Der Mittelstand bekommt in punkto Digitalisierung die Note drei. Die vergab jedenfalls Björn Weidenmüller, Leiter Vertrieb Großkunden bei der Telekom Deutschland, beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall.
Insgesamt seien die deutschen Unternehmen auf einem guten Weg, nur eben noch nicht am Ziel.
In einzelnen Bereichen herrscht Optimierungsbedarf
Seine Aussage untermauern diverse Studien zur Industrie 4.0, wie die aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zur Digitalisierung von Produktionsbetrieben.
Ergebnis: Mehr als ein Drittel aller Industrieunternehmen planen ihren Rohstoffeinsatz noch mit Zettel und Stift, Vernetzung mit andern Unternehmen gibt es nicht. "Grundlegende Weichenstellungen für eine moderne Kreislaufwirtschaft sind in vielen Unternehmen noch nicht vorhanden", so das Fazit des IW.
Außerdem denken die Mittelständler noch zu stark in einzelnen Silos und digitalisieren entsprechend eine Abteilung nach der anderen, wie die Studie "How Industrial Machinery Makers Are Capturing the Digital Opportunity" der Managementberatung Bain & Company zeigt.
So sammeln zwar schon heute beispielsweise Saat- und Erntemaschinen während ihres Einsatzes Daten und tragen damit entscheidend dazu bei, Erträge zu maximieren. Außer beim Bau der Maschine spielen Big Data, Smart Factory, 3D-Druck oder Cloud-Dienste für die Hersteller dagegen so gut wie keine Rolle.
Digital or dead: So überleben Sie die digitale Zukunft
Die Digitalisierung wird mittelfristig das Kerngeschäft der meisten Unternehmen beeinflussen. Führungskräfte müssen analysieren (lassen), wie sich die Spielregeln für ihre Branche verändern und die einzelnen Herausforderungen zu ihrer persönlichen Agenda machen.
Quelle: Digital or dead von Serhan Ili und Ulrich Lichtenthaler
Viele Firmen konzentrieren sich darauf, vor allem die Effizienz ihrer Produktion durch neue Technologien zu stärken. Wer sich aber ausschließlich auf technologiegetriebene Effizienzsteigerung konzentriert, verschenkt in Zukunft Wachstumschancen. Denn diese entstehen durch digitale und analoge Innovationen.
Führungskräfte müssen besonders vielversprechende digitale Lösungen für ihr Unternehmen identifizieren. Wenn sie ein oder mehrere Tools in der engeren Auswahl haben, sollten sie das Ausprobieren der Software im Unternehmen fördern.
Neben dem kurzfristigen Ausprobieren müssen Unternehmen auch langfristig für ihre IT-Zukunft planen. Schließlich sollen die neuen Softwarelösungen, die zum Geschäftsmodell passen, auch in die bestehende Unternehmens-IT integriert werden.
Der Ausgangspunkt der Digitalisierungsinitiative sollte keinesfalls die IT sein. Vielmehr sollten die damit befassten Entscheider zunächst ein klares Bild davon haben, welchen Nutzen die Digitalisierung dem Unternehmen bringen sollte. Auf dieser Grundlage sollte alsdann zunächst ein passendes Geschäftsmodell für die digitalen Aktivitäten entwickelt werden, bevor dieses dann innerhalb der IT tatsächlich umgesetzt wird.
Eine zentrale Gefahr für Industrieunternehmen ist das Auftreten neuer Komplettlösungsanbieter wie Uber, die direkt an der Schnittstelle zum Kunden arbeiten und diese besetzen. Umgehen kann man diese Gefahr mit der Entscheidung für eine interne Digitalisierungslösung.
Eine Stelle wie die des CDO zu schaffen, der die Digitalisierungsbemühungen koordiniert, ist sehr hilfreich. Der Chief Digital Officer braucht aber auch genügend Macht und Einfluss innerhalb des Unternehmens. Wenn sein Posten nur eine Alibifunktion innehat, nützt das wenig.
Über die koordinierende Funktion des Chief Digital Officers hinaus beinhaltet die Digitalisierung eines Unternehmens üblicherweise weitere, größere Veränderungen, die ein gewisses Maß an Beteiligung des ganzen Unternehmens erfordert. Die Unternehmenslenker müssen eine überzeugende Digitalisierungsgeschichte entwickeln, um die Einsatzbereitschaft aller Beteiligten sicherzustellen.
