Von wegen Vorbild Gute Führung hat nichts mit dem Chef zu tun

Wenn es um die Digitalisierung geht, geht es immer auch um Führung. Die darf aber nicht automatisch mit einer Person gleichgesetzt werden. Sonst stehen Unternehmen bei jedem Chefwechsel wieder bei Null. Eine Replik.

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Erfolgsfaktoren für die Führung in digitalen Unternehmen
Anforderungen der Industrie 4.0 Quelle: dpa
Definition der Ziele Quelle: dpa
Verantwortung der Führung Quelle: Fotolia
Kommunikation Quelle: dpa
Disziplin und Lernbereitschaft Quelle: obs

Vor einigen Tagen erschien hier ein Beitrag von Brigitte Liebermeister mit dem Titel: "Digitalisierung klappt nur mit guten Chefs". Darauf möchte ich, „Chef“ und Inhaber eines mittelständischen IT-Unternehmens, gerne antworten. Denn ich glaube, dass es viel zu kurz gesprungen ist, digitale Superhelden zu fordern.

Es ist schon wahr: Nimmt man die digitale Revolution ernst, dann bleibt in Unternehmen nichts beim Alten beziehungsweise kein Stein auf dem anderen, wie Brigitte Liebermeister zu recht betont. Das hat natürlich Konsequenzen auf die Art, wie Führung stattfindet.

Auch Führungskräfte wollen Halt

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Neben einer Änderung der Geschäftsmodelle wird sich vor allem eins ändern: Die Arbeitsbeziehungen und damit die Rolle und das Selbstbewusstsein der Beschäftigten. Was als Konstante bleibt – so Frau Liebermeister – sei der Mitarbeiter, der sich nicht verändere und weiterhin „Halt und Orientierung“ suche: "Letztlich können ihm [dem Mitarbeiter] nur Führungskräfte diesen Halt geben" schreibt sie in ihrem Beitrag weiter.

Wenn das mal so einfach wäre. Halt und Orientierung wünschen sich nämlich auch Führungskräfte. Sie müssen es sogar fordern, denn im Rahmen von Organisationen hängt Orientierung sehr stark von deren Strukturen, Prozessen und schließlich auch ihrer Kultur ab. Hier gilt es auch vorrangig zu gestalten, bevor man die Aufgabe des Halt-Gebens an Personen überträgt oder ihnen gar als Persönlichkeitsattribute zuschreibt. Daran kann es also nicht liegen, dass sich Führung "im digitalen Zeitalter radikal wandeln muss".

Zustimmen möchte ich Frau Liebermeister ausdrücklich darin, dass "die für den Unternehmenserfolg relevanten Leistungen [...] zunehmend von bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht werden.“ Das hat viel mit Führung zu tun, allerdings zunächst erst einmal auf der Ebene der Teams selbst. Denn die Mitarbeiter werden die relevanten Leistungen nur erbringen können, wenn sie sich selbst organisieren und gemeinsam überlegen, wer für die Erledigung der Aufgabe gerade die beste Besetzung der Führungsrolle wäre. Mit anderen Worten: Erst wenn die Führungsaufgabe wieder zurück in die Teams verlegt wird, werden sie digital transformativ, agil und hochperformant.

Teams und Prozesse müssen gestärkt sein

Dann schreibt Frau Liebermeister, dass Führungskräfte heute schon "immer seltener einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung" haben. Na klar, möchte man dazwischen rufen. Auch darin, dass sie "beim Erbringen der gewünschten Leistung sozusagen existenziell auf die Kompetenz ihrer Mitarbeiter angewiesen" sind, stimme ich zu. Das muss man aber auch konsequent zu Ende denken, denn es bedeutet, dass die Beschäftigten die Kompetenzen haben, die sie brauchen, um ihren Job bestmöglich zu erledigen. Sie brauchen keine zusätzlichen Spezialisten (integrieren), sondern sind nach der digitalen Transformation Spezialisten in eigener Sache. Das gilt übrigens auch für das Thema Führung.

Schlechter Chef? So werden Führungsschwächen zu Entwicklungschance für die Mitarbeiter

Es ist geradezu das Paradigma von agilen Unternehmen, dass "Strategien, Planungen usw. [...] eine immer kürzere Gültigkeitsdauer" haben. Die Antwort darauf ist jedoch keine einer Führung "auf Sicht", sondern gerade das Gegenteil. Dadurch beispielsweise, dass die Teams selbst in ständiger Kommunikation untereinander und Interaktion mit dem Kunden stehen. Für die Erledigung dieser Aufgaben agieren sie in spezifischen Rollen. Rollen werden insofern situativ besetzt und dem Zweck angepasst. Auch die Rolle der Prozessüberwachung insgesamt ist hierbei zu vergeben. Deshalb darf sie keinesfalls mit Führung im Sinne einer Führungskraft gleichgesetzt werden darf. Hier zeigt sich zum ersten Mal, dass Führung als auch Prozess mit genauen Regularien funktioniert, wenn die Projekte und Beteiligten dazu befähigt werden.

Führung muss entpersonalisiert werden

Dass Führungskräfte "immer häufiger [...] keine Lösung haben" ist soweit auch zugestanden. Hier betont Frau Liebermeister zum ersten Mal selbst, worauf es ankommt und ankommen wird: Dass Führungskräfte "vielmehr mit ihren Mitarbeitern" zusammenarbeiten müssen. Denn erst darüber werden die notwendigen Führungsqualitäten überhaupt sichtbar. Und zwar bei allen daran Beteiligten, nicht nur speziellen dafür hierarchisch ausgewählten oder aufgrund von Machtstrukturen vorgesetzten Vorgesetzten.

