Frugale Innovationen "Stellen Sie Ihr Produkt in Frage"

Es muss nicht immer die Neuerfindung des Rades sein, nicht immer der ganz große Wurf. Für eine echte Innovation reicht manchmal schon die Konzentration auf das Wesentliche. Das sollten gerade Mittelständler beherzigen.

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Unternehmer müssen ihre Produkte für neue Märkte überdenken - und häufig simplifizieren. Quelle: Fotolia

WirtschaftsWoche: Laut einer aktuellen Studie haben deutsche Unternehmen Aufholbedarf bei Innovationen. Wann fällt uns endlich wieder was Neues ein?
Sylvia Trage: Es muss doch gar nicht immer das Rad neu erfunden werden. Häufig reicht es schon, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und das Produkt völlig neu zu durchdenken. Das ist frugale Innovation. Ziel muss es sein, sich zu fragen, wie der Kunde beziehungsweise die unterschiedlichen Kunden es wirklich haben wollen. Und genau das bekommt dann der Kunde: nicht mehr und nicht weniger.

Das heißt?
Nehmen wir als Beispiel einen Hersteller von Baumaschinen, die sich hierzulande gut im Premiumsegment verkaufen. In Indien lassen sich diese Geräte nicht verkaufen, weil sie für den dortigen Markt überdimensioniert, teuer und mit zu vielen technischen Details ausgerüstet sind. Weniger ist hier mehr. Und so wurden, um mit dieser Baumaschine auf dem indischen Markt erfolgreich sein zu können, über 80 Prozent der Funktionen bedarfsgerecht angepasst. Das Modell für den indischen Markt wurde beispielsweise im Hinblick auf Material, Klimatisierung, Tragkraft und Lackierung optimiert. Übertragen auf unser Thema heißt das: Man muss ein vorhandenes Produkt in Frage stellen und anpassen. Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie mit guten, aber überspezifizierten Produkten ins Ausland gehen.

Zur Person

Eine solche Light-Version würde doch auch hierzulande funktionieren.
Natürlich. Viele Unternehmen fahren eine Zwei-Marken-Strategie. Man muss dabei aber aufpassen, dass man sich nicht selbst kannibalisiert. Die meisten haben ein teures Produkt für den Premiummarkt und entwickeln dann eine „abgespeckte“, aber bedarfsgerechte sowie auch qualitativ gute Variante für den Massenmarkt.

Dann kann der ausländische Wachstumsmarkt auch zum Testfeld für den Heimatmarkt werden?
Denkbar ist das durchaus, ja. Wenn das auf lokale Kundenbedürfnisse zugeschnittene Light-Produkt dort funktioniert, könnte es hier auch für den Massenmarkt tauglich sein. Wir beobachten, dass der Auslandsmarkt dadurch zur Teststrecke für den Heimatmarkt werden kann.

Trotzdem ist Konkurrenz gerade in den Schwellenländern ziemlich groß. Wie können deutsche Mittelständler dort mit einem Billigprodukt bestehen?
Sie müssen ihre ursprünglichen Produkte in Frage stellen. Das Produkt, das sie hier in Deutschland zum Marktführer macht, wird woanders nicht zwangsläufig auch funktionieren, wohl aber ihre Expertise und ihre Qualität. Die Badezimmerarmatur in China muss voluminöser und vielfach sogar vergoldet sein und nicht schlicht und aus Chrom. Trotzdem soll es eine qualitativ hochwertige Badezimmerarmatur sein.

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Um da den richtigen Riecher zu entwickeln, hilft es, sich den Markt und auch Produkte der Wettbewerber vor Ort anzuschauen und daraus Schlüsse zu ziehen. Man muss dafür die Kunden im Detail befragen und das Produkt nicht vom Markt losgelöst entwickeln.

Logisch.
Viele Unternehmen sagen sich: Es ist doch gut so, wie wir das schon immer machen und denken bei der Entwicklung von ihrem Basiskunden her, um dies dann auch den anderen Kunden überzustülpen. Dabei ist es wichtig, in so einem Fall von der grünen Wiese her zu denken. Oder es fehlen die Leute, die die entsprechenden Märkte und Kundenwünsche im Detail kennen beziehungsweise analysieren können. Denn dafür braucht es teamfähige Querdenker, die auch mal die Unternehmenstradition hinterfragen und sich in aktuelle und potenzielle Kunden hineinversetzen können.

Was raten Sie Ihren Kunden vor einem Markteintritt im Ausland?
Zuerst müssen Sie den Markt und das Kundensegment analysieren und verstehen. Daraus können Sie im zweiten Schritt schließen, wie das Produkt überhaupt aussehen muss. Dann geht es im dritten Schritt an die Wertschöpfungskette: Welche Werke und Zulieferer brauchen Sie, sollten lokale Start-ups einbezogen werden, wer übernimmt Forschung und Entwicklung?
Schritt vier ist die richtige Positionierung: Wie sehen Marketing und Vertrieb aus? Welche Kooperationsmöglichkeiten gibt es? Und zuletzt muss das Mind-set stimmen. Wer nicht bereit ist, Querdenker einzubinden und anders zu arbeiten als am Standort Deutschland, der wird weder erfolgreich sein, noch langfristig auf diesem Markt bleiben.

Und woran scheitern die meisten?
Eine detaillierte Marktanalyse durchzuführen und dann die Erkenntnisse daraus umzusetzen, fällt vielen Mittelständlern schwer. Und die crossfunktionale Zusammenarbeit ist so ein Knackpunkt. Aber ohne die geht es nicht.

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