Unternehmen müssen bewegliche und flexible Innovationsprozesse anstoßen und weiterentwickeln - zumindest als Ergänzung für traditionellere, systematische Prozesse. Darüber hinaus ist es unabdingbar, ganze Produktlösungen innerhalb des geschäftlichen Umfelds zu optimieren, anstatt nur einzelne Produktspezifika zu verändern.
Digitalisierung erfordert neue Kompetenzen und beinhaltet oft die Veränderung bekannter und bewährter Geschäftsmodelle. Daraus folgt, dass Unternehmen offen für Hilfe von außen, nämlich von Digitalisierungsexperten, sein sollten, um den größtmöglichen Nutzen aus Innovation und den dazugehörigen Kompetenzen ziehen zu können.
Dabei betrifft Digitalisierung im Maschinenbau alle Stufen der Wertschöpfungskette, sei es durch die Herstellung von benötigten Teilen just in time, sei es durch den Zugriff auf Daten jederzeit und überall oder durch reduzierte Lagerkosten. Entsprechend könnten die deutschen Maschinenbauer zwischen 15 und 40 Prozent an Kosten einsparen, wenn sie ihr komplettes Geschäftsmodell digitalisieren würden, so das Fazit der Bain-Studie.
Damit das klappt, brauche es Technik, neue Talente, Kulturwandel und eine neue Denke im Management. "Neu denken heißt, den Fokus von Hardware- stärker auf Softwareengineering zu verlagern und die Mitarbeiter fit zu machen für die Veränderung der Branche", erklärt Bain-Partner und Studien-Co-Autor Michael Schertler.
„Bei der Digitalisierung kommt es tatsächlich weniger auf die Technik an, als darauf, sich auf die neue Art zu arbeiten einzulassen: Von der Idee schnell zum Prototyp zu kommen und die Idee auszuprobieren“, sagt auch Peter Heidkamp, Partner und Head of Technology bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Und für einen Kulturwandel muss der Anstoß im Zweifelsfall von außen kommen. Hier gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Das Unternehmen sucht einen CDO oder stärkt den CIO
Chief Digital Officer, kurz CDO, sind in Deutschland bisher rar gesät: Nur rund zwei Prozent der deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern haben laut einer Umfrage des Branchenverbandes Bitkom einen CDO - meist sind es große Konzerne wie VW oder die Deutsche Bank. Was dagegen mehrere Unternehmen haben, sind CIOs, also Chief Information Officer.
Die spielten in der Vergangenheit eine wichtige Rolle als Verantwortliche für Informationstechnologie und Computersysteme in ihren Unternehmen. Auch CIOs können der notwendige Impulsgeber für den Wandel sein.
Auf die Fähigkeiten kommt es an
„Die Herausforderung für CIOs besteht darin, die IT-Infrastruktur auf aktuellstem Stand zu halten und gleichzeitig neue, innovative Technologien einzuführen“, erklärt Martin Hofmann, CIO des Volkswagen-Konzerns, seinen Job. Diese Anforderung einer „bimodalen IT“ lasse den CIO zu einem Transformationsmanager werden.
Und Alexander Bockelmann, CIO und CDO beim Versicherungsunternehmen UNIQA sagt: „CIOs müssen künftig immer mehr in der Lage sein, verschiedene Rollen einzunehmen und sich strategisch wie praktisch bei technologiebasierten Geschäftsmodellen einzubringen.“
Alles eine Frage der Position also? Wer den richtigen Chief Irgendwas Officer im Betrieb hat, bekommt den Kulturwandel frei Haus? „Man braucht nicht zwangsläufig einen CDO oder einen CIO oder beide. Man braucht die richtigen Fähigkeiten“, sagt Lars Gollenia. Er ist Berater bei der Spencer Stuart, einer Unternehmensberatung, die sich auf die Vermittlung von Top-Führungskräften spezialisiert hat. Er ist überzeugt, dass auch ein altgedienter IT-Leiter der Schlüssel zur digitalen Zukunft eines Unternehmens sein kann – wenn er seine Fähigkeiten im Bereich Führung, Planung und Kommunikation erweitert.
Fünf Typen von CDO
Was ihn auszeichnet: Er fokussiert sich auf die Entwicklung der digitalen Strategie und fördert Innovation im Unternehmen. Seine Kernaufgabe besteht darin, das existierende Geschäft durch den Einsatz von digitalen Technologien zu transformieren und auf dem Weg zu einem weitgehend digitalen Unternehmen neue Impulse zu geben.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Industrieunternehmen sowie eher traditionelle Betriebe in der Chemie-, Öl-, Gas- und Bergbau-Branche.