Tugenden müssen Marken werden, nicht Führungskräfte

Da es also mit „Befehl- und Gehorsam“ und mit „Besser-Wissen“ nicht mehr klappt, schlägt die Autorin den Chefs vor, „Persönlichkeitsmarken“ zu werden. Etwas altmodisch könnte man dazu vielleicht auch „Vorbild“ sagen. Kein schlechter Gedanke, wenn man sich beispielsweise an das sehr gelungene Jahresrückblick Video in der Daimler Kantine von Herrn Dr. Zetsche erinnert. Ich frage mich nur, was passiert – und Beispiele dafür gibt es genug – wenn diese Persönlichkeiten das Unternehmen verlassen und ein anderer Geist Einzug hält.

Im Bereich der Politik erleben wir das ja gerade auf besonders drastische Weise. Ich schlage deshalb vor, dass die Tugenden, die ein Unternehmen ausmachen und wofür es einsteht, in den Mittelpunkt gestellt und zu Marke ausgebildet werden, an der sich alle Beschäftigen sowie das Umfeld orientieren können.

Die Beschäftigten müssen für Werte stehen

Eines der größten Missverständnisse überhaupt in der Organisationsentwicklung ist, dass Werte etwas sind, was man vermitteln kann, indem man diese vom Management festlegt und dann über Führungskräfte an die Beschäftigten weitergibt. Das funktioniert nur, wenn die Mitarbeiter, die diese neuen Werte leben sollen, von Anfang an einbezogen werden. Mit anderen Worten: erst wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst diese Werte entwickeln, werden sie für alle auch handlungsleitend. Hierzu bedarf keiner Führungskräfte, wohl aber robuster Führungsprozesse, damit sowohl die Diskussionen geführt, als auch die Vereinbarungen eingehalten werden.

So wird Ihr Unternehmen agil
Von der Natur lernenWie führen Manager ihre Teams und Unternehmen, wie behalten sie den Überblick? Die Experten Guillaume Alvarez von Steelcase, Wilhelm Bauer vom Fraunhofer IAO und Iñaki Lozano Ehlers, Gründer und Geschäftsführer von BICG haben für die Unternehmensführung und –kultur von Morgen acht Ansätze entwickelt. Der erste besagt: Die zunehmende Komplexität wird beherrschbar, wenn Projekte und Teams als adaptive Strukturen aufgebaut sind. Lassen Sie sich dazu von der Natur inspirieren, beispielsweise von Regenwäldern oder Ameisenkolonien: Systeme wie diese bestehen aus wechselseitig eng miteinander verknüpften Teilen, wodurch sie sich extrem schnell verändern und anpassen können. Quelle: dpa
Es geht um mehr als GeldUm ein Unternehmen zum Erfolg zu führen, müssen sich alle Anstrengungen auf das Wesentliche konzentrieren: den eigentlichen Zweck eines Unternehmens. Wer nur den Profit vor Augen hat, wird eventuell kurzfristig damit erfolgreich sein – langfristig ergeben sich daraus jedoch Probleme, zum Beispiel unzufriedene Mitarbeiter oder Qualitätseinbußen. Quelle: dpa
Vertrauen schenkenStatt selbst Entscheidungen zu treffen, gilt es, Mitarbeiter zu eigenem Denken und Handeln zu befähigen. Schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der sich Mitarbeiter wohlfühlen und ihr Potenzial entfalten können. Quelle: Fotolia
Wände einreißenHierarchische Strukturen und repräsentative Einzelbüros sind nicht länger zeitgemäß, sondern müssen abgelöst werden von teamorientierten Flächen. Räume, in denen Sie als Führungskraft Teil des Teams und jederzeit greifbar sind, implizieren Offenheit, Transparenz und dadurch zufriedenere Mitarbeiter. Quelle: Fotolia
Wandlungsfähig bleibenPassen Sie sich an die Veränderungen unserer Arbeitswelt an, anstatt sie auszusitzen. Wer Themen wie Digitalisierung verschläft, bleibt nicht am Puls der Zeit, sondern verschließt sich neuen Chancen und Innovationen. Quelle: Fotolia
Fehler positiv sehenRückschläge sind die ideale Möglichkeit, um Dinge zu verbessern und neue Lösungen zu finden. Nehmen Sie sich Design-Thinking-Methoden zum Vorbild und geben Sie Ihren Mitarbeitern die Chance, bisherige Herangehensweisen aus einem neuen Blickwinkel zu überdenken und daraus zu lernen. Quelle: Fotolia
Unternehmenskultur fördernBesprechen Sie Normen und Werte, aber auch Ziele und Visionen des Unternehmens mit Ihrem Team. Die Transparenz beseitigt Missverständnisse und führt schließlich zu mehr Erfolg, da alle an demselben Strang ziehen. Quelle: Fotolia

Das ist in meinen Augen das eigentliche Erfolgsgeheimnis all der agilen Konzepte und Überlegungen der New Work Bewegung: Dass Führung endlich entpersonalisiert wird und seinen Platz in der Organisationsstruktur als digitales Werkzeug bekommt. Ein Werkzeug, das allen Beschäftigten zur Verfügung steht. Denn Führung ist eine temporäre Aufgabe, die von den davon Betroffenen organisiert wird. Was wiederum nur dann funktionieren wird, wenn eine dazu passende Unternehmenskultur alle zum Gebrauch dieses Werkzeugs ermächtigt.

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