ein misslungenes Projekt nicht gleich zum Tobsuchtsanfall des Chefs führt“, verdeutlicht Neumann. Der perfekte Boss sollte also einerseits mit Leidenschaft und Disziplin seine Untergebenen für die gemeinsamen Ziele motivieren und dabei ein vertrauensvolles Verhältnis schaffen. Klingt einfach, ist in der Realität jedoch oft schwer umzusetzen.
So sei der Druck, der zum einen vom oberen Management und gleichzeitig von den eigenen Mitarbeitern kommt für viele Führungskräfte heute ein ernsthaftes Problem. „Hier müssen Sie souverän auftreten und deutlich sagen, dass Sie mehr Zeit brauchen, um ihren Job als Chef gut zu erledigen“, erklärt Sauer Al-Subaey. Gleichzeitig sei es wichtig, den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, einen Chef zu haben, der weiß was er macht. Zu diesem Thema veröffentlichten die beiden Professoren Gareth Jones und Robert Goffee im Jahre 2000 einen Artikel (Goffee, Robert, and Gareth Jones. "Why should anyone be led by you?." Harvard business review 78.5 (2000): 62-70.), in dem sie vier Faktoren benennen, die eine gute Führungskraft ausmachen.
Vier Faktoren aus dem Artikel "Why should anyone be led by you?"
In einem, im Jahre 2000 erschienenen Artikel, kondensieren die beiden Professoren Robert Goffee und Gareth Jones die Charakteristika einer guten Führungskraft auf vier Eigenschaften:
Seien Sie sich bewusst, dass auch der beste Chef Schwächen hat. Akzeptieren Sie diese und überlassen Sie diese Themenfelder lieber jemand anders, als unnötige Ressourcen in die Kompensierung dieser Schwächen zu stecken.
Beweisen Sie Fingerspitzengefühl und Verstand, wenn es um die Führung Ihrer Mitarbeiter geht. Erkennen Sie, wenn jemand nicht ausgelastet ist aber auch, wenn jemand, beispielsweise aufgrund von privaten Problemen Entlastung benötigt.
Als Chef sind die weißungsbefugt. Machen Sie davon Gebrauch und übertragen Sie Ihren Mitarbeitern Verantwortung, auch wenn es manchmal schwerfallen kann.
Seien Sie sich bewusst, dass jeder Mitarbeiter anders tickt. Einer will viel Freiheiten, jemand anders braucht Anleitung. Sorgen Sie nicht für Unmut, indem Sie hier versuchen, jedem Mitarbeiter gleich zu begegnen.
So dürfe und solle man, gerade als Chef durchaus Schwächen haben und diese auch benennen. „Dann ist ihren Mitarbeitern klar was sie können und was sie lieber abgeben möchten“, sagt Sauer Al-Subaey. Denn: Schwächen zu kompensieren bedarf fast immer wesentlich mehr Kraft und Zeit, als diese einzugestehen. Außerdem sollte ein Chef ein Gespür für den richtigen Moment haben, wann er was von wem verlangen kann. „Sie sollten einen Mitarbeiter, von dem sie wissen, dass er gerade familiäre Probleme hat, nicht ungefragt mit Mehraufgaben beladen“, erklärt Sauer Al-Subaey ein typisches Beispiel.
„Delegieren können“ ist der dritte Faktor, den die Autoren als Eigenschaft guter Führungskräfte benennen. Die letzte, und vermutlich außergewöhnlichste Eigenschaft, die Goffee und Jones benennen ist die Ungleichbehandlung von Mitarbeitern. „Der eine braucht vielleicht mehr Freiheit, der andere braucht viel Anleitung und wieder ein anderer intensive Diskussionen“, fächert Sauer Al-Subaey die Vielfalt der Mitarbeiterwünsche auf und mahnt: „Man sollte als Chef gar nicht erst versuchen, alle gleich zu behandeln.“
Die Anforderungsliste an gute Chefs ist damit lang und oftmals zählen Eigenschaften dazu, die sich nur durch Erfahrung erlangen lassen. Wie kontrolliere ich als Vorgesetzter also, ob ich als Boss wirklich positiv wahrgenommen werde, ich meiner Aufgabe als guter Chef gerecht werde? Zum einen gibt es hier die Möglichkeit der klassischen Mitarbeiterbefragung. „Hier besteht aber immer die Gefahr, dass das Feedback nicht ganz ehrlich ist, weil die Mitarbeiter in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Chef stehen“, sagt Sauer Al-Subaey.
Daher rät sie jeder Führungskraft zu einer vertrauten Person, die schnell klarmacht, wenn der übereifrige Chef die Bodenhaftung verliert. „Das kann gerne auch der Partner sein oder ein guter Freund“, erklärt Sauer Al-Subeay. Die Person sollte auf jeden Fall kein Problem haben, den „befreundeten Boss“ zu kritisieren. Gibt es solch ein ehrliches Kontrollsystem, können sich Vorgesetzte relativ sicher sein, dass auch ihre Außenwahrnehmung der eigenen Überzeugung, ein guter Boss zu sein, entspricht.