Was ihn auszeichnet: Im Gegensatz zum Progressive Thinker geht dieser CDO bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle mit einer zupackenden Mentalität vor, um neue Umsätze zu erschließen. Er bringt Ideen und Technologien von außerhalb der Industrie ins Unternehmen ein und fördert damit neues Denken. Er scheut auch nicht davor zurück, das existierende Geschäftsmodell zu kannibalisieren oder in Frage zu stellen.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Gerade für Unternehmen, die wegen der Digitalisierung vor extremen Veränderungen stehen – etwa verbraucherorientierte Branchen –, können sie eine wertvolle Stütze sein.
Was ihn auszeichnet: Er fokussiert sich vor allem auf die Kundenzufriedenheit und denkt marktorientiert. Er verbindet die digitale mit der analogen Welt und garantiert nahtlose Multichannel-Kundenerfahrung. Für ihn stehen der Online-Verkauf und weitere digitale Services rund um das physische Produkt im Vordergrund.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Das wahre Kundenbedürfnis ist stets sein zentraler Bezugspunkt. Daher ist er insbesondere für kundenorientierte Branchen wie Banken, Handel oder Tourismus geeignet.
Was ihn auszeichnet: Seine Vorgehensweise kommt der des innovativen und businessfokussierten Chief Information Officers oder Chief Technology Officers sehr nahe. Er ist davon überzeugt, dass der effiziente Einsatz digitaler Technologien eine Grundvoraussetzung für die Realisierung neuer (disruptiver) Geschäftsmodelle ist.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Für welche Unternehmen er sich eignet: Gerade Unternehmen aus der produzierenden Industrie, die ihre Lieferketten optimieren und digitale Technologien in ihren Fabriken einführen, profitieren von diesem Typus.
Was ihn auszeichnet: Er ist sicherlich der anspruchsvollste unter den fünf Archetypen, da er alle zentralen Aspekte der digitalen Transformation verantwortet und über Fachkenntnis in mehreren Bereichen verfügt: Marketing, Technologie und Change Management. Sein Arbeitsspektrum erstreckt sich von der Entwicklung digitaler Strategien und Geschäftsmodelle über digitales Marketing bis hin zur Implementierung neuester Technologien.
Für welche Unternehmen er sich eignet: Er empfiehlt sich vor allem für all diejenigen Unternehmen – egal aus welcher Branche –, die bisher wenig in ihre digitale Transformation investiert haben und die dadurch den Anschluss verpassen könnten. Denn sie brauchen eine Führungskraft, die sich schnell und umfassend der digitalen Themen annimmt.
Denn in Zukunft brauche ein Manager viel mehr als nur technisches Verständnis, um zum Treiber der Digitalisierung zu werden, so Gollenia: „Ein CDO muss das, was in der Vergangenheit an IT aufgebaut wurde, weiterführen, Kosten senken und neue Technologien integrieren. Er muss aber auch gestalten, proaktiv auf andere zugehen, neue Talente ins Unternehmen einbringen und die vorhandenen weiterentwickeln. Und er muss neue, digitale Geschäftsfelder entwerfen und umsetzen.“ Das könne nicht jeder CIO.
„Während der CIO im Normalfall die Machbarkeitsbrille aufhat, trägt der CDO die Möglichkeitsbrille“, sagt Gollenia. Und auf letztere kommt es beim neuen Denken an. Wer deshalb seinem CIO noch einen CDO vor die Nase setzen will, braucht allerdings Fingerspitzengefühl. Seiner Erfahrung nach tue sich die Mehrheit der IT-Chefs schwer, wenn ein Chef-Digitalisierer ins Unternehmen geholt werde. Wer Reibereien vermeiden will, siedelt deshalb beide Positionen auf gleicher Ebene an.
2. Unternehmen bilden Netzwerke
Nicht jedes Unternehmen braucht oder will einen CDO oder CIO. Trotzdem müssen die Ideen – und der Kulturwandel – ja von irgendwoher kommen. „Bei der Ideengenerierung kommt es auf den richtigen Mix von internen Ideen und Trends von außen an. Ganz alleine erfindet niemand die Welt neu“, bestätigt Heidkamp von KPMG.
Was passt zum Unternehmen?
So könnten interne Labs dabei helfen, neue Technologietrends aufzuspüren und auszuprobieren. Denn nicht alles, was neu am Markt ist, passt auch zum eigenen Unternehmen. Man müsse sich fragen – oder ausprobieren – ob Big Data dem eigenen Betrieb helfe, in dem es beispielsweise den Kundenservice verbessert, „Würden Bots die Kundenansprache optimieren? Und kann ich die Effizienz meines Betriebes durch Roboter steigern?“ – diese Fragen sollten sich Unternehmer stellen, so Heidkamp. Oder besagte Labs damit beauftragen.
Diese internen Digitallabore seien aber nicht das einzige Vehikel um herauszufinden, was zum eigenen Betrieb passt, meint der Experte. „Große Unternehmen können sich Labs leisten, kleine und mittlere Betriebe sind auf ihre Netzwerke angewiesen.“ Er sagt: „Es lohnt sich, sich bei einer Start-up-Initiative anzuschließen, um die Businessrelevanz neuer Technologien zu erkennen. Außerdem überträgt sich in der Zusammenarbeit der Agilitätsgedanke und auf den kommt es an.“
Mittelstand hat keine Lust auf Start-up-Initiativen
Derartige Start-up-Initiativen bieten unter anderem KPMG, der Bundesverband Deutsche Start-ups, die Industrie- und Handelskammern oder die großen Unternehmensberatungen wie EY oder pwc an. Doch bisher ist die Nachfrage aus dem Mittelstand nach Ideen von Start-ups eher gering, wie eine Umfrage des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) aus dem Jahr 2016 zeigt. Demnach kooperierten Mittelständler bei der Digitalisierung am seltensten mit Start-ups.
So sieht der deutsche Start-up-Markt aus
Startups sind per Definition des Deutschen Start-up-Monitors (DSM) jünger als zehn Jahre und zeichnen sich durch "ein signifikantes Mitarbeiter- und/oder Umsatzwachstum" aus. Wer einen Kiosk eröffnet, hat demnach kein Start-up gegründet, sondern eine sogenannte Existenzgründung. Und wer ein Schuhgeschäft mit drei Angestellten aufmacht, betreibt ein kleines, mittelständisches Unternehmen (KMU) und kein Start-up.
Quelle: Deutscher Start-up-Monitor vom Bundesverband Deutsche Startups e.V. (BVDS) und KPMG in Deutschland
Das dritte Kriterium, woran man ein Start-up erkennt: die Gründer sind mit ihrer Technologie und/oder ihrem Geschäftsmodell (hoch) innovativ. "Gründerinnen und Gründer sind voller Ideen und voller Begeisterung. Sie entwickeln aus Problemlösungen Geschäftsmodelle. Gründungen sind Lebenselixier für unsere Wirtschaft und Motor des strukturellen Wandels. Denn kreative Ideen und innovative Geschäftsmodelle modernisieren unsere Wirtschaftsstruktur, erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit und schaffen neue Arbeitsplätze", sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) in seinem Grußwort zum aktuellen DSM.
Die meisten Start-ups finden sich in der Rhein-Ruhr-Region, in und um München, in der Region Karlsruhe/Stauttgart, im Raum Hamburg, in und um Frankfurt am Main - und natürlich in Berlin: Auf 1.000 erwerbsfähige Berliner kommen 26 Gründer - so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland.
Laut dem European Startup Monitor arbeiten inklusive der Gründer 12,9 Menschen in einem durchschnittlichen europäischen Startup. In Deutschland ist die Zahl der Mitarbeiter überdurchschnittlich hoch: Hier sollen Startups im Schnitt über 15 Mitarbeiter verfügen – ohne die Gründer mitzurechnen.
Knapp zehn Prozent der Gründerinnen und Gründer von Startups und 22 Prozent der Beschäftigten in Startups kommen aus dem Ausland. Rund 13 Prozent der Gründer in Deutschland sind Frauen.
Einer der Gründe für die seltene Zusammenarbeit seien die großen Unterschiede zwischen Start-ups und Mittelstand heißt es beim BDI. Dabei sind die bei genauerem Hinsehen gar nicht so groß. Der etablierte Maschinenbauunternehmer und der junge Tech-Pionier sind beide Unternehmer, die Risiken eingehen und für ihre Idee brennen. Sie müssen sich nur treffen – irgendwo zwischen Schwäbisch Hall und Berlin. Dann klappt es auch mit der Digitalisierung.
Denn deren Anforderungen sind eigentlich perfekt für den Standort Deutschland, wie Experte Heidkamp sagt: „Es gibt keinen Wettbewerb der Skaleneffekte mehr. Der, der die beste Technologie und die beste Idee hat und die am schnellsten umsetzt, gewinnt. Darin sind die Deutschen doch gut